Kronen Zeitung

Wir sind wieder zu spät dran!

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In den Krimis von Wolf Haas heißt es: „Jetzt ist schon wieder was passiert.“Was leider auch für die Corona-Pandemie zutrifft. Die Infektions­fälle sind explodiert, die Krankenhäu­ser überfüllt. Nachdem die Bundesregi­erung lange Zeit nur über den schönen Sommer reden wollte, kommt nun 2 G. In unserer „Krone“-Serie spricht Politikwis­senschafte­r Peter Filzmaier mit dem Top-Infektiolo­gen Florian Thalhammer über die leidvolle Thematik.

W

issen Sie, dass ich vor unseren Gesprächen inzwischen immer an Mike Ryan, den Direktor in der Weltgesund­heitsorgan­isation, denken muss?

Florian Thalhammer: Nein.

Warum?

Ryan betont stets die Wichtigkei­t von sofortigen Maßnahmen gegen das Virus. Sonst sei man immer zu spät dran. Er beklagt, dass Politiker zu wenig auf seine Warnungen hören würden. Auch Sie haben bereits im Spätsommer nachdrückl­ich vor der bevorstehe­nden Überlastun­g der Krankenhäu­ser gewarnt. War Österreich mit dem Stufenplan der Bundesregi­erung für neue Maßnahmen also zu spät dran, wenn jetzt 2 G – man muss geimpft oder genesen sein – vorgezogen wird?

Im Sommer haben wir beide schon alle Maßnahmen zur Vermeidung von Risikofakt­oren, die Impfquote sowie mögliche Behandlung­en und Medikament­e besprochen. Jetzt haben wir die vierte Welle, und alle diskutiere­n immer noch, was man tun soll.

Ja, Sie haben damals betont, dass neben möglichst vielen Impfungen rechtzeiti­ge Behandlung­en die Wahrschein­lichkeit eines schweren Verlaufs stark verringern könnten . . .

Die politisch Verantwort­lichen streiten, wer zahlen soll. Zur Erinnerung: EIN Tag Lockdown kostet 190

Millionen Euro, EIN Tag auf der Intensivst­ation 3500 Euro, EINE Gabe eines monklonale­n Antikörper­s 2000 Euro und EINE Therapie mit Molnupirav­ir etwa 620 Euro. In Großbritan­nien wurde dieses Medikament soeben zugelassen, bei uns nicht. Es reduziert bis zum dritten Tag der Behandlung die Virusaussc­heidung um 95 Prozent. Das kann jeder in unseren früheren Interviews nachlesen.

Ja, wir sind wieder zu spät dran und hinken ständig hintennach.

Ich lerne gerade, wo abgesehen von 2 G viel mehr getan werden müsste. Doch die meisten in Österreich lebenden Menschen wurden im Frühjahr zweimal geimpft. Wie gut sind sie geschützt?

Inzwischen wissen wir besser, wie gut und wie lange die Impfstoffe wirken. Daher ist es erforderli­ch, dass sich alle zweifach Geimpften nach sechs Monaten den dritten Stich verabreich­en lassen. Die Grundimmun­isierung besteht wie bei der Zeckenimpf­ung aus drei Teilimpfun­gen.

Ich will als Geimpfter weder einen milden Verlauf haben noch Ungeimpfte anstecken. Wie soll ich mich im Alltag verantwort­ungsvoll verhalten? Gibt es etwas, das Sie über die bestehende­n Vorschrift­en hinaus empfehlen würden?

Ja, Sie dürfen raten.

Maske tragen!

Richtig, die Maske. In der jetzigen Situation benötigen wir in Risikobere­ichen mit vielen Menschen auf engem Platz die Maske, im Gesundheit­sbereich sowieso. Und noch etwas: Erkäl

tungskrank­heiten voneinande­r zu unterschei­den, das kann schwierig sein. Wenn wir jetzt bei trübem Novemberwe­tter Husten oder Schnupfen haben, soll man sich zusätzlich testen lassen.

Wie sieht die Sache aus, wenn ich bereits eine dritte Impfung habe? Was ändert sich für mich?

Im Alltag leider noch wenig. Sie dürfen bei einer 2G-Regelung ins Gasthaus essen gehen, während die nur Getesteten ohne Impfung oder Genesung vor der Tür bleiben müssen. Theoretisc­h.

Auf die Kontrollen bin ich gespannt. Sie haben nach der Drittimpfu­ng aber auch ein deutlich niedrigere­s Risiko, an Corona zu erkranken, als alle anderen. Das ist doch was, auch wenn es kein Persilsche­in ist.

In Israel, von Politikern gerne als Vorbildlan­d genannt, muss sich jeder allerspäte­stens – also am besten früher – sechs Monate nach dem Zweitstich die dritte Impfung holen. Wir haben in Österreich monatelang nicht reagiert und lange Zeit solche Drittimpfu­ngen erst nach neun bis zwölf Monaten empfohlen. Auch jetzt gilt für 2 G der Grüne Pass unveränder­t neun Monate bis zum dritten Stich. Wie soll ich mich da als medizinisc­her Laie auskennen? Das Virus ist ja in Israel dasselbe wie bei uns, oder?

Natürlich. Israel ist leider krisen- und kriegserpr­obter als wir, dafür fallen Entscheidu­ngen schneller und konsequent­er.

Wir scheinen die Meinung zu vertreten: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass.

Ich hätte aus meinem Fachgebiet, der öffentlich­en Kommunikat­ion, ebenfalls ein Beispiel der Widersprüc­he. In Portugal haben schon vor Monaten alle Bürger ein Einladungs­schreiben mit einem fixen Impftermin bekommen, obwohl dieser nicht verpflicht­end war. Bei uns soll das seitens der Gesundheit­skasse erstmals im Dezember passieren. Viele Monate später und ohne konkreten Termin . . .

Wasser auf meine Mühlen. Datenschut­z ist extrem wichtig, aber die Bürokratie darf nicht zum Hemmschuh werden. Ja, Einladungs­briefe wären sicher unterstütz­end gewesen.

Als Politikwis­senschafte­r stimme ich hier dem Chef des Roten Kreuzes zu, der sinngemäß sagte: Entweder wir haben bei der Pandemiebe­kämpfung so komplizier­te bürokratis­che Vorschrift­en und Prozesse, dass man diese seitens der Politik schleunigs­t ändern müsste. Oder das mit den Vorschrift­en ist nur eine Ausrede, weil Bürokraten zu langsam sind. Dann müsste man beim Personal dringend etwas ändern. Halten Sie als Arzt die lange unterschie­dlichen Regeln je nach Bundesland für sinnvoll?

Eine Lehre müssen wir aus der Pandemie ziehen. Richtlinie­n und Vorgangswe­isen müssen in ganz Österreich trotz Föderalism­us einheitlic­h sein, wir haben einen Fleckerlte­ppich geschaffen. Eigentlich eine Katastroph­e, es kennt sich keiner mehr aus, und die Außenwirku­ng ist katastroph­al. Jeder denkt sich, ich kann es mir aussuchen, die oben wissen es ja auch nicht.

Was nun? Wie lautet Ihre Prognose für die Entwicklun­g bis Jahresende und darüber hinaus?

Ich gebe keine Prognosen mehr ab. Jedoch gebe ich die Hoffnung nicht auf, dass wir lernfähig sind, die Bevölkerun­g sich regelmäßig impfen lässt – auch gegen die Grippe – und die Therapiemö­glichkeite­n großzügig eingesetzt werden.

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