Grätzln der Gemeinschaft
An verschiedenen Orten Wiens entstehen gerade sogenannte „Supergrätzln“. Was man darunter versteht und wie diese Oasen der Großstadt mehr Lebensqualität bringen, wird hier erklärt.
Seit einiger Zeit geistert ein Begriff durch Wien, der verheißungsvoll klingt: das „Supergrätzl“. Die Idee dahinter hört sich tatsächlich ziemlich „super“an, geht es doch um eine Verbesserung der Lebensqualität in den kleinen Einheiten – vulgo Grätzln – innerhalb der Großstadt. Der Grundgedanke kommt ursprünglich aus Barcelona, wo das Prinzip unter dem Namen „Superblock“bekannt ist und bereits mehrfach erfolgreich umgesetzt wurde. Wien hat die Idee aufgegriffen, leicht adaptiert und einen Namen gefunden, der irgendwie besser zur Stadt passt. Wie aber darf man sich so ein Supergrätzl nun vorstellen?
Super-Konzept
In einem Supergrätzl werden die Straßen und Gassen von Wohngebieten komplett neu gestaltet. Der Durchzugsverkehr wird durch verschiedene Maßnahmen unterbunden, es entstehen verkehrsberuhigte Bereiche, in denen das Gehen und Radfahren erleichtert wird. Dennoch können bestehende Garagen und Hauszufahrten mit dem Auto weiterhin angefahren werden – von Anwohnern, Einsatzfahrzeugen, der Müllabfuhr oder dem Lieferantenverkehr.
Gleichzeitig werden die verkehrsberuhigten Bereiche mit nachbarschaftlichem Leben erfüllt. Es wird Raum geschaffen für Aufenthaltsbereiche, Bäume, Begrünung, Stadtmöbel, Fassadenbewuchs, Beschattungsund
Wasserelemente etc. Klimaschädliche Oberflächenversiegelungen werden aufgebrochen. An heißen Sommertagen darf hier endlich aufgeatmet werden.
Mitten im Zehnten
Die Umsetzung von Supergrätzln steht im Koalitionsabkommen der Wiener Stadtregierung festgeschrieben. Erste Schritte in diese Richtung sind auch schon gesetzt worden. Ein Projekt im Volkertviertel (2. Bezirk) musste zwar vorerst auf Eis gelegt werden, weil es im Bezirk derzeit einfach am Geld fehlt. Ein Pilotprojekt in Favoriten – es geht um die Häuserblocks zwischen Gudrunstraße, Leebgasse,
Quellenstraße und Neilreichgasse – nimmt hingegen bereits recht konkrete Formen an. Das Gebiet bringt die idealen Voraussetzungen für einen Pilotversuch mit, denn dieser dicht besiedelte Teil Wiens ist im Sommer stark von Hitze belastet. Zudem befinden sich hier die Mittelschule Herzgasse sowie mehrere Kindergärten – ein Grund mehr, die Verkehrssicherheit vor Ort zu erhöhen.
Im September gab es für Anwohner im Rahmen einer Informationsveranstaltung unter freiem Himmel die Möglichkeit, sich ein anschauliches Bild vom Konzept Supergrätzl zu machen und eigene Ideen einzubringen.
Bis Ende des Jahres wird nun ein Entwicklungskonzept ausgearbeitet und eine Testphase eingeleitet, „in der ab 2022 die Umsetzung vorbereitet werden soll“, wie es von Seiten der Stadt heißt.
Bevölkerung mitnehmen
Die Einbeziehung der Bewohnerinnen und Bewohner vor Ort ist ein ganz wichtiger Punkt für die Akzeptanz der neu entstehenden Supergrätzln. Die Umsetzung „verkehrsberuhigender Maßnahmen“ist – wie man sich unschwer vorstellen kann – eine recht heikle Sache. Erstaunlicherweise sind die Rückmeldungen aus der Bevölkerung bei verschiedenen
Befragungen bisher aber überwiegend positiv.
Schon gibt es in Wien immer mehr Menschen, die selbst aktiv werden, um das Supergrätzl vor der eigenen Haustüre zu verwirklichen. Eine Bürgerinitiative im 9. Bezirk hat die Umwandlung des Servitenviertels in ein Supergrätzl angeregt. Eine andere Initiative hat den Josefstädter Klimaschutzpreis mit einem Supergrätzl-Projekt für den 8. Bezirk gewonnen. Jetzt wollen die Initiatoren das Projekt auch Wirklichkeit werden lassen.
Mei Meidling
Ein weiteres Projekt im 12. Bezirk ist bereits weit vorangeschritten. Schon seit 2020
setzt sich der Verein „Mei Meidling“für die Umsetzung eines „Supergrätzls Untermeidling“im Bereich Ignazgasse bis Bendlgasse ein. Im vergangenen August wurde das Konzept beim Klima-Grätzl-Fest der Initiatoren zwei Tage lang im „Echtbetrieb“mit großem Erfolg getestet. Die Straßen wurden für alle geöffnet, Pflanzentöpfe wurden aufgestellt. Kinder konnten sicher auf der Straße spielen, während Erwachsene in gemütlicher Atmosphäre neue Kontakte mit Nachbarn geknüpft haben. Es scheint, als ob die Zeit für die lebenswerten Supergrätzln in der Stadt überreif ist.