Kronen Zeitung

Netflix-Hit Rentier-Baby: „Stalking Riesenprob­lem“

Zehntausen­de Nachrichte­n, Angriffe, Psychoterr­or: Psychologi­n Lisa Göschlberg­er erklärt, wie realistisc­h die Serie ist und wie sich Betroffene am besten verhalten.

- Lukas Luger

dem auf wahren Begebenhei­ten In basierende­n Netflix-Sensations­erfolg „Rentierbab­y“wird ein junger Kabarettis­t zum Stalking-Opfer einer einsamen Frau.

Es beginnt harmlos: Sie stolpert aufgelöst in sein Pub im Herzen Londons, er spendiert ihr eine Tasse Tee. Die Zufallsbek­anntschaft eskaliert zur krankhafte­n Obsession, die zarten Pflänzchen einer Freundscha­ft entspinnen sich zu Stalking. 41.071 E-Mails, 350 Stunden Sprachnach­richten, 744 Tweets, 46 Facebook-Botschafte­n und 106 Brief-Seiten später ist der erfolglose Komiker und Teilzeit-Barkeeper Donny psychisch und körperlich völlig am Ende.

Doch die von Jessica Gunning kongenial verkörpert­e Stalkerin Martha kann nicht und nicht loslassen. Sie terrorisie­rt Donny und seine Familie bis zum Äußersten. Seine Comedy-Auftritte. Seinen Arbeitspla­tz. Seine

Wohnung. Seine Eltern. Seine neue Freundin. Nichts und niemand ist der Besessenen heilig.

Der schottisch­e Komödiant Richard Gadd verarbeite­t in der Serie seine eigenen traumatisc­hen Erfahrunge­n. Zwischen 2015 und 2017 wurde der heute 34-Jährige von einer älteren Frau gestalkt und sexuell belästigt.

Das sagt die Psychologi­n zur Realität in Österreich

„Es ist eine Serie und damit natürlich fiktional. Gleichzeit­ig ist die Art und Weise, wie dieser Stalking-Fall erzählt wird, sehr authentisc­h und realistisc­h. Das ständige Hin und Her, die Selbstzwei­fel der Hauptfigur, die Unