So starb Hongkongs Freiheit
⧁ 25. Jahrestag des Autonomiestatus für die britische Ex-Kolonie ist nur noch leere Hülle ⧁ Pekings Konzept „Ein Land – zwei Systeme“scheiterte am Freiheits-Virus der Hongkonger
Es schüttete in Strömen an diesem 1. Juli 1997, als Prinz Charles das letzte Kronjuwel des britischen Empires an Chinas Staatschef Jiang Zemin übergab. Wassertropfen kaschierten die Tränen, die dem letzten Gouverneur Lord Patten über die Wangen flossen. Damit hatte vor 25 Jahren auch der letzte „Fußabdruck“Europas in Asien sein Ende gefunden.
156 Jahre hatte der Union Jack über dem Victoria Peak britische Macht und Herrlichkeit ausgestrahlt – seit 1949 bizarr irreal als kapitalistische Wirtschaftsmetropole von Maos Gnaden, dem sie als Tor zur Welt diente. Als sich dann China als Ganzes der Marktwirtschaft öffnete und Schanghai seine alte Rolle zurückfand, war Hongkongs Schicksal besiegt.
Chinas Reformpatriarch Deng Xiaoping bewies seinen Pragmatismus, als er für die Rückgabe der Kolonie (im Interesse der chinesischen Wirtschaft) einen sanften Übergang vorschlug: den neuartigen Status „Ein Land – zwei Systeme“. Hongkong sollte 50 Jahre lang als Sonderverwaltungszone maximale Autonomie genießen.
Hongkong-Experiment ist furchtbar schiefgegangen
Das Experiment „Ein Land – zwei Systeme“ist entsetzlich schiefgegangen. Peking wird es (als Köder für Taiwan) nie mehr wiederholen.
Hongkongs Freiheiten sind durch eine brachiale Intervention abgewürgt worden. Davon unberührt blieb nur Hongkong als Finanzplatz mit seiner Börse als Schlüsselfunktion, was für Pekings Kommunisten auch der Sinn und Zweck der 8Millionen-Metropole (auf einem Territorium von dreimal Wien) ist.
Was hat Peking veranlasst, zur „Halbzeit“aus den Hongkongverträgen auszusteigen? Es war nicht so sehr die Sorge des Übergreifens des Demokratie-„Virus“auf
Festland-China. Ganz im Gegenteil: Das gewalttätige innenpolitische Chaos in Hongkong wirkte sogar abschreckend und wurde im China-TV ausgiebig dargestellt; nach dem Motto: Seht her, das ist die westliche Demokratie!
Es war dieses Ausmaß an persönlichen Angriffen gegen die Machthaber in Peking und Provokationen gegen chinesische Hoheitssymbole, welche sie das Gesicht verlieren ließen und in der Überzeugung
bestärkten, hier sei eine Unabhängigkeitsbewegung am Werk. Die Konflikte lassen sich im Grunde genommen auf Missverständnisse reduzieren: Chinas Führung dachte, die politischen Aktivisten in Hongkong wüssten, dass Hongkong laut Sprichwort „nur eine Warze am dicken Unterleib Chinas“ist, und sich daher in konfuzianischer Tradition dem Meister fügen würden. Die Aktivisten in Hongkong wiederum glaubten, die Gelegenheit für die Demokratie sei gekommen, die es unter britischer Kolonialherrschaft nicht gegeben hatte (Britisch-Hongkong war aber ein Rechtsstaat).
Der Weg ins Unheil begann mit dem Konflikt um das allgemeine Wahlrecht, welches Peking im Übergabevertrag abgerungen worden war. Es sollte stufenweise 2017 voll wirksam werden. Doch bald stellte sich heraus, dass Margaret Thatcher nicht bedacht hatte, dass es zwei Arten von Wahlrecht gibt: das aktive und das passive. Peking wollte die Kandidaten für 2017 aussuchen.
In den Protesten dagegen ging besonders die Jugend auf die Barrikaden. Hintergrund ist das Versagen von 20 Jahren Autonomieregierungen, die – auf besonderen Wunsch der chinesischen Kommunisten – von den Hongkong-Oligarchen getragen wurden. Sie vernachlässigten zum Beispiel den sozialen Wohnbau der Kolonialbriten. Die Jungen stöhnten unter dem Mangel von leistbarem Wohnen.
Als ein jährliches ProtestRitual, das den Oberen in Peking wirklich wehtat, kristallisierte sich die Massendemonstration zum Jahrestag des Tiananmen-Massakers heraus. Das konnte auf Dauer nicht gut gehen.
Peking verschärfte dazu noch die Lage durch illegale Verschleppungen oppositioneller Zeitungsherausgeber und Buchverleger. Als Reaktion wurde die Jugendbewegung gewalttätig: Sturm auf Parlament, Schändung des chinesischen Wappens, provokatives Hissen der britischen Flagge, Zerstörungsorgien an öffentlichen Einrichtungen, Lahmlegung der Finanz- und Geschäftswelt.
Das dröhnende Schweigen in Peking ließ Kenner von China Schlimmes ahnen, denn Chaos ist kommunistischen Konfuzianern ein Gräuel.
Mitte 2020 holte Peking zum großen Schlag aus und setzte Polizei und Justiz in Marsch. Die Demokratiebewegung wurde abgewürgt. Öffentlicher Protest ist unter Berufung auf Covid19 untersagt, und die Medien sind auf regimefromm geschaltet. Das jährliche Massengedenken an das Tiananmen-Massaker gibt es nicht mehr.
Peking hat Hongkong seine Seele geraubt und nennt es die Rückkehr zur Normalität. Es ist nur ein Zufall, aber doch voll Symbolik, dass am 14. Juni eine Ikone Hongkongs, das Jumbo Floating Restaurant (2300 Sitze) ins Schlepptau genommen und im Meer versenkt wurde. Das Ende einer Ära.