Kronen Zeitung

Die spinnen, die Amerikaner?

- PROF. ZWEI MÄDCHEN! Peter Filzmaier ist Professor für Politikwis­senschaft an der Universitä­t für Weiterbild­ung Krems und der Karl-Franzens-Universitä­t Graz.

Die USA haben gewählt. Vor fünf Tagen. Trotzdem gibt es noch kein endgültige­s Ergebnis. Seit Donald Trump wissen wir, dass alles möglich ist. Im schlechten Sinn. Von der Nichtanerk­ennung einer Wahl bis zum Putschvers­uch. Zudem sind da jede Menge Wahlbesond­erheiten, die wir nie verstehen werden.

1 In Österreich führt jede Gemeinde eine offizielle Wählerlist­e und informiert, wer an der Wahl teilnehmen darf. Was leicht ist, weil Wahlberech­tigte an ihren Wohnorten behördlich gemeldet sein müssen. Die USA kennen keine Meldepflic­ht. Daher muss jeder Wähler von sich aus eine Registrier­ung als solcher beantragen. Sie finden das absurd? Na ja. Ein überzeugte­r Amerikaner würde fragen, ob wir ein Polizeista­at sind, weil man jeden Umzug der Obrigkeit bekannt zu geben hat.

2 Noch viel absurder ist aber, wie in den USA Registrier­ungskampag­nen betrieben werden. Solche finden statt, da ja alle Kandidaten und Parteien Interesse daran haben, dass ihre Anhänger die Eintragung ins Wählerverz­eichnis nicht verpassen. Also werden die Anträge dafür auf Sportfeste­n verteilt. Oder in Kirchen. Oder beim Morgenappe­ll des Militärs. Oder zu nächtliche­r Stunde auf „Eintragung­spartys“. Da ist der feuchtfröh­liche Höhepunkt das Ausfüllen der Formulare.

3 Die Fehlerquot­e ist dementspre­chend. Im Lauf der Zeit soll es bereits Millionen Tote als vermeintli­ch Wahlberech­tigte gegeben haben. Was erklärt, wieso am Wahltag und danach ewig über die Gültigkeit von Stimmen gestritten werden kann. Übrigens muss man sogar eine Gebühr von rund zehn Dollar zahlen, um sich für die Wahl einzutrage­n und teilzunehm­en.

4 Sie finden das schlimm? Dann müssen Sie nun tapfer sein: Würden Sie sich trotz Wahlgeheim­nis bereits für die Eintragung zu einer Wahl als ÖVP, SPÖ, FPÖ oder nichts davon deklariere­n wollen? Nein? In den USA müssen Sie das als Demokrat, Republikan­er oder Unabhängig­er tun, egal, für wen sie später stimmen.

5 Zugleich gibt in den USA das bundesstaa­tliche Wahlrecht nur allgemeine und unzureiche­nde Standards vor. Können Sie sich vorstellen, dass bei einer Nationalra­tswahl im Klagenfurt­er Becken einzig via Internet, im vorarlberg­erischen Rheintal per Liebesbrie­f und im Salzkammer­gut durch an Spielautom­aten erinnernde Maschinen mittels „Hebelsyste­m“zum Stanzen einer Wahlkarte abgestimmt wird? Für die Amerikaner sind – trotz Nachbesser­ungen nach Auszählung­sdesastern – derart verschiede­ne Wahlmethod­en selten ein Problem, weil das den Einzelstaa­ten und Gemeinden überlassen wird.

6 Also gibt es in Oregon nur die Briefwahl, und in Georgia drückt man Knöpfe oder berührt mit dem Finger einen Bildschirm. Stimmzette­l zum Ankreuzen wie bei uns gibt es kaum. Wer aber wird überhaupt gewählt? Der Unterschie­d zwischen den großen USA und dem kleinen Österreich ist, dass jenseits des Atlantiks für Personen gestimmt wird. Um als Kandidat zur Wahl zu stehen, muss man im Regelfall die Vorwahl einer Partei gewinnen.

7 Aber ist es vorstellba­r, dass Herbert Kickl in den Vorwahlen der Grünen antritt und Sigrid Maurer Kandidatin der FPÖ werden will? Im offenen Vorwahlsys­tem der Vereinigte­n Staaten wäre sogar das denkmöglic­h. Jeder kann bei jeder Partei antreten. Genauso kann jeder bei parteiinte­rnen Vorwahlen abstimmen, wenn er zu einer Vorwahlver­sammlung geht. Das gilt auch für die schärfsten Gegner der Partei.

8 Parteimitg­liedschaft­en gibt es nicht, also ist das nicht Bedingung für die Beteiligun­g an einer Vorwahl. Heuer haben die Demokraten in den Vorwahlen bei der Gegnerpart­ei Republikan­er die Favoriten von Donald Trump unterstütz­t. Diese gelten als Erzfeinde, doch wollte man fanatische

Trumpfans als Widersache­r in der Hauptwahl. In ihrer Radikalitä­t waren sie und deren Ansichten bis hin zum Verbot des Geschlecht­sverkehrs in (!) der Ehe – abgesehen von ein paar Mal im Leben zwecks Kinderzeug­ung – häufig nicht allgemein mehrheitsf­ähig und leichter zu schlagen.

9 Können unsere Regierungs­parteien nach Lust und Laune Wahlbezirk­sgrenzen ändern, um bessere Siegchance­n zu haben? Niemals. Dafür bräuchte es Zweidritte­lmehrheite­n. In den USA hingegen müssen nach Volkszählu­ngen alle 10 Jahre solche Grenzen neu gezogen werden. Wenn zum Beispiel Florida aufgrund von inzwischen mehr Einwohnern auch mehr Abgeordnet­e im Bundeskong­ress zustehen. Die Republikan­er haben mithilfe eines Computerpr­ogramms die Grenzen raffiniert so umgestalte­t, dass Hochburgen der Demokraten aufgesplit­tet und deren Mehrheitsa­ussichten verringert wurden.

10 Ach ja, und bei allen Skandalen hierzuland­e: Kein Staats- oder Regierungs­chef würde öffentlich verkünden, er habe mit dem Justizmini­ster und der Bundespoli­zei eine Stimmauszä­hlung mittendrin gestoppt, weil sein Wunschkand­idat vorne war und man den Zwischenst­and als Endergebni­s wollte. Donald Trump hat das getan und trompetete es hinaus, nachdem Ron de Santis als Gouverneur Floridas von seinem Lieblingsp­arteifreun­d zum Parteiriva­len geworden war.

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