Kronen Zeitung

Kanzler auf der Bremse

Tallinn/Kiew. Karl Nehammer betont bei Besuch in Estland, man müsse in Bezug auf einen möglichen EU-Beitritt der Ukraine über einen europäisch­en Vorbereitu­ngsraum sprechen

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Deutlich auf der Bremse stand Bundeskanz­ler Karl Nehammer in Sachen EU-Beitritt der Ukraine bei seinem Besuch bei der estnischen Regierungs­chefin Kaja Kallas in Tallinn. Estland, so hat man das Gefühl, würde die Ukraine ja lieber gestern als morgen in der EU sehen. Österreich kann sich das hingegen nicht vorstellen.

„In Bezug auf einen möglichen EU-Beitritt der Ukraine sollten wir vor allem über einen europäisch­en Vorbereitu­ngsraum sprechen“, so der Kanzler in Tallinn. „Dieser stärkt die Zusammenar­beit mit der EU und erlaubt es der Ukraine, sich schrittwei­se den europäisch­en Standards anzunähern.“

Nehammer greift damit eine Idee des französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron auf, der nach Wegen sucht, Ländern wie der Ukraine oder auch Moldawien stärkere Zusammenar­beit und eine Annäherung an die EU zu ermögliche­n, ohne dass diese Staaten gleich Vollmitgli­eder werden. Der österreich­ische Kanzler unterstütz­t diesen Gedanken. Er setzt auf eine enge, schrittwei­se Kooperatio­n. Ein schneller EU-Beitritt der Ukraine sei hingegen nicht realistisc­h, wie Nehammer unlängst in der „Krone“klargemach­t hat.

Jetzt erklärte der Bundeskanz­ler, dass es für Österreich eine „Bedingung“sei, dass wenn die Ukraine einen Statur als Beitrittsk­andidat erhalte, „das Gleiche auch für die Staaten des Westbalkan­s gilt und für die Republik Moldau“.

Der ukrainisch­e Präsident Zelenskij hingegen fordert, dass die EU-Staats- und Regierungs­chefs seinem Land beim nächsten Gipfel den Kandidaten­status zuerkennen. „Die meisten Europäer unterstütz­en die Integratio­n der Ukraine“, sagte er gestern. „Und wenn die Europäer es unterstütz­en, sollten sich Politiker, die in einigen Ländern noch Zweifel haben, nicht den Menschen, der Gesellscha­ft und dem Lauf der europäisch­en Geschichte entgegenst­ellen.“

Emmanuel Macron blickt mit Sorge auf die morgige Parlaments­wahl, die nach jeder Präsidents­chaftswahl fällig wird.

Im Präsidente­nlager läuten seit den letzten Umfragen die Alarmglock­en: Nicht die Rechtsauße­n Marine Le Pen hat sich als die eigentlich­e „Gefahr“entpuppt, sondern der Linksaußen JeanLuc Mélenchon (70), ein Polit-Veteran, Gründer der Partei der „Unbeugsame­n“und bei der Präsidents­chaftswahl mit immerhin 22 Prozent auf dem undankbare­n dritten Platz gelandet.

Jetzt will er Macron zwingen, ihn zum Ministerpr­äsidenten zu ernennen, wenn er eine Mehrheit in der Nationalve­rsammlung hat. Mélenchon ist es gelungen, ein breites linkes Bündnis zusammenzu­zimmern.

Eine solche „Cohabitati­on“, eine Zwangs-Koalition französisc­her Art, hatte es das letzte Mal 1997 gegeben. Es steht zu befürchten, dass sich dann Präsident und Premier gegenseiti­g blockieren. Das wäre das Letzte, was Frankreich in seiner jetzigen Lage bräuchte: eine politische Dauerkrise, eine Eiszeit im Élysée.

Politische­r Dauerfrust seit vielen Jahren in Frankreich

Macron droht Ungemach, denn Mélenchon ist ein Linksaußen-Populist, der aus dem radikalkom­munistisch­en Lager kommt. Kompromiss­politik ist dem Radikalins­ki unbekannt.

Der Weg in die befürchtet­e Sackgasse hat sich bei der Präsidente­nwahl abgezeichn­et. Präsident Macron hat ein Legitimitä­tsproblem. 78,07 Prozent haben ihn nicht gewählt: 41,46 Prozent hatten in der Stichwahl für Marine Le Pen gestimmt, 28,01 Prozent blieben zu Hause, 8,6 Prozent gaben bewusst eine ungültige Stimme ab.

Wenn das Wahlvolk bei nun schon drei Präsidents­chaftswahl­en genötigt wird, sich für einen Präsidente­n zu entscheide­n, den es eigent

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Zelenskij: „An der Front gibt es kaum Veränderun­gen.“

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