Wider besseres Wissen . . .
Ursula von der Leyen, die Präsidentin der EU-Kommission, und Ratspräsident Charles Michel können sich schon seit Tagen gar nicht genug selbst auf die Schultern klopfen, weil es ihnen gelungen ist, der Ukraine den Status eines Beitrittslandes zur Europäischen Union zu verschaffen. Ein wichtiges Zeichen, wie sie meinen, dem kriegsgeplagten Land Unterstützung und Mut zuzusprechen im Abwehrkampf gegen den russischen Aggressor.
In Wahrheit ist es selbstgerechte Heuchelei, eine kurzfristig gedachte Panikreaktion angesichts der eigenen Hilflosigkeit. Denn der vom ukrainischen Präsidenten Zelenskij seit der russischen Invasion geradezu ultimativ geforderte Annäherungsschritt seines Landes an die EU wird der Ukraine genau nichts bringen – außer vielleicht noch massivere Bombardements durch Putins Truppen. Die EU ist nämlich alles andere als bereit, die Ukraine in ihrer Mitte aufzunehmen, auch wenn allenthalben so getan wird, als wäre Kiew herzlichst willkommen.
Niemand kann logisch erklären, weshalb ein Land, das bis zum Einmarsch der Russen am 24. Februar niemals als EU-Beitrittskandidat in Frage gekommen wäre, plötzlich diesen Status zuerkannt bekommen hat. Ohne auch nur ein einziges Kriterium zu erfüllen, das für eine solche Annäherung üblicherweise von einem Kandidatenland verlangt wird.
Im Gegenteil: Die Ukraine befindet sich im Kriegszustand – und das nicht erst seit dem 24. Februar 2022. Im jetzt so umkämpften Donbass im Osten herrscht seit Jahren Krieg gegen von Russland unterstützte Separatisten. Alle Versuche, dieses Gemetzel mit einem für alle tragbaren Friedensvertrag zu beenden, sind gescheitert. An Russland und der Ukraine. Der jetzige Krieg ist eine direkte Folge.
Jetzt muss der blutige Krieg als Rechtfertigung für den Kandidatenstatus herhalten. Damit die Granden in der EU sich in dem Gefühl sonnen können, etwas für die Ukraine getan zu haben, wie sie meinen.
Tatsächlich hatten die Staats- und Regierungschefs der drei wichtigsten EU-Staaten, Macron aus Frankreich, Scholz aus Deutschland und Draghi aus Italien, lange Zeit mit ihren Zweifeln an diesem Schritt nicht hinter dem Berg gehalten. Aber schlussendlich haben sie dem politischen und vermeintlich moralischen Druck nicht standgehalten, den Zelenskij mit tatkräftiger Unterstützung der USA so erfolgreich aufgebaut hat. Wider besseres Wissen haben sie jetzt in Brüssel für die Ukraine gestimmt.
Dabei ist ganz klar, dass ein Beitritt der Ukraine die EU in ihrer jetzigen Form in jeder Weise überfordern, wenn nicht zerstören würde. So wäre die Ukraine hinter Frankreich das flächenmäßig größte Land in der EU. Alleine die von Russland besetzten Gebiete sind so groß wie Österreich und Dänemark zusammen. Und mit 41 Millionen Einwohnern läge das Land in der EU hinter Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien an fünfter Stelle. Entsprechend großes Gewicht hätte die Stimme Kiews in Brüssel.
So flächenmäßig groß die Ukraine ist, so schwach ist ihr Bruttoinlandsprodukt (BIP), das – angeführt von Luxemburg mit 101.700 Euro pro Kopf – im EU-Durchschnitt bei 29.940 Euro liegt (Österreich 42.540 Euro). Das ärmste EU-Land ist Bulgarien mit einem BIP pro Kopf von 8840 Euro, die Ukraine kommt gerade einmal auf 3262 Euro.
Damit wäre das Land im Falle eines Beitritts plötzlich der größte Bezieher von sogenannten Kohäsionsgeldern, also Transferleistungen aus anderen EU-Staaten. Und das, wo die Ukraine laut der Organisation Tansparency International im internationalen Korruptionsindex auf Platz 122 liegt, also nur knapp vor Russland auf Platz 136 von insgesamt 180.
Ein Beitritt der Ukraine würde die EU also auch finanziell aus den Angeln heben. Ganz zu schweigen von den Agrarförderungen, ist die landwirtschaftlich genutzte Fläche doch größer als Deutschland.
All das ist in Brüssel natürlich bekannt, wird aber unter den Tisch gekehrt. Während alle anderen Staaten massive Reformen durchführen mussten, um den Status eines Beitrittskandidaten zu erlangen, hat das für die Ukraine alles keine Gültigkeit. Der Frust auf dem Westbalkan, wo man seit vielen Jahren nichts als Vertröstungen aus Brüssel zu hören bekommt, ist entsprechend groß. Verständlicherweise.
Die EU hat sich gehörig selbst ins Knie geschossen. Und der Ukraine wird es nichts bringen, weil sie nicht EU-Mitglied werden wird. Nicht in absehbarer Zeit. Dafür ist nämlich ebenfalls Einstimmigkeit vonnöten.
Oder will die EU sich ernsthaft selbst in die Luft sprengen? Solidarität mit der Ukraine kann man auch anders zeigen. Vor allem aber sollte man dabei ehrlich sein.