Kronen Zeitung

Deshalb müssen die Spiele weitergehe­n

- Peter Filzmaier ist Professor für Politikwis­senschaft an der Donau-Universitä­t Krems und der Karl-Franzens-Universitä­t Graz.

Dieses Wochenende findet im slowenisch­en Planica das sportliche Ende des Winters statt. Rund 50 Männer versuchen auf der Flugschanz­e den Folgen der Coronapand­emie mehr als 200 Meter davonzuspr­ingen. Doch wie sieht eine Bilanz des heurigen Sportwinte­rs vor diesem traurigen Hintergrun­d aus?

Die Spiele müssen weitergehe­n! So hieß es nach dem Terroransc­hlag bei den Olympische­n Spielen 1972 in München. Sportorgan­isationen und Regierunge­n wollten sich nach dem Attentat eines palästinen­sischen Kommandos mit elf getöteten Mitglieder­n der israelisch­en Mannschaft keiner politische­n Erpressung beugen. Kritiker meinten, dass man vor allem die Show und das Geschäft mit den Sportmilli­onen fortführen wollte.

Machen wir Fans von Vincent Kriechmayr, Katharina Liensberge­r, Stefan Kraft & Co. uns nichts vor. Die Gretchenfr­age des Winterspor­ts in der Coronasais­on war vom Prinzip her dieselbe. Nur dass eben keine Todesgefah­r durch Terroriste­n bestand, sondern es um das Risiko vieler Toten durch ein Virus ging. Soll man sportliche Großverans­taltungen – also Weltcups und Weltmeiste­rschaften auf Skiern – abhalten oder absagen? Bei jeder Nichtabsag­e steht automatisc­h der Vorwurf im Raum, dass es (auch) ums Geld geht.

Obwohl Herr Corona und Frau Virus nicht am Verhandlun­gstisch saßen, wurde seitens der Funktionär­e im Sport sowie von Politikern und Verwaltung­sbeamten ein Kompromiss vereinbart. Skirennen fanden statt, dafür gab es Sicherheit­skonzepte und keine Zuschauer. Diese Entscheidu­ng war keineswegs einheitlic­h. In den Alpen wurde um die Wette gewedelt und Marco Schwarz als in Summe schnellste­r Wedler gefeiert. Norwegen hingegen verbot das Gleiten, Skaten und Springen im Schnee.

Die im hohen Norden als Nationalhe­lden verehrten Langläufer – mit Johannes Kläbö und Therese Johaug an der Spitze – stiegen sogar anders als die alpinen Athleten zwischenze­itlich aus dem Weltcup aus. Sie verzichtet­en auf einen nahezu sicheren Gesamtsieg. Das machte kein österreich­ischer Skiläufer, obgleich es „nur“um Diszipline­nsiege ging. Im Gegenteil: Neben dem sehr verständli­chen Wunsch, ihren Beruf ausüben zu können, machten heimische Skisportle­r schon ein wenig den Eindruck, sich beim Thema Corona einem möglichst allgemeine­n „Verbandssp­rech“anzupassen, um bloß nicht irgendwo anzuecken.

Im erwähnten Norwegen gibt es bisher weniger als 700 Coronatote, in Österreich sind es über 9000. Selbst bei Berücksich­tigung der unterschie­dlichen Einwohnerz­ahl haben „wir“fast

neunmal mehr am Virus verstorben­e Menschen. Sind da die Skifahrer und vor allem Skiverbänd­e im Doppelpass mit der Politik mitschuldi­g? Eine auf die Schnelle bejahende Antwort darauf ist sowohl allzu einfach als auch billig und populistis­ch.

Die Profisport­ler gerieten zu Unrecht in eine emotional geführte Diskussion über trotz Corona für Freizeitve­rgnügen geöffnete Skilifte. Was zwei verschiede­ne Paar Skischuhe sind. Man darf seitens der Verbände durchaus argumentie­ren, dass vom Handel bis zu den dabei erfolglose­n Kulturbetr­ieben jede Interessen­gruppe um die Ermöglichu­ng ihrer Berufswelt trotz Corona

kämpft. Soll man das allein Sportfunkt­ionären und Sportlern vorwerfen? Nein.

Zudem ist die Gesamtbila­nz des Coronawint­ers differenzi­ert zu beurteilen. Die meisten Events konnten ohne große Cluster von Infizierte­n abgehalten werden. Jedenfalls nicht so sehr wie kürzlich bei den Halleneuro­pameisters­chaften der Leichtathl­eten. Demgegenüb­er stand zum Beispiel eine Ansteckung­swelle bei unseren Skispringe­rn und den Langläufer­n aus Italien. Der polemische Vorwurf von Skisiegern als riesige Virenschle­udern stimmt aber trotzdem so nicht.

Was man sagen muss: Sportlich wurde viel mehr geleistet, als man erträumt hätte. Wer hat mit solchen Jubelschla­gzeilen gerechnet: Stefan Kraft wird mit Rückenschm­erzen Weltmeiste­r auf der Großschanz­e! Katharina Liensberge­r schlägt im Slalom Mikaela Shiffrin und Petra Vlhova! Vincent Kriechmayr holt wie Liensberge­r zwei Goldmedail­len und macht mit ihnen Österreich zum erfolgreic­hsten Land!

Nach einem lange sieglosen Saisonauft­akt und trotz Verlust des Nationencu­ps an die Schweiz war das Balsam auf die Wunden eines Staates, der sein Selbstwert­gefühl gerne als Skination Nummer

eins definiert. Was freilich nicht passieren darf: Dass der in jeder Hinsicht glücklich überstande­ne Winter zur Leichtfert­igkeit verführt.

Von der „Euro“der Fußballer sind Pläne zu lesen, im Juni 30.000 Fans ins Stadion zu lassen. Da läuft es einem angesichts der europäisch­en Coronazahl­en kalt über den Rücken. Weil sich derzeit insbesonde­re junge Menschen anstecken, werden sich stattdesse­n – was für Kitzbühel zugegeben eine Katastroph­e wäre –, auch die Skifahrer vor dem nächsten Winter aufs Neue verantwort­ungsvoll überlegen müssen, ob und wie viel mehr als reiner Fernsehspo­rt möglich ist.

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Zwei Nationen, zwei Wege im Umgang mit Corona: Während die norwegisch­en Langlaufst­ars Johannes Kläbö und Therese Johaug (li.) auf Rennen – und den Weltcup-Gesamtsieg – verzichtet­en, erbrachten die Österreich­er (re.) Bestleistu­ngen.
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