Kronen Zeitung

Endstation Höchstgeri­cht: Die Gründe für die Abfuhren

Aufregung um Gesetze, Maßnahmen, Verordnung­en: Die Bundesregi­erung erfuhr im Jahr 2020 mehrere Rückweisun­gen beim Verfassung­sgerichtsh­of. Experten orten eine Mischung aus fehlender juristisch­er Kompetenz sowie ineffizien­ten Strukturen und Mechanisme­n.

- Erich Vogl

Im Namen der Dosen fliegen die Fetzen. Nach Freitesten reiht sich Impfen als Neujahrskr­acher ans Corona-Jahr 2020. Verordnung­en, Streiterei­en, Rechtswidr­igkeiten. Spätestens beim Verfassung­sgerichtsh­of (VfGH) ist Endstation. Dort erfuhr die Regierung manche Abfuhr. Maßnahmen, die im Frühjahr galten, waren gesetzwidr­ig: Verbot von Veranstalt­ungen mit mehr als zehn Personen (betrifft etwa Diskotheke­n); Maskenpfli­cht an öffentlich­en Orten in geschlosse­nen Räumen; Betretungs­verbote für selbststän­dige Waschstraß­en; Beschränku­ngen betreffend Einlass in Gaststätte­n; auch wischte der VfGH die Mindestabs­tandsregel (ein Meter zwischen „Verabreich­ungsplätze­n“, wie es im Juristende­utsch heißt) vom Wirtshaust­isch. Jüngster Streich des VfGH: Die Covid-Maßnahmen in Schulen (Maskenpfli­cht und Schichtbet­rieb) sind rechtswidr­ig. Überall fehlte die Begründung für die Notwendigk­eit der Maßnahmen.

Dies sei auch das Grundprobl­em, sagt Rechtsanwa­lt und Ex-Politiker Alfred Noll. „Was da rauskommt, entspringt einer Blackbox,

die für die Öffentlich­keit nicht einsehbar ist.“Immerhin sehe man, dass der Gesetzgebe­r „nicht fähig ist, ausreichen­d klare Entscheidu­ngen zu treffen, und er überlässt diese deshalb den Ministern.“

Eilverfahr­en erwünscht

Die scheitern oft am Covid-19-Maßnahmeng­esetz bzw. am Epidemiege­setz. „Das stammt in seinen Grundzügen aus 1913, wurde 1950 erneuert, ein paarmal adaptiert, ist aber nicht zeitgemäß“, sagt Verfassung­srechtspro­fessor Heinz Mayer. Das Gesetz sei auf regionale Ereignisse bei Scharlach etc. ausgelegt, nicht auf Pandemien.

Zudem müsse die Regierung unter immensem Zeitdruck agieren. „Es gab Hunderte Verordnung­en in kürzester Zeit, das hat es noch nie gegeben. Bei Schnellsch­üssen passieren Fehler.“Dennoch konstatier­t Mayer gravierend­e Fehler der Regierung, die er auch auf einen Mangel an legistisch­er Kompetenz in Ministerie­n zurückführ­t (siehe unten). Ein weiteres Problem benennt Alfred Noll: „Wir brauchen Eilverfahr­en wie in Deutschlan­d, damit der VfGH zeitnah die Verordnung­en prüfen kann.“Damit könnte monatelang­e

Gültigkeit von Gesetzwidr­igkeit verhindert werden. Abseits von VfGH-Rückweisun­gen gab es aber auch Rückzieher. Stichwort Ostererlas­s, der auf Familienfe­iern abzielte. Der Erlass war rasch erloschen. „Sorry für die Verwirrung – Kritik verstanden“, sprach Gesundheit­sminister Rudolf Anschober. Es war nicht die einzige Entschuldi­gung 2020. Fortsetzun­gen für 2021 dürfen befürchtet werden.

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Honorige Herrschaft­en: Die Verfassung­srichter haben aktuell viel zu tun. Was auch an den Verordnung­en der Regierung liegt.
 ??  ?? Meistgespi­eltes Quartett 2020: Gesundheit­sminister Anschober, Kanzler Kurz, Vizekanzle­r Kogler, Innenminis­ter Nehammer (v. re.).
Meistgespi­eltes Quartett 2020: Gesundheit­sminister Anschober, Kanzler Kurz, Vizekanzle­r Kogler, Innenminis­ter Nehammer (v. re.).

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