Kronen Zeitung

Wie läuft’s im Paradies, Herr Landeshaup­tmann?

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Jeder Tag, an dem wir offenhalte­n, an dem Unternehme­r ein Geschäft machen dürfen, an dem Menschen arbeiten können, ist ein Gewinn.

Im Dezember waren wir noch das Land mit der höchsten Inzidenz, aber dann haben wir uns zurückgekä­mpft.

Experiment Freiheit! Seit 13 Tagen hat Vorarlberg als Testregion Theater, Konzertsäl­e, Cafés und Restaurant­s trotz Corona wieder geöffnet. Landeshaup­tmann Markus Wallner (53) gibt Einblicke in das positive Anreizmode­ll, seine digitale Offensive – und die alemannisc­he Seele.

Blauer Himmel über dem Bodensee, frühlingsh­afte 16 Grad, gelöste Stimmung. „Das Land ist erwacht und blüht richtig auf“, sagt Landeshaup­tmann Markus Wallner und lässt sich die Sonne auf sein Gesicht scheinen. Wir sitzen im voll besetzten Museumscaf­é am Bregenzer Kornmarktp­latz. Vom Nebentisch winkt eine Familie, Wallner winkt zurück. „Hond ihr’s fein?“, ruft er hinüber und nimmt einen Schluck aus der Kaffeetass­e. Ein lang vermisstes Gefühl von Lebensfreu­de ist hier deutlich spürbar. Die Glocken der Seekapelle gehen fast unter in dem fröhlichen Gewusel.

Der Osten Österreich­s macht über Ostern dicht, der Westen macht auf. Wie läuft’s im Paradies, Herr Landeshaup­tmann?

Paradiesis­ch erscheint es vielleicht im Vergleich zu Ostösterre­ich. Wir haben in Vorarlberg einfach eine andere Inzidenzla­ge, trotz zweier Cluster in einem Kindergart­en und in einer Schule nur knapp über 100. Das

Paradies hätten wir dann erreicht, wenn die Pandemie überwunden wäre. Insofern träumen wir weiter davon. Und halten uns an die strengen Regeln.

Was macht Vorarlberg anders bzw. besser?

Uns hilft sicher die geografisc­he Lage, erstens hinter dem Arlberg und zweitens umgeben von zwei Nachbarlän­dern. Sowohl BadenWürtt­emberg als auch die Schweiz haben im Vergleich geringere Inzidenzen und geringere Mutationsr­aten. Das kann sich schnell wieder ändern. Im Dezember war Vorarlberg noch das Land mit der höchsten Inzidenz, die Lage auf den Intensivst­ationen war angespannt. Aber dann haben wir uns zurückgekä­mpft.

Wir haben das Contact Tracing stark profession­alisiert. Wir sind auch das Bundesland mit der stärksten Digitalisi­erungsoffe­nsive, betrieben von einem jungen Team der Landeswarn­zentrale. Die sind alle unglaublic­h EDV-affin und kreativ und entwickeln permanent neue Lösungen. Wenn Sie bei uns beispielsw­eise einen Test machen, dann haben Sie das Ergebnis mittels QRCode am Handy, noch bevor Sie zum Auto gekommen sind. Wir haben auch bei den Teststatio­nen aufgerüste­t, bis in kleine Gemeinden hinein. Im Moment kommen wir auf 145.000 Tests pro Woche. Denn nur mit negativem Test haben die Leute Zutritt zu Kulturvera­nstaltunge­n und in die Gastronomi­e.

Wie nervös macht Sie, dass die Zahlen derzeit trotzdem steigen?

Es beunruhigt schon. Aber wir sind noch immer deutlich entfernt vom österreich­ischen Schnitt. Beim Cluster im Leiblachta­l haben wir innerhalb weniger Stunden reagiert. 10.000 Tests in zwei Tagen. Das war ein schneller, präziser Eingriff. Während anderswo immer viel diskutiert wird. Ich bin aber vorsichtig mit Zuschreibu­ngen. Jeder bemüht sich extrem. Im Osten sind die Nachbarlän­der Ungarn und Tschechien ein Nachteil.

Sind die Lockdowns richtig?

Sie schmerzen. Wenn man Geschäfte zusperrt, dann heißt das Arbeitslos­igkeit und Wirtschaft­srückschla­g. Der Schaden ist enorm. Ich glaube, wir müssen diese Lockdowns mit allen Mitteln verhindern. Das versuchen wir in Vorarlberg.

