Der Kurtisane die Flügel gestutzt
An der Wien: Massenets „Thaïs“, Hussain, Konwitschny – ohne Publikum, für Ö1
An der Wien schwelgten die Kameras in den süßen Melodien von Massenets „Thaïs“. Dass alles nicht zu üppig wird, dafür sorgen Regisseur Peter Konwitschny und Ausstatter Johannes Leiacker. Klug fokussieren sie die unmögliche Liebe zwischen Thaïs und Athanaël, großartig gesungen von Nicole Chevalier und Josef Wagner.
Nicht nur Amor, der Ägyptens Superkurtisane umschwirrt, besitzt Flügel. Auch die Mönche tragen schwarze. Einer von ihnen, Athanaël, wird sich unters hedonistische Partyvolk wagen, um Thaïs zu Gott zu führen. Die Spaßgesellschaft trägt weiße Flügel, die Lustobjekte Thaïs und ihre Showgirls (ausgezeichnet: Carolina Lippo, Sofia Vinnik) sogar Revue-Gefieder. Ihre Religion ist die des Geldes und des Vergnügens. Ohne Wenn und Aber. Denn Engel „zweifeln nicht“, sind Boten einer Ideologie.
Genau das lässt Thaïs und Athanaël scheitern. Ihnen gehört Konwitschnys Sympathie. Josef Wagner gibt dem der Hure ver- und vom Glauben abfallenden Asketen seinen kernig virilen Bass. Nicole Chevalier taucht wie eine Chimäre der Lust aus dem Bühnenboden auf, um, religiös umnachtet, wieder in ihm zu versinken. Sie meistert die anspruchsvolle Partie kraftund respektvoll mit leuchtendem Sopran. Beide spielen sich die Seele aus dem Leib. Konwitschny zeigt das Stück mit seiner süffigen Musik und seinem kruden Text als berührendes, auch zwinkernd pointiertes Ringen um Liebe. Mit einfachsten Mitteln zaubern er und Johannes Leiacker faszinierende Bilder.
Kulminationspunkt ist die berühmte „Méditation“, wenn das Partyvolk (hervorragend: Arnold Schoenberg Chor), „Huhu“summend, den beiden die Flügel nimmt, ihnen die Menschwerdung ermöglicht. Athanaël erschießt Amor, und Nicias (passend: Roberto Saccà), der reiche Freier, befriedet die Meute mit Geldscheinen.
Leo Hussain und das ORF Radio-Symphonieorchester Wien finden die richtige Balance (Übertragung: Ö1, 23. 2.). Vielleicht kann „Thaïs“doch noch vor Publikum gezeigt werden.