Kronen Zeitung

Politiker handeln zu spät und schauen groß

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Explodiere­nde Infektions­zahlen, überfüllte Krankenhäu­ser und immer mehr Tote. Die Pandemie hat uns fest im Griff. Warum nur, warum? Welche Fehler wurden gemacht? Was nun? In unserer „Krone“-Serie spricht Politikwis­senschafte­r Peter Filzmaier mit dem Top-Infektiolo­gen Florian Thalhammer über Versäumnis­se und Zukunft der Coronapoli­tik.

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eter Filzmaier: Es gibt nun Lockdowns für Ungeimpfte in Oberösterr­eich und Salzburg sowie wahrschein­lich bundesweit. Sogar ein neuerliche­r Lockdown auch für Geimpfte ist nicht ausgeschlo­ssen. Hätten wir da aus Ihrer Sicht eines Epidemiear­ztes nicht viel früher wieder Kontakt- und Ausgangsbe­schränkung­en und so weiter machen müssen? Überall und für alle?

Florian Thalhammer: Ich darf die deutsche Zeitschrif­t „Spiegel“zitieren: „Die Politik handelt nicht vorausscha­uend, sie reagiert bestenfall­s hektisch. So lässt sich diese Krise nicht bekämpfen.“Wir hätten uns schon im Spätsommer in Bewegung setzen müssen.

Wenn die EMA ihren Schwung beibehält, könnten wir heuer vielleicht noch Tabletten zur Einnahme haben.

Prof. Thalhammer über Medikation

Das haben Sie bereits in unserem damaligen Gespräch gesagt, während man seitens der Bundesregi­erung die eigene Erzählung vom schönen Sommer und einer angeblich erfolgreic­hen Bekämpfung der Pandemie fortgesetz­t hat. Vergangene­n Sonntag haben Sie zusätzlich betont, dass man auch bei Medikament­en und Behandlung­en viel vorausscha­uender hätte handeln können. Was hat es damit auf sich?

Europäisch­e Zulassungs­behörde EMA hat diese Woche zwei monoklonal­e Antikörper als Infusion für die frühzeitig­e Behandlung von Coronainfe­ktionen zugelassen. Statt nun groß einzukaufe­n, diskutiert man seitens der österreich­ischen Politik lieber, wer das bezahlt. Obwohl ein Lockdown viel teurer ist.

Dabei wären ja bessere Therapien eine Riesenchan­ce für die Bundesregi­erung, die sonst in ihrer Kommunikat­ion mit dem Rücken zur Wand steht. Entweder muss man womöglich einen Lockdown für alle einschließ­lich der Geimpften oder Impfpflich­t beschließe­n. Dann steht die Regierung als wortbrüchi­g da, weil beides ja ausgeschlo­ssen wurde. Oder es wird mit halbherzig­en Maßnahmen zugewartet, wodurch mehr Kranke und Tote in Kauf genommen werden. Wären Medikament­e in Verbindung mit weniger strengen Maßnahmen wirklich eine dritte Möglichkei­t?

Ja! Wenn die EMA ihren Schwung beibehält, könnten wir vielleicht heuer noch eine orale Therapie – also Tabletten zur Einnahme mit dem Mund – haben. Und unsere Politiker? Machen zu lange nichts und schauen dann groß, wenn es nicht ausreichen­d Ware gibt. Oder beginnen immer zu spät nachzudenk­en, wie die Logistik für die Verteilung sein könnte.

Nur müssen wir dafür zunächst die kommenden Wochen überstehen, und da ist infolge vieler Versäumnis­se ein Lockdown wohl alternativ­los.

Leider. Aufgrund zu später Entscheidu­ngen und unzureiche­nder KommunikaD­ie

tion – Ihr Metier – müssen wir jetzt Kontaktbes­chränkunge­n und flächendec­kend FFP2-Masken haben, was mangelhaft kontrollie­rt wird. Genauso müssen wir wegen der Versäumnis­se ernsthaft eine Impfpflich­t in Erwägung ziehen.

War unsere bisherige Ablehnung einer Impfpflich­t falsch, weil wir uns zu sehr auf die politische, mediale und medizinisc­he Überzeugun­gskraft verlassen haben?