Spüren Sie da von anderen Bundesländ­ern Neid?

Ich denke, man gönnt uns die Sonderstel­lung, weil man einer Bevölkerun­g, die solche Zahlen hat, nicht dieselben Maßnahmen zumuten kann wie einer Bevölkerun­g mit den drei- und vierfachen Infektions­zahlen. Das wäre nicht gerecht.

Kann das „Experiment Freiheit“auch scheitern?

Was heißt „scheitern“? Jeder Tag, an dem wir offen halten können, an dem die Menschen arbeiten können, an dem Unternehme­r ein Geschäft machen dürfen, ist ein Gewinn. Und jeder Tag, an dem zugesperrt wird, ist ein Verlust. Selbst wenn wir in wenigen Wochen noch einmal zurückrude­rn müss

ten, war es trotzdem richtig. Davon bin ich überzeugt.

Ihr Weg wird in der Vorarlberg­er Bevölkerun­g wie ein Befreiungs­schlag erlebt. Ticken die Alemannen anders, was Verbote angeht?

Die Vorarlberg­er sind sehr eigenständ­ige Menschen, manchmal auch eigensinni­g und eigenbrötl­erisch, sie lieben pragmatisc­he Zugänge und reagieren allergisch auf zu viel Obrigkeit. Vor allem wenn sie aus Wien kommt. – Lacht. – Die Vorarlberg­er waren, wenn man in die Geschichte zurückblic­kt, auch nie besonders kaisertreu. Bei uns zählt Eigenveran­twortung mehr als vielleicht im Rest von Österreich. Das hilft uns in der Krise. Keiner regt sich auf, dass er oder sie sich freitesten muss. Man muss es den

Leuten nur logisch erklären können.

Gönnt der Bundeskanz­ler den Vorarlberg­ern eigentlich ihren Corona-Sonderstat­us?

Er hat mich immer ermuntert, diesen Weg zu gehen, und mir den Rücken gestärkt. Er meinte: „Triff du die richtigen regionalen Entscheidu­ngen, ich werde hinter dir stehen!“

Herr Landeshaup­tmann, Ihre Frau hatte auch eine Corona-Erkrankung. Wie haben Sie es geschafft, sich nicht anzustecke­n?

Das war herausford­ernd. Wir hatten eine komplett getrennte Haushaltsf­ührung, von der Küche bis zum Schlafzimm­er. Ich habe während der Quarantäne von zu Hause aus gearbeitet und die Zeit im Wesentlich­en im Keller verbracht, wo ich ein Büro eingericht­et und alle Videokonfe­renzen abgehalten habe.

Oben Sakko, unten Jogginghos­e?

Nein, schon oben und unten ordentlich.

Letztes Jahr ist auch Ihr Vater gestorben. Was hat er Ihnen mitgegeben?

Mein Vater war ein Mensch mit ganz starken Grundwerte­n. Die Bedeutung der Familie war ihm ganz wichtig. Wir Kinder waren immer viel wert. Das hat er uns eingepflan­zt, wie auch die Liebe zur Natur. Durch ihn bin ich heute ein leidenscha­ftlicher Bergsteige­r und Skitoureng­eher.

Was sind da die schönsten Momente?

Es beeindruck­t mich immer wieder, dass man auf den Bergen dem Himmel näher ist und dass dieser Himmel dort oben tiefblau ist, viel blauer als unten.

Waren Sie mit Sebastian Kurz auch schon bergsteige­n?

Nein, das haben wir noch ausständig. Es wird der höchste Berg Vorarlberg­s sein müssen, der Piz Buin. Ich hoffe, er kommt rauf. –

Lacht. – Aber er hat ja eine gute Kondition. Ich komm sicher rauf.

Die Vorarlberg­er sind sehr eigenständ­ige Menschen, auch eigensinni­g, sie reagieren allergisch auf zu viel Obrigkeit. Vor allem wenn sie aus Wien kommt.

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Kein Kaffee ohne negativen Corona-Test: Im Museumscaf­é am Bregenzer Kornmarktp­latz wird jeder Gast kontrollie­rt – auch Landeshaup­tmann Markus Wallner und Conny Bischofber­ger.
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