Deshalb müssen die Spiele weitergehen
Dieses Wochenende findet im slowenischen Planica das sportliche Ende des Winters statt. Rund 50 Männer versuchen auf der Flugschanze den Folgen der Coronapandemie mehr als 200 Meter davonzuspringen. Doch wie sieht eine Bilanz des heurigen Sportwinters vor diesem traurigen Hintergrund aus?
Die Spiele müssen weitergehen! So hieß es nach dem Terroranschlag bei den Olympischen Spielen 1972 in München. Sportorganisationen und Regierungen wollten sich nach dem Attentat eines palästinensischen Kommandos mit elf getöteten Mitgliedern der israelischen Mannschaft keiner politischen Erpressung beugen. Kritiker meinten, dass man vor allem die Show und das Geschäft mit den Sportmillionen fortführen wollte.
Machen wir Fans von Vincent Kriechmayr, Katharina Liensberger, Stefan Kraft & Co. uns nichts vor. Die Gretchenfrage des Wintersports in der Coronasaison war vom Prinzip her dieselbe. Nur dass eben keine Todesgefahr durch Terroristen bestand, sondern es um das Risiko vieler Toten durch ein Virus ging. Soll man sportliche Großveranstaltungen – also Weltcups und Weltmeisterschaften auf Skiern – abhalten oder absagen? Bei jeder Nichtabsage steht automatisch der Vorwurf im Raum, dass es (auch) ums Geld geht.
Obwohl Herr Corona und Frau Virus nicht am Verhandlungstisch saßen, wurde seitens der Funktionäre im Sport sowie von Politikern und Verwaltungsbeamten ein Kompromiss vereinbart. Skirennen fanden statt, dafür gab es Sicherheitskonzepte und keine Zuschauer. Diese Entscheidung war keineswegs einheitlich. In den Alpen wurde um die Wette gewedelt und Marco Schwarz als in Summe schnellster Wedler gefeiert. Norwegen hingegen verbot das Gleiten, Skaten und Springen im Schnee.
Die im hohen Norden als Nationalhelden verehrten Langläufer – mit Johannes Kläbö und Therese Johaug an der Spitze – stiegen sogar anders als die alpinen Athleten zwischenzeitlich aus dem Weltcup aus. Sie verzichteten auf einen nahezu sicheren Gesamtsieg. Das machte kein österreichischer Skiläufer, obgleich es „nur“um Disziplinensiege ging. Im Gegenteil: Neben dem sehr verständlichen Wunsch, ihren Beruf ausüben zu können, machten heimische Skisportler schon ein wenig den Eindruck, sich beim Thema Corona einem möglichst allgemeinen „Verbandssprech“anzupassen, um bloß nicht irgendwo anzuecken.
Im erwähnten Norwegen gibt es bisher weniger als 700 Coronatote, in Österreich sind es über 9000. Selbst bei Berücksichtigung der unterschiedlichen Einwohnerzahl haben „wir“fast
neunmal mehr am Virus verstorbene Menschen. Sind da die Skifahrer und vor allem Skiverbände im Doppelpass mit der Politik mitschuldig? Eine auf die Schnelle bejahende Antwort darauf ist sowohl allzu einfach als auch billig und populistisch.
Die Profisportler gerieten zu Unrecht in eine emotional geführte Diskussion über trotz Corona für Freizeitvergnügen geöffnete Skilifte. Was zwei verschiedene Paar Skischuhe sind. Man darf seitens der Verbände durchaus argumentieren, dass vom Handel bis zu den dabei erfolglosen Kulturbetrieben jede Interessengruppe um die Ermöglichung ihrer Berufswelt trotz Corona
kämpft. Soll man das allein Sportfunktionären und Sportlern vorwerfen? Nein.
Zudem ist die Gesamtbilanz des Coronawinters differenziert zu beurteilen. Die meisten Events konnten ohne große Cluster von Infizierten abgehalten werden. Jedenfalls nicht so sehr wie kürzlich bei den Halleneuropameisterschaften der Leichtathleten. Demgegenüber stand zum Beispiel eine Ansteckungswelle bei unseren Skispringern und den Langläufern aus Italien. Der polemische Vorwurf von Skisiegern als riesige Virenschleudern stimmt aber trotzdem so nicht.
Was man sagen muss: Sportlich wurde viel mehr geleistet, als man erträumt hätte. Wer hat mit solchen Jubelschlagzeilen gerechnet: Stefan Kraft wird mit Rückenschmerzen Weltmeister auf der Großschanze! Katharina Liensberger schlägt im Slalom Mikaela Shiffrin und Petra Vlhova! Vincent Kriechmayr holt wie Liensberger zwei Goldmedaillen und macht mit ihnen Österreich zum erfolgreichsten Land!
Nach einem lange sieglosen Saisonauftakt und trotz Verlust des Nationencups an die Schweiz war das Balsam auf die Wunden eines Staates, der sein Selbstwertgefühl gerne als Skination Nummer
eins definiert. Was freilich nicht passieren darf: Dass der in jeder Hinsicht glücklich überstandene Winter zur Leichtfertigkeit verführt.
Von der „Euro“der Fußballer sind Pläne zu lesen, im Juni 30.000 Fans ins Stadion zu lassen. Da läuft es einem angesichts der europäischen Coronazahlen kalt über den Rücken. Weil sich derzeit insbesondere junge Menschen anstecken, werden sich stattdessen – was für Kitzbühel zugegeben eine Katastrophe wäre –, auch die Skifahrer vor dem nächsten Winter aufs Neue verantwortungsvoll überlegen müssen, ob und wie viel mehr als reiner Fernsehsport möglich ist.