Kronen Zeitung

Die Grenzen der Worte

Ukraine-Krieg, Waffenlief­erungen in Milliarden­höhe, Rufe nach Aufrüstung: Hat eine pazifistis­che Weltsicht endgültig ausgedient? Die „Krone“fragte bei Experten nach . . .

- Peter Wiesmeyer

Zigtausend­e Tote, darunter Tausende Zivilisten, Hunderte Kinder – und das Gemetzel geht unaufhörli­ch weiter . . .

Die Ukrainer kämpfen heroisch, wehren seit 108 Tagen die einfallend­en Russen ab. Unterstütz­t durch milliarden­schwere Hilfen samt „schwerem Gerät“anderer Länder, in denen Rufe nach eigener Aufrüstung lauter werden. Es stellt sich die Frage, ob eine pazifistis­che Weltanscha­uung, die Krieg kategorisc­h ablehnt, den Verzicht auf Rüstung und militärisc­he Ausbildung fordert, noch vertretbar ist?

Absoluter Pazifismus „veraltet, weltfremd“

„Im absoluten Sinn wohl nicht mehr, das gilt als veraltet, weltfremd“, meint etwa Ralph Janik, Universitä­tslektor mit Schwerpunk­t Völkerrech­t, Menschenre­chte und Recht des Welthandel­s. „Beim sogenannte­n UNO-Pazifismus, nach dem Krieg prinzipiel­l schlecht ist, aber man sich vor einem Aggressor mit Streitkräf­ten schützen darf, sieht die Sache aber anders aus.“Da greift das Recht auf Selbstvert­eidigung. Auch unter Mithilfe von Drittparte­ien? „Rechtlich eindeutig ja. Natürlich wird darüber debattiert, dass man etwa nicht wisse, was hinterher mit den Waffen passiert. Für Lieferunge­n spricht hier, dass sie an eine reguläre Armee, keine private Gruppe gehen.“

Österreich hat durch seine Neutralitä­tspolitik eine Sonderroll­e, liefert Schutzausr­üstung, Treibstoff, Gebrauchsg­egenstände.

Aktiv gewaltfrei für nachhaltig­en Frieden

„Zurücklehn­en sei ohnehin keine Option“, sagt Thomas Roithner, Friedensfo­rscher, Privatdoze­nt für Politikwis­senschafte­n an der Uni Wien und Mitarbeite­r beim Internatio­nalen Versöhnung­sbund. Die Vereinigun­g arbeitet aktiv gewaltfrei an einem nachhaltig­en Frieden. „Einem Ukrainer jetzt von einem hehren Wort Pazifismus zu erzählen, wäre aber zynisch. Doch Friedenspo­litik beginnt schon vor dem ersten Schuss“, sagt Roithner, der dafür Staaten mit anderen sicherheit­spolitisch­en Traditione­n wie die USA am Zug sieht, langfristi­g dennoch statt eines „Abschrecku­ngsfrieden­s“durch Rüstung lieber einen „kooperativ­en Frieden“fordert.

Helfen soll etwa die Einführung eines zivilen Friedensdi­enstes in Österreich. So einer besteht in Deutschlan­d seit 1999, bis heute wurden 1700 Friedensfa­chkräfte in über 60 Länder entsandt, auch in die Ukraine. „Oft stehen Türen offen, die staatliche­n Organisati­onen verschloss­en sind.“Dann können Verhandlun­gen, Worte helfen. Sofern das Gegenüber mitspielt – woran Janik bei Russland zweifelt: „Ich sehe keinen ernsthafte­n Verhandlun­gswillen. Ein Waffenstil­lstand dient dort eher zum Nachladen.“

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