Bones And All
Dass Maren (Taylor Russell) von ihrem Vater abends in ihrem Zimmer eingesperrt wird, ist erst einmal befremdlich. Als sie aber einer Schulkameradin, die ihr die frisch lackierten Fingernägel zeigen möchte, das Fleisch von den Knochen nagt, wird es einem mulmig. Ein Tape von Marens Vater, der seine Erziehungsmaßnahmen als gescheitert ansieht, bringt Licht in die absonderliche Fleischeslust des jungen Mädchens: Sie ist eine Kannibalin! Maren macht sich auf die Suche nach ihrer Mutter, die sie nie kennengelernt hat.
Luca Guadagninos Menschenfresser-Parabel will, so makaber es scheint, Tribut an die Andersartigkeit sein. Als Drifter Lee (Timothée Chalamet aus „Dune“) – auch er ein Outlaw mit grausigen kulinarischen Präferenzen – Marens Wege kreuzt, wandelt sich der Roadtrip, basierend auf Camille DeAngelis’ gleichnamigem Roman, zur Tour de Force zweier Getriebener, die ihre Daseinsberechtigung ineinander finden und trotz monströser Unappetitlichkeiten, für die es die Abgeklärtheit eines Pathologen bräuchte, dem Film ein Liebesdrama von großer Intensität abringen.
Letztlich ist „Bones And All“aber auch eine Vignette über gesellschaftliche Außenseiter im Reagan-Amerika der 1980er-Jahre. Guadagnino wurde bei den diesjährigen Filmfestspielen in Venedig für die Beste Regie ausgezeichnet, Taylor Russell bekam als beste Nachwuchsdarstellerin den Marcello-Mastroianni-Preis verliehen. Visuell drastisch und emotional fordernd.