Haben Sie Fehler gemacht, Herr Landeshauptmann?
Ein Bundesland im Krisenmodus: In Oberösterreich explodieren die Corona-Zahlen, gestern wurden mehr als 3000 neue Fälle gemeldet. Im Gespräch mit der „Krone“zieht Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) bittere Bilanz und appelliert an die Impfverweigerer, den ab Montag in Kraft tretenden Lockdown ohne Murren mitzutragen.
Samstag, später Vormittag, das Linzer Landhaus ist praktisch leer. Vor der virtuellen Krisensitzung nimmt sich der oberösterreichische Landeschef noch Zeit für das „Krone“-Sonntagsinterview. „Es sind bedrückende Tage“, sagt er. Der Flatscreen, auf dem er die aktuellen Corona-Zahlen abrufen kann, ist ausgeschaltet.
Herr Landeshauptmann, laut EMS-Morgenbericht gibt es in Oberösterreich mehr als 3000 neue Fälle. Können Sie derzeit noch gut schlafen?
Also recht viel und recht gut schlafe ich im Moment nicht, weil die Gedanken und Abwägungen dauernd kreisen. Wie entwickelt sich das weiter? Was heißt das für unser Gesundheitssystem? Was heißt es für die Und was ist eigentlich noch tolerierbar?
Oberösterreich ist CoronaHotspot und auch Impfschlusslicht in Österreich. Wie konnte das passieren?
Diese Frage quält und beschäftigt mich natürlich. Obwohl das kein Trost ist, wissen wir alle, dass immer wieder Bundesländer mehr oder weniger von der Pandemie getroffen wurden. Wir haben den ganzen Sommer über mit einem ungeheuren Aufwand an Personal und Geld Impfstationen quer durchs Land offen gehalten. Es ist uns leider nicht gemeinsam gelungen, dass genug Leute impfen gegangen sind. „Gemeinsam“betone ich deshalb, weil die Politik zwar die Hauptverantwortung dafür trägt, das Thema Impfen aber doch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und Verantwortung ist.
Apropos Verantwortung: Fühlen Sie sich als Landeshauptmann hauptverantwortlich für das Schlamassel?
Als Landeshauptmann bin ich natürlich hauptverantwortlich dafür, dass es dem Land gut geht, dass es den Leuten gut geht, dass die Dinge sich nach vorne entwickeln. Keine Frage. Deshalb ist die derzeitige Situation absolut unzufriedenstellend.
Der damalige Tiroler Gesundheitslandesrat hat traurige Berühmtheit erlangt, indem er erklärt hat, man habe in Ischgl „alles richtig gemacht“. Wieso ist es für Politiker so schwer zu sagen: „Wir haben Fehler gemacht“?
Aus heutiger Sicht kann man sicher sagen: „Da und dort hätte das anders laufen müssen.“Aber wenn man es aus der jeweils tagesaktuellen Sicht betrachtet, dann stehen einem eben nur geGesamtbevölkerung? wisse Informationen zur Verfügung, und dann muss der Politiker das einschätzen. In dem Moment muss er daran glauben, dass er es richtig einschätzt, denn sonst käme er nie zu einer Entscheidung.
Haben Sie Fehler gemacht?
Sicher. Jeder Mensch macht Fehler.
Welche?
Ich habe manche Dinge vielleicht nicht überzeugend angesprochen. Es ist uns nicht gelungen, bei der Impfung gewisse Leute mit ins Boot zu holen . . . Wir reflektieren das im Team immer wieder. Das CoronaManagement soll ja ein Prozess sein, in dessen Verlauf wir Dinge besser machen.
Es ist uns nicht gelungen, gewisse Leute ins Boot zu holen. Und manche Dinge habe ich vielleicht nicht überzeugend angesprochen.
Okay, das ist schmerzlich, aber wir machen es. Das müsste eigentlich die Reaktion der Ungeimpften auf den Lockdown sein.
Sie sprechen die Impfverweigerer an?
Ich spreche eine Gesinnung an . . . Was ich im Moment hautnah erlebe: Der Staat wird von manchen als Hotel gesehen, man checkt ein, bezahlt und nimmt dann Leistungen in Anspruch. Aber in der Pandemie wird sehr sichtbar, dass der Staat diese Riesenherausforderung mit den Steuerleistungen allein nicht stemmen kann. Es funktioniert nur, wenn alle mitmachen und jeder und jede Einzelne Verantwortung übernimmt. Wenn das nicht passiert,
werden wir es auch mit den drastischsten Maßnahmen und dem besten Impfangebot nicht schaffen.
Am Montag tritt in Oberösterreich ein Lockdown für Ungeimpfte in Kraft. Wird das genügen, und was ist Ihr Appell an diese Gruppe?
Die erste Frage, die einem zum Lockdown entgegenschwappt, ist: Wie soll das kontrolliert werden? Eigentlich müsste die erste Reaktion sein: Okay, das ist schmerzlich, aber wir machen es. Das ist mein Appell. Jene, die geimpft sind, haben bereits Verantwortung für sich selbst und andere übernommen. Jetzt sollen jene, die nicht geimpft sind, auch ihren Teil der Verantwortung tragen und den Lockdown mittragen.
War es vielleicht blauäugig zu glauben, dass man mit der FPÖ eine gute Coronapolitik machen kann?
Wir waren das einzige Bundesland, das zu Beginn einer vierten Coronawelle Wahlen hatte. Dass eine neue Partei, die Impfskeptiker hinter sich versammelt, in den Landtag gekommen ist, zeigt ja, was für eine Stimmungslage in der Bevölkerung – wahrscheinlich in ganz Österreich – da ist. Bei unserer Regierungsbildung in Oberösterreich ist es uns sehr wohl gelungen, einen gemeinsamen Weg für Corona einzuschlagen, sonst könnten wir die derzeitigen Maßnahmen gar nicht umsetzen.
Was sagen Sie den fast 40 Prozent, die sich bisher nicht impfen lassen wollten?
„Bitte vertraut doch den Experten. Wenn ihr krank werdet und ein Spital braucht, dann verlasst ihr euch auf genau dieselben Experten. Dann sollen sie euch retten und euch wieder da rausbringen. Also vertraut ihnen auch beim Impfen.“Wenn sie in ein exotisches Land auf Urlaub fahren, lassen sie sich nebenbei gesagt auch impfen.
Der frühere Gesundheitsminister Rudi Anschober fordert in seiner heutigen „Krone“-Kolumne einen Lockdown für alle in Oberösterreich und Salzburg. Wird man um den noch herumkommen?
Das ist zumindest unser Ziel. Denn wenn jemand geimpft ist, hat er das Maximum getan, das er an Verantwortung für die Gesamtgesellschaft beitragen kann. Dann muss ihm auch ein Maximum an normalem Leben zugestanden werden. Alles andere wäre aus meiner Sicht unfair.
Was hat Sie zuletzt berührt?
Die Todesnachricht von Paul Gludovatz. Eine Legende bei uns in Oberösterreich, ein fantastischer Fußballtrainer. Er ist an Corona verstorben.
Wenn Sie sich jetzt etwas wünschen könnten, was wäre es?
Überlegt kurz. – Dass die morgige Zuwachszahl nicht mehr so drastisch hoch ist, dass wir also schon einen Beginn dessen sehen könnten, was unsere Maßnahmen hoffentlich bewirken. Ich bin mir aber bewusst, dass sich dieser Wunsch nicht so schnell erfüllen wird.
Manche sehen den Staat als Hotel. Man checkt ein, bezahlt, nimmt Leistungen in Anspruch. Aber jetzt muss jeder Einzelne auch Verantwortung tragen.