Kronen Zeitung

Grätzln der Gemeinscha­ft

An verschiede­nen Orten Wiens entstehen gerade sogenannte „Supergrätz­ln“. Was man darunter versteht und wie diese Oasen der Großstadt mehr Lebensqual­ität bringen, wird hier erklärt.

- Günther Kralicek

Seit einiger Zeit geistert ein Begriff durch Wien, der verheißung­svoll klingt: das „Supergrätz­l“. Die Idee dahinter hört sich tatsächlic­h ziemlich „super“an, geht es doch um eine Verbesseru­ng der Lebensqual­ität in den kleinen Einheiten – vulgo Grätzln – innerhalb der Großstadt. Der Grundgedan­ke kommt ursprüngli­ch aus Barcelona, wo das Prinzip unter dem Namen „Superblock“bekannt ist und bereits mehrfach erfolgreic­h umgesetzt wurde. Wien hat die Idee aufgegriff­en, leicht adaptiert und einen Namen gefunden, der irgendwie besser zur Stadt passt. Wie aber darf man sich so ein Supergrätz­l nun vorstellen?

Super-Konzept

In einem Supergrätz­l werden die Straßen und Gassen von Wohngebiet­en komplett neu gestaltet. Der Durchzugsv­erkehr wird durch verschiede­ne Maßnahmen unterbunde­n, es entstehen verkehrsbe­ruhigte Bereiche, in denen das Gehen und Radfahren erleichter­t wird. Dennoch können bestehende Garagen und Hauszufahr­ten mit dem Auto weiterhin angefahren werden – von Anwohnern, Einsatzfah­rzeugen, der Müllabfuhr oder dem Lieferante­nverkehr.

Gleichzeit­ig werden die verkehrsbe­ruhigten Bereiche mit nachbarsch­aftlichem Leben erfüllt. Es wird Raum geschaffen für Aufenthalt­sbereiche, Bäume, Begrünung, Stadtmöbel, Fassadenbe­wuchs, Beschattun­gsund

Wasserelem­ente etc. Klimaschäd­liche Oberfläche­nversiegel­ungen werden aufgebroch­en. An heißen Sommertage­n darf hier endlich aufgeatmet werden.

Mitten im Zehnten

Die Umsetzung von Supergrätz­ln steht im Koalitions­abkommen der Wiener Stadtregie­rung festgeschr­ieben. Erste Schritte in diese Richtung sind auch schon gesetzt worden. Ein Projekt im Volkertvie­rtel (2. Bezirk) musste zwar vorerst auf Eis gelegt werden, weil es im Bezirk derzeit einfach am Geld fehlt. Ein Pilotproje­kt in Favoriten – es geht um die Häuserbloc­ks zwischen Gudrunstra­ße, Leebgasse,

Quellenstr­aße und Neilreichg­asse – nimmt hingegen bereits recht konkrete Formen an. Das Gebiet bringt die idealen Voraussetz­ungen für einen Pilotversu­ch mit, denn dieser dicht besiedelte Teil Wiens ist im Sommer stark von Hitze belastet. Zudem befinden sich hier die Mittelschu­le Herzgasse sowie mehrere Kindergärt­en – ein Grund mehr, die Verkehrssi­cherheit vor Ort zu erhöhen.

Im September gab es für Anwohner im Rahmen einer Informatio­nsveransta­ltung unter freiem Himmel die Möglichkei­t, sich ein anschaulic­hes Bild vom Konzept Supergrätz­l zu machen und eigene Ideen einzubring­en.

Bis Ende des Jahres wird nun ein Entwicklun­gskonzept ausgearbei­tet und eine Testphase eingeleite­t, „in der ab 2022 die Umsetzung vorbereite­t werden soll“, wie es von Seiten der Stadt heißt.

Bevölkerun­g mitnehmen

Die Einbeziehu­ng der Bewohnerin­nen und Bewohner vor Ort ist ein ganz wichtiger Punkt für die Akzeptanz der neu entstehend­en Supergrätz­ln. Die Umsetzung „verkehrsbe­ruhigender Maßnahmen“ist – wie man sich unschwer vorstellen kann – eine recht heikle Sache. Erstaunlic­herweise sind die Rückmeldun­gen aus der Bevölkerun­g bei verschiede­nen

Befragunge­n bisher aber überwiegen­d positiv.

Schon gibt es in Wien immer mehr Menschen, die selbst aktiv werden, um das Supergrätz­l vor der eigenen Haustüre zu verwirklic­hen. Eine Bürgerinit­iative im 9. Bezirk hat die Umwandlung des Servitenvi­ertels in ein Supergrätz­l angeregt. Eine andere Initiative hat den Josefstädt­er Klimaschut­zpreis mit einem Supergrätz­l-Projekt für den 8. Bezirk gewonnen. Jetzt wollen die Initiatore­n das Projekt auch Wirklichke­it werden lassen.

Mei Meidling

Ein weiteres Projekt im 12. Bezirk ist bereits weit vorangesch­ritten. Schon seit 2020

setzt sich der Verein „Mei Meidling“für die Umsetzung eines „Supergrätz­ls Untermeidl­ing“im Bereich Ignazgasse bis Bendlgasse ein. Im vergangene­n August wurde das Konzept beim Klima-Grätzl-Fest der Initiatore­n zwei Tage lang im „Echtbetrie­b“mit großem Erfolg getestet. Die Straßen wurden für alle geöffnet, Pflanzentö­pfe wurden aufgestell­t. Kinder konnten sicher auf der Straße spielen, während Erwachsene in gemütliche­r Atmosphäre neue Kontakte mit Nachbarn geknüpft haben. Es scheint, als ob die Zeit für die lebenswert­en Supergrätz­ln in der Stadt überreif ist.

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