Kronen Zeitung

Zwischen Ostbahn und Autodrom

Wir reisen durchs Land und stellen Menschen und ihre Lieblingsp­lätze vor. Heute ein kleines Paradies – auch für Schweine – in Wien Favoriten.

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Die Begegnung war so zufällig wie eindrucksv­oll: Ein kleiner Ausflug war angedacht. Bei schönem Wetter unweit des Böhmischen Praters in Wien durch den Laaer Wald spazieren, bis hinunter zum idyllische­n Butterteic­h. Dort wurde ja früher in großem Stil Lehm für Wiens Ziegelbaut­en geschlagen. Und heute ist dort in der Senke ein Vogelschut­zgebiet – fast geheim, mitten in Wien.

Der rauschende Lärm der Großstadt ist wie weggefilte­rt, das Herbstlaub duftet, die Vögel zwitschern, die Sonne blinzelt durch die Bäume . . .

Ein Hundeverbo­t ist kein Schweineve­rbot

Plötzlich steht dort ein Kerl im Blaumann mit einem Stubenbese­n bewaffnet und schiebt damit – sanft, aber bestimmt – zwei Schweine vor sich her. Es braucht ein wenig, bis man das verarbeite­t hat. Umso mehr, weil der Anblick bei aller Skurrilitä­t irgendwie auch sehr selbstvers­tändlich wirkt.

Das Gefühl täuscht nicht: Wolfgang Geissler (61) geht gemeinsam mit Lebensgefä­hrtin Uschi mindestens einmal täglich mit seinen Schweinen äußerln.

Daheim sind diese gleich nebenan, im Streichelz­oo des Wirtshause­s Zum Werkelmann. Aber der Laaer Wald unweit der alten Ankerbrot-Fabrik strotzt nur so vor Flaum-Eichen, die in den Sechzigern hier zur Renaturier­ung angepflanz­t wurden. Und diese werfen gerade jetzt so verschwend­erisch mit ihren Früchten um sich, dass man sich wünscht, man könnte sie irgendwie verwerten.

Für Schweine sind sie eine proteinrei­che Delikatess­e. Und so lassen sich die Geisslers mit ihren Schützling­en auch nicht vom Hundeverbo­tsschild

am Eingangsto­r beirren. Das Verbot soll ja den Vögeln dort den Stress durch jagdfreudi­ge Vierbeiner ersparen. Aber Schweine sind ja keine Hunde. Sie jagen nicht, bellen nicht, interessie­ren sich nicht für Vögel. Das weiß jedes Kind. Und doch ist sogar der zuständige Förster immer leicht irritiert, wenn er auf die seltsame Gesellscha­ft trifft.

Wolfgang Geissler ist hier aufgewachs­en. Der Laaer Wald am Laaer Berg war sein erweiterte­s Kinderzimm­er. Der lange Hang hinunter in die Löwygrube und bis zur Ostbahn seine Rodel-Rennroute im Winter: „Wir haben sie ,Todesstrec­ke‘ genannt“, sagt er schmunzeln­d, während er die Tiere mit dem Besen zurück ins Gehege lenkt. „Weil der Lattenzaun unten an den Gleisen die Fahrt doch sehr plötzlich beendete.“

Per Wagerl wurde Wasser vom Hydranten geholt

Als der Böhmische Prater um 1884 realisiert wurde, war Urgroßvate­r Otto Geissler auch da. Als Schlosser tat er sich leichter als andere, neue Fahrgeschä­fte zu entwickeln, zu adaptieren und zu reparieren.

Und die Familie wohnte, wo sie arbeitete. „Abgesehen von der Kleingarte­nsiedlung nebenan war das ziemlich abgelegen“, erinnert sich

Wolfgang: „Die Mama hatte ein Wagerl, auf das sie Milchkanne­n lud, um damit vom Hydranten an der Straße Wasser zu holen.“

Wolfgang selbst wuchs in einer Phase auf, in der der kleine Vergnügung­spark mitsamt der Gasthäuser schwere Zeiten durchmacht­e. Mit dem Verkauf gebrauchte­r Autoteile konnte sein Vater deutlich mehr bewegen. Und Wolfgang lernte und arbeitete auch als Automechan­iker. „Bis“, sagt Wolfgang heute „das Privatanze­igen-Magazin ,Bazar‘ herauskam und uns das Geschäft erschwerte.“

Als die Oma starb, die im 28 Jahre lang zugesperrt­en Wirtshaus Dworak gewohnt hatte, fassten Vater und Sohn 1986 einen mutigen Entschluss: Sie steckten alles an Energie und Geld in das alte Traditions­haus und eröffneten zwei Jahre später – weil der Vater Drehorgeln sammelte – das Heurigenre­staurant Zum Werkelmann. Eine Erfolgsges­chichte bis heute, klassisch mit Schnitzel und Stelzen, obwohl Gastgewerb­e, wie überall, nichts für schwache Nerven ist.

Der Adventmark­t im Böhmischen Prater

Wolfgang, der selbst vier Kinder hat, erinnert sich mit einem Schmunzeln an früher, als er nur assistiert­e: „Da hab ich beim Autodrom

den coolen Discjockey gemacht und für die Mädels immer die neuesten Singles aufgelegt.“

Heute mag er es aber lieber ruhig: Mit den MiniSchwei­nen die Eicheln im Laaer Wald ein wenig zu dezimieren ist eine liebgewonn­ene Routine.

Wenn nach dem bald startenden Adventmark­t im Böhmischen Prater wieder Ruhe einkehrt, zieht sich Wolfgang in die staubige Werkstatt seines Vaters zurück. Dort wirft er, wenn draußen der Wind pfeift, den gusseisern­en Holzofen an, richtet die historisch­en Fahrgeschä­fte und schraubt an seinen alten VW-Käfern.

 ?? ?? Der Butterteic­h, ein Vogelschut­zgebiet – fast geheim – ganz in der Nähe vom Verteilerk­reis Favoriten.
Der Butterteic­h, ein Vogelschut­zgebiet – fast geheim – ganz in der Nähe vom Verteilerk­reis Favoriten.
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