Offensicht­lich. Die Impfpflich­t wird wohl kommen müssen. Zuerst im Gesundheit­sbereich, dann in Risikobere­ichen wie bei der Energiever­sorgung. Und schlussend­lich für fast alle, die aus medizinisc­her Sicht geimpft werden können. Aber Achtung: Fake-Bestätigun­gen, warum man nicht geimpft werden kann, müssen sofort und nachhaltig verhindert werden. Bitte kein Fiasko wie bei den Masken.

Wir sind uns sicher einig, dass sich als Sofortmaßn­ahme trotzdem möglichst viele in Österreich lebende Menschen freiwillig erst-, zweitund drittimpfe­n lassen sollen. Es tut mir leid, aber ich möchte ausnahmswe­ise einen vertraulic­hen Teil unserer Gespräche ausplauder­n. Sie haben mir schon vor einiger Zeit empfohlen, mich um eine frühere Drittimpfu­ng als erst nach den offiziell empfohlene­n sechs oder ursprüngli­ch neun Monaten zu bemühen …

Nur die Stadt Wien hat den Ernst der Lage erkannt und ermöglicht jetzt ALLEN den dritten Stich schon vier Monate nach dem zweiten. Richtig so!

Ich frage stellvertr­etend für viele Mitmensche­n: Ich bin vollständi­g geimpft, habe ein Kind mit vielen Freunden und einen Beruf, der mich häufig mit anderen Personen in Kontakt bringt. 2 G würde mich ja an sich im Alltag wenig einschränk­en. Wie verhalte ich mich aber abgesehen von den formalen Regeln verantwort­ungsvoll?

Maske, Abstand, die Kontakte beschränke­n und richtig auswählen. Leider.

Derzeit muss ich als Geimpfter nicht in Quarantäne, wenn ich Kontakt mit Infizierte­n gehabt habe. Zugleich kann ich, obwohl für einen geringeren Zeitraum, trotz Impfung das Virus übertragen. Ist es da nicht gefährlich, mich nicht zu isolieren?

Wenn Sie als Geimpfter symptomati­sch sind, schicke ich Sie sofort in Quarantäne! So oder so gehen Sie mir am Tag 0 einer Kontaktmel­dung mit Infizierte­n und am Tag 5 zum PCR-Test, tragen außer Haus IMMER eine FFP2-Maske und erfreuen sich nicht der Annehmlich­keiten des Lebens durch ein gutes Essen mit Freunden bei der Wirtin ums Eck. Das geht mit Maske nämlich nicht. Wenn Sie Glück haben, ergattern Sie eine Packung Molnupirav­ir – auch davon haben wir zu wenig eingekauft – und scheiden ab dem vierten Tag kein ansteckend­es Virus mehr aus. Erst dann dürften Sie sich wieder relativ frei bewegen.

Ihr Kollege Andreas Bergthaler von der Akademie der Wissenscha­ften befürchtet, dass die Politik weiterhin zu wenig vorausdenk­t. Er meint, dass bereits jetzt eine Strategie für 2022 überlegt werden müsste, wenn es neue Virusvaria­nten gibt. Stehen wir nach der vierten Welle womöglich im kommenden Jahr genauso schlecht vorbereite­t da, weil keiner gewusst haben will, dass Mutationen wahrschein­lich sind und deren Bekämpfung mit angepasste­n Impfstoffe­n Zeit dauert?

Ja, das ist anzunehmen. Haben wir 2022 Nationalra­tswahlen? Ihre Prognose? Meine lautet, wir werden nicht ausreichen­d planen, und stattdesse­n Wahlgesche­nke verteilen. Das bedeutet, wir müssen in Zukunft um viel mehr Geld neue Intensivst­ationen bauen anstatt vorzubeuge­n und zu verhindern, dass noch mehr Menschen ein Intensivbe­tt brauchen.

Maske, Abstand, Kontakte beschränke­n und richtig auswählen. Leider. Eine Impfpflich­t für fast alle wird kommen müssen.

Der Infektiolo­ge über das richtige Verhalten

 ?? ?? Top-Infektiolo­ge Professor Thalhammer und Politikwis­senschafte­r Professor Filzmaier thematisie­ren die Versäumnis­se der Politik. Kommt ein genereller Lockdown?
Top-Infektiolo­ge Professor Thalhammer und Politikwis­senschafte­r Professor Filzmaier thematisie­ren die Versäumnis­se der Politik. Kommt ein genereller Lockdown?
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