Glücksring
Eswar in der Mittagspause, als der Wiener Gastwirt Martin B. in seiner Küche die Hände wusch. Er legte zuvor seinen Brillantring ab. An jenem Tag auf ein Schneidbrett. Als er nach sehr umständlicher Reinigung der Hände und gründlichem Abtrocknen nach seinem Ring greifen wollte, war derselbe mitsamt dem Schneidbrett verschwunden. „Wo ist des Schneibrettl? Und wo mei Ring?“, fragte er die Köchin.
„Ring hab i kan gsehn. Aber auf des Brettl hab i vorhin den Patzn Faschiertes draufghaut und habs mit de Semmeln abgmischt. D Fleischlaibchen san fertig, de san fürs Menü. San scho alle bratn und ausgebn.“
„Sie Unglückliche“, zischte der beleibte Wirt, mit Glutaugen seine zumeist ärmlichen Menügäste musternd, die bereits alle ihr Fleischlaibchen mit Erdäpfelpüree vor sich hatten. „Der Ring war 700 Euro wert is, der is jetzt in an Fleischlaberl!“
„Um Himmels wülln, i sag denan Leit, se solln aufpassn.“
„Glauben Sie, dass mir aner den Ring zruckgibt? Der schluckt eahm wia nix, der was eahm im Laberl hat. Des muass i anders machn! Bleibn S sitzn. Stehn Sie nicht auf, reden S ka Wurt oder . . . “, flüsterte der Wirt.
Mit einem fürchterlichen Blick, der die Köchin erschaudern ließ, wandte sich der Wirt von ihr ab und trat dann in das Gastzimmer.
„Halt!“, brüllte er. „Menügäst! Machts kan Bissn mehr!“
Gabeln klirrten auf den Tellern. Schmatzende Münder blieben vor Erstaunen offen. „Kan Bissen mehr!“, wiederholte der Wirt. „D Fleischlaberln san heut nicht zu genießen! De Milli hat stattn Salz a bisserl Ratzngift derwischt!“
Nach dieser unüberlegten Erklärung kam es in dem
Gasthaus zu einem Tumult. Ein À-la-carte-Gast mit Spitzbart entnahm seiner Tasche mehrere Medikamente und rief immer wieder: „Ich bin Arzt!“
Inzwischen hatte der Wirt, des allgemeinen Unglücks nicht achtend, aus der Küche einen Weitling geholt und eilte nun emsig von Tisch zu Tisch, die Reste der Fleischlaibchen einsammelnd. Wo es bei Gästen zu Erbrechen kam, war er sofort mit dem Weitling zur Stelle und hielt ihn den Leuten dicht unters Kinn, um allenfalls den Ring auf diese Weise wieder in seinen Besitz zu bringen!
„Ich bitte um Freispruch“, erklärte der Wirt vor Gericht, wo er alle möglichen Tatbestände, von Gefährdung der körperlichen Sicherheit angefangen bis zur falschen Verdächtigung seiner Köchin, zu verantworten hatte. „Der schmerzliche Verlust raubte mir die Sinne. I hab den Herrn Doktor die Tabletten und de Rettungsfahrt zahlt, hab Anzüge und Hemden putzen lassen, ich habe ein Gratis-Menü ausgegeben. Was will man von mir? Mei Glücksring war wirklich in einem Fleischlaberl drin!“Einige Gäste waren zur Zeugeneinvernahme nicht erschienen.