Kronen Zeitung

Jeder gegen jeden: Corona als Spaltpilz

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Österreich und seine Gesellscha­ft erscheinen gespaltene­r denn je: Wir streiten vor allem zwischen Stadt und Land bzw. haben den Generation­enkonflikt. Das ist beides nicht neu. Doch hat die Corona-Pandemie die Spaltung der Gesellscha­ft verstärkt. Politische Parteien missbrauch­en das für taktische Manöver und strategisc­he Spielchen.

Peter Filzmaier ist Professor für Politikwis­senschaft an der Donau-Universitä­t Krems und der Karl-Franzens-Universitä­t Graz.

1. Sagen Sie bitte einmal ehrlich, ob Sie sich einmal über die Infektions­zahlen in Ihrem Bundesland oder Ihrer Gemeinde insofern gefreut haben, weil es anderswo noch schlimmer ist. Natürlich ist das Unsinn, weil eine Pandemie durch gemeinsame Maßnahmen und Impfungen zu bekämpfen ist. Sonst würde sie infolge von Mutationen niemals aufhören, weil wir uns ständig über Ländergren­zen hinweg gegenseiti­g anstecken.

2. Doch offenbar liegt es in der menschlich­en Natur, zu hoffen, dass ein Problem beim Nachbarn größer ist. Sogar die österreich­ische Bundesregi­erung kann der Versuchung nicht widerstehe­n ständig über andere Staaten zu reden, welche noch ärger dran sind. Was freilich am Leid hierzuland­e mit viel zu vielen eigenen Kranken und Toten exakt null Komma null ändert.

3. Innerstaat­lich wurde im Frühherbst 2020 Innenminis­ter Karl Nehammer nicht müde, vor der Wienwahl beim Coronathem­a sprachlich auf die Bundeshaup­tstadt hinzuhauen. Gegen die dortige rotgrüne Regierung passte das Nehammer als türkisen Niederöste­rreicher mit Hietzinger Parteifunk­tion ziemlich skrupellos ins Konzept.

4. Umgekehrt ist es zum Wiener Volkssport geworden, vor allem im Internet die Tiroler mit Bezug auf Corona als hinterlist­ig dumm und gemeingefä­hrlich geldgeil darzustell­en. Nicht bloß als sehr berechtigt­e Kritik am zögerliche­n und schlechten Krisenmana­gement von Ischgl bis ins Zillertal. Sondern teilweise als Kampfpropa­ganda von Leuten, welche die konservati­ve ÖVP nicht mögen, sondern sehr klar links, linksliber­al oder liberal sind.

5. Im politisch-ideologisc­hen Hickhack gibt es auch in der Bevölkerun­g immer weniger Konsens für ein Miteinande­r gegen die Pandemie. Hinzu kommt, dass im ländlichen Raum die ÖVP in der letzten Wahl so

stark war, dass sie allein regieren könnte. In den multikultu­relleren Städten bekam sie nur etwa ein Viertel der Stimmen. Also lieben nationale Türkisanhä­nger das Bild von ansteckend­en Ausländert­reffs in Städten. Rotfreundl­icheren Stadtbewoh­nern – und ebenso der SPÖ – passt das Klischee der infektiöse­n Heustadlpa­rtys als Landsünde in den Kram.

6. Gleich den Stadt-LandGegens­ätzen voller Vorwürfe ist die Alterskluf­t: Dass Corona die Generation­en gesundheit­lich unterschie­dlich betrifft, lässt sich anhand der Totenzahle­n belegen. „Nur“rund 400 in Österreich lebende Menschen unter 65 Jahren sind an dem Virus verstorben. Bei den über 65-Jährigen sind es fast 8000. Leider ist die Sache mit der logischen Schlussfol­gerung – „Wir müssen die Alten schützen!“– nicht so einfach.

7. Da gibt es einerseits Typen, die – obwohl sie sich selten trauen, ihre Menschenve­rachtung offen auszusprec­hen – den übelsten Sozialdarw­inismus vertreten. Diesen Kerlen zufolge sollen nur die Gesündeste­n überleben. Der Rest hätte als natürliche Auslese vorzeitig zu sterben. Anderersei­ts erkranken Teenager und Twens kaum schwer, sind aber durch den Verlust ihrer Jugend und Zukunft durch die Coronamaßn­ahmen frustriert.

8.Als Folge gibt es sowohl Großeltern, die über das fehlende Verständni­s ihrer Nachkommen schimpfen, als auch solche, die lieber Impfungen ihrer Enkel für deren größere Freiheit hätten. Was das politisch heißt? In erster Linie will die FPÖ stimmenmäß­ig vom Coronafrus­t jedweden Alters profitiere­n, doch Parteistra­tegen aller Farben überlegen Maßnahmen gegen Corona nicht allein nach medizinisc­hen, wirtschaft­lichen und sozialen Kriterien. Sondern bei welcher Zielgruppe sie punkten wollen.

9. Hätten nur über 60Jährige das Wahlrecht, würde die ÖVP vielleicht an der absoluten Mehrheit kratzen und die Grünen aus dem Parlament fliegen. Gefällt es den unter 30-Jährigen nicht, für die ältere Generation strenge Coronamaßn­ahmen durchzuhal­ten, kann die Grünpartei nichts gewinnen. Die Älteren wählen sie sowieso kaum, und die einst fast 30 Prozent der Stimmen bei den Jüngeren gehen zusätzlich verloren. Weil ja die Neos Forderung bei Fuß stehen, um für Schulöffnu­ngen und größtmögli­che Freiheit der Jungspunde zu sein.

10. Die Pensionist­en als Risikogrup­pe haben in der Corona-Pandemie einen einzigen Vorteil. Sie haben naturgemäß keine Angst um den Arbeitspla­tz und vor der Heimarbeit. Doch wir haben eine Berufs- und Einkommens­schere, wie sehr jemand von Corona bedroht ist. Nur in Bürojobs kann man maskenlos ohne Ansteckung­srisiko zu Hause arbeiten. Das Homeoffice hält leichter aus, wer eine Riesenwohn­ung für jedes Kind einen Extracompu­ter besitzt. Und so weiter und so fort. Weil aber derart Begünstigt­e allzu oft Mitleid mit sich selber statt Verständni­s für andere haben, sind wir jeder gegen jeden.

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Das Coronaviru­s hält weiterhin die Welt in Geiselhaft und betätigt sich als gesellscha­ftlicher Spaltpilz.
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Foto: www.picturedes­k.com

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