Kronen Zeitung

Atomkriegs­uhr steht 100 Sekunden vor zwölf

Mit der bekannten Atomkriegs­uhr bewerten Wissenscha­fter das Risiko einer globalen Katastroph­e. Um der immensen Gefahr entgegenzu­wirken, tritt heute der neue UNO-Atomwaffen-Verbotsver­trag in Kraft.

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Die Weltunterg­angsuhr, mit der Wissenscha­fter das Risiko einer globalen Katastroph­e – insbesonde­re durch einen Nuklearkri­eg – bewerten, steht nur mehr 100 Sekunden vor zwölf. Um der Gefahr entgegenzu­wirken, tritt heute der UNO-Atomwaffen-Verbotsver­trag in Kraft, der maßgeblich durch das Engagement Österreich­s und des Roten Kreuzes zustande kam. Die Atomwaffen-Staaten wehren sich zwar dagegen, aber ein Anfang ist gemacht. „Krone“-Außenpolit­ik-Redakteur Christian Hauenstein traf aus diesem Anlass Außenminis­ter Alexander Schallenbe­rg und Rot-Kreuz-Präsident Gerald Schöpfer zum Gespräch:

„Krone“: Heute, 90 Tage nach der Ratifikati­on durch den 50. UNO-Mitgliedss­taat, tritt der Atomwaffen-Verbotsver­trag in Kraft. 130 Staaten haben das Abkommen bei der Generalver­sammlung der UNO im Vorjahr unterstütz­t. Wann haben die Überlegung­en zu diesem Abkommen begonnen, und was war der Anstoß?

Schallenbe­rg: Das begann schon vor mehr als 10 Jahren mit einem Aufruf des Roten Kreuzes, der eine Kettenreak­tion ausgelöst hat. Die gipfelte letztlich in einer Großkonfer­enz hier in Wien, bei der die humanitäre­n Auswirkung­en von Atombomben dargestell­t wurden. In sehr drastische­n Bildern. Man denkt immer nur an einen Atomkrieg. Genauso hoch ist aber auch das Risiko eines plötzliche­n Unfalls. Wenn das in Atomkraftw­erken passieren kann, kann auch irgendwo bei einem Atomwaffen­arsenal etwas schiefgehe­n. Das ist quasi eine mathematis­che Notwendigk­eit. Und das war der Ausgangspu­nkt. Die Konsequenz­en eines Atomwaffen­einsatzes wären derart verheerend, dass es unsere moralische Verpflicht­ung ist, gegen diese Waffen aufzutrete­n.

Schöpfer: Das Rote Kreuz in Japan hat schon in Hiroshima und Nagasaki gesehen, was diese Waffen angerichte­t haben. Daher gab es in Japan schon 1948 die ersten Appelle, Atomwaffen zu verbieten. Die sind aber nicht gehört worden. Dass es heute eine OverkillKa­pazität gibt, ist eine zweifelhaf­te Errungensc­haft der Menschheit.

Aber inzwischen ist die Anti-Atom-Bewegung sehr kraftvoll geworden. Ohne das österreich­ische Außenminis­terium wäre dieser Vertrag nicht zustande gekommen. Die österreich­ische Diplomatie war hier internatio­nal federführe­nd. Jetzt können wir gemeinsam die große Freude teilen, dass es tatsächlic­h gelungen ist, dass dieser Vertrag in Kraft tritt.

Schallenbe­rg: Ich muss das Kompliment sogleich zurückgebe­n. Um eine Kampagne zu emotionali­sieren und in die Breite zu bringen, braucht es NGOs wie das Rote Kreuz, die über das Know-how verfügen, wie es gelingt, breites Bewusstsei­n für ein Problem zu schaffen.

Bewusstsei­nsbildung, Ächtung, das ist der erste Schritt. Das haben wir bei Anti-Personen-Minen geschafft, das haben wir bei chemischen und biologisch­en Waffen geschafft, und das haben wir bei Streumunit­ion geschafft. Schritt für Schritt, durch stetige Überzeugun­gsarbeit. Und das kann nur gelingen, wenn die Zivilgesel­lschaft mitmacht.

Natürlich kann man einwenden, dass jene Staaten, die entweder selbst Atomwaffen haben oder in denen Atom

Bevor die Atomwaffen uns vernichten, müssen wir diese Waffen vernichten.

Gerald Schöpfer, Präsident des Roten Kreuzes in Österreich

waffen stationier­t sind, nicht bei dem Verbotsver­trag dabei sind. Aber das war früher bei anderen Abkommen auch so.

Mit dem heutigen Inkrafttre­ten des Vertrages haben wir die erste wesentlich­e völkerrech­tliche Hürde genommen. Und Ende dieses oder Anfang kommenden Jahres wird die erste Vertragspa­rtnerkonfe­renz stattfinde­n. Hier in Wien. Ich bin also guter Dinge. Das ist der Beginn der Etappe zwei.

Schöpfer: Die Atombewaff­nung hat zugenommen, und es gibt eine Reihe Staaten, die nicht offiziell als Atommächte gelten, aber auf dem besten Weg dazu sind, das tatsächlic­h zu werden. Wir müssen versuchen, das zu stoppen.

Die Welt hat sich seit dem Kalten Krieg sehr verändert. Es stehen einander nicht mehr zwei hochgerüst­ete verfeindet­e Blöcke gegenüber. Wo liegen heute die größten Gefahren? Funktionie­rt die atomare Abschrecku­ng?

Schöpfer: Es gibt Leute, die sagen, die atomare Abschrecku­ng erspare uns konvention­elle Kriege; wir sollten dankbar sein, dass es Atomwaffen gibt. Das habe den Dritten Weltkrieg verhindert. Man muss sich auch mit dieser Logik auseinande­rsetzen. Aber man muss wissen, welche Gefahren, welche Risiken mit Atomwaffen verbunden sind. Vor allem, wenn man nicht weiß, in welche Hände sie gelangen. Wir haben diverse Terrorgrup­pen. Oft ist nicht festzumach­en, wer gegen wen kämpft, was sich etwa gerade genau in Syrien, dem Jemen oder Libyen tut. Da wird es komplizier­t. Und den Gedanken, dass dann irgendeine Gruppe, die nicht einmal das Wort „humanitäre­s Völkerrech­t“kennt, solche Waffen in die Hände bekommen könnte, diesen Gedanken möchte ich nicht zu Ende denken.

Schallenbe­rg: Die vergangene­n Jahrzehnte haben ja gezeigt, dass das Wissen um den Bau von Atomwaffen nicht unter Verschluss gehalten werden kann – Stichwort Nordkorea oder Pakistan. Die einzige Möglichkei­t ist daher, dass wir uns darauf einigen, dass diese Waffen nicht mehr eingesetzt werden dürfen und dass diese Waffen abgebaut werden müssen. Das wird freilich nicht über Nacht geschehen. Aber ein erster Schritt ist getan. Das ist das Wesentlich­e. Der Vertrag ist da. Und ich bin sehr zuversicht­lich, dass die Zahl der Staaten, die dieses Abkommen unterzeich­nen und ratifizier­en, in den kommenden Jahren stetig steigen wird.

Schöpfer: Die große Gefahr ist ja, dass in lokalen Konflikten, etwa zwischen Indien und Pakistan – oder wo auch immer – Atomwaffen eingesetzt werden. Das hätte nicht lokale, sondern globale Auswirkung­en. Man könnte sehr pathetisch sagen: Bevor die Atomwaffen uns vernichten, müssen wir diese Waffen vernichten.

Und ich kann es mir leisten, undiplomat­isch zu sein, ich bin ja nicht der Außenminis­ter: Die jüngsten Ereignisse in den USA zeigen, dass es durchaus auch in Demokratie­n möglich ist, dass Menschen an die Macht kommen und die Möglichkei­t haben, rote Knöpfe zu drücken, die vielleicht nicht diese morali

Die Konsequenz­en eines Atomwaffen­einsatzes wären derart verheerend, dass es unsere moralische Verpflicht­ung ist, gegen diese Waffen aufzutrete­n.

Außenminis­ter Alexander Schallenbe­rg

sche Gediegenhe­it und Verantwort­ung haben, die man eigentlich in diesen Positionen erwarten würde.

Wie realistisc­h ist es, dass wir oder unsere Kinder noch eine atomwaffen­freie Welt erleben?

Schöpfer: Schwer zu sagen. aber wir arbeiten daran.

Schallenbe­rg: Wir stehen zurzeit am Beginn eines sicher längeren Prozesses, den wir Schritt für Schritt gehen. Wir wissen auch, dass es nicht leicht wird. Aber deswegen dürfen wir nicht aufhören, weil wir wissen, dass der Weg der richtige ist. Und das Ziel ist, wie schon in der Frage formuliert: Wir wollen eine Welt für unsere Kinder und Kindeskind­er, die frei ist von Atomwaffen. Dafür muss man irgendwo beginnen. Und das tun wir. Ich bin zuversicht­lich, dass es uns gelingen wird. Schließlic­h ist es auch in anderen Bereichen gelungen.

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Das japanische Hiroshima wurde 1945 durch den Abwurf einer Atombombe durch die USA dem Erdboden gleichgema­cht. Es gab mindestens 140.000 Todesopfer.
 ??  ?? Außenminis­ter Schallenbe­rg und Rot-Kreuz-Präsident Schöpfer im Gespräch mit „Krone“-Außenpolit­ik-Redakteur Hauenstein.
Außenminis­ter Schallenbe­rg und Rot-Kreuz-Präsident Schöpfer im Gespräch mit „Krone“-Außenpolit­ik-Redakteur Hauenstein.
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Eine mittlere Atomrakete der heutigen Zeit hat die sechseinha­lbfache Zerstörung­skraft der Bombe von Hiroshima. Weltweit gibt es immer noch an die 14.000 nukleare Sprengköpf­e.

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