Die spinnen, die Amerikaner?
Die USA haben gewählt. Vor fünf Tagen. Trotzdem gibt es noch kein endgültiges Ergebnis. Seit Donald Trump wissen wir, dass alles möglich ist. Im schlechten Sinn. Von der Nichtanerkennung einer Wahl bis zum Putschversuch. Zudem sind da jede Menge Wahlbesonderheiten, die wir nie verstehen werden.
1 In Österreich führt jede Gemeinde eine offizielle Wählerliste und informiert, wer an der Wahl teilnehmen darf. Was leicht ist, weil Wahlberechtigte an ihren Wohnorten behördlich gemeldet sein müssen. Die USA kennen keine Meldepflicht. Daher muss jeder Wähler von sich aus eine Registrierung als solcher beantragen. Sie finden das absurd? Na ja. Ein überzeugter Amerikaner würde fragen, ob wir ein Polizeistaat sind, weil man jeden Umzug der Obrigkeit bekannt zu geben hat.
2 Noch viel absurder ist aber, wie in den USA Registrierungskampagnen betrieben werden. Solche finden statt, da ja alle Kandidaten und Parteien Interesse daran haben, dass ihre Anhänger die Eintragung ins Wählerverzeichnis nicht verpassen. Also werden die Anträge dafür auf Sportfesten verteilt. Oder in Kirchen. Oder beim Morgenappell des Militärs. Oder zu nächtlicher Stunde auf „Eintragungspartys“. Da ist der feuchtfröhliche Höhepunkt das Ausfüllen der Formulare.
3 Die Fehlerquote ist dementsprechend. Im Lauf der Zeit soll es bereits Millionen Tote als vermeintlich Wahlberechtigte gegeben haben. Was erklärt, wieso am Wahltag und danach ewig über die Gültigkeit von Stimmen gestritten werden kann. Übrigens muss man sogar eine Gebühr von rund zehn Dollar zahlen, um sich für die Wahl einzutragen und teilzunehmen.
4 Sie finden das schlimm? Dann müssen Sie nun tapfer sein: Würden Sie sich trotz Wahlgeheimnis bereits für die Eintragung zu einer Wahl als ÖVP, SPÖ, FPÖ oder nichts davon deklarieren wollen? Nein? In den USA müssen Sie das als Demokrat, Republikaner oder Unabhängiger tun, egal, für wen sie später stimmen.
5 Zugleich gibt in den USA das bundesstaatliche Wahlrecht nur allgemeine und unzureichende Standards vor. Können Sie sich vorstellen, dass bei einer Nationalratswahl im Klagenfurter Becken einzig via Internet, im vorarlbergerischen Rheintal per Liebesbrief und im Salzkammergut durch an Spielautomaten erinnernde Maschinen mittels „Hebelsystem“zum Stanzen einer Wahlkarte abgestimmt wird? Für die Amerikaner sind – trotz Nachbesserungen nach Auszählungsdesastern – derart verschiedene Wahlmethoden selten ein Problem, weil das den Einzelstaaten und Gemeinden überlassen wird.
6 Also gibt es in Oregon nur die Briefwahl, und in Georgia drückt man Knöpfe oder berührt mit dem Finger einen Bildschirm. Stimmzettel zum Ankreuzen wie bei uns gibt es kaum. Wer aber wird überhaupt gewählt? Der Unterschied zwischen den großen USA und dem kleinen Österreich ist, dass jenseits des Atlantiks für Personen gestimmt wird. Um als Kandidat zur Wahl zu stehen, muss man im Regelfall die Vorwahl einer Partei gewinnen.
7 Aber ist es vorstellbar, dass Herbert Kickl in den Vorwahlen der Grünen antritt und Sigrid Maurer Kandidatin der FPÖ werden will? Im offenen Vorwahlsystem der Vereinigten Staaten wäre sogar das denkmöglich. Jeder kann bei jeder Partei antreten. Genauso kann jeder bei parteiinternen Vorwahlen abstimmen, wenn er zu einer Vorwahlversammlung geht. Das gilt auch für die schärfsten Gegner der Partei.
8 Parteimitgliedschaften gibt es nicht, also ist das nicht Bedingung für die Beteiligung an einer Vorwahl. Heuer haben die Demokraten in den Vorwahlen bei der Gegnerpartei Republikaner die Favoriten von Donald Trump unterstützt. Diese gelten als Erzfeinde, doch wollte man fanatische
Trumpfans als Widersacher in der Hauptwahl. In ihrer Radikalität waren sie und deren Ansichten bis hin zum Verbot des Geschlechtsverkehrs in (!) der Ehe – abgesehen von ein paar Mal im Leben zwecks Kinderzeugung – häufig nicht allgemein mehrheitsfähig und leichter zu schlagen.
9 Können unsere Regierungsparteien nach Lust und Laune Wahlbezirksgrenzen ändern, um bessere Siegchancen zu haben? Niemals. Dafür bräuchte es Zweidrittelmehrheiten. In den USA hingegen müssen nach Volkszählungen alle 10 Jahre solche Grenzen neu gezogen werden. Wenn zum Beispiel Florida aufgrund von inzwischen mehr Einwohnern auch mehr Abgeordnete im Bundeskongress zustehen. Die Republikaner haben mithilfe eines Computerprogramms die Grenzen raffiniert so umgestaltet, dass Hochburgen der Demokraten aufgesplittet und deren Mehrheitsaussichten verringert wurden.
10 Ach ja, und bei allen Skandalen hierzulande: Kein Staats- oder Regierungschef würde öffentlich verkünden, er habe mit dem Justizminister und der Bundespolizei eine Stimmauszählung mittendrin gestoppt, weil sein Wunschkandidat vorne war und man den Zwischenstand als Endergebnis wollte. Donald Trump hat das getan und trompetete es hinaus, nachdem Ron de Santis als Gouverneur Floridas von seinem Lieblingsparteifreund zum Parteirivalen geworden war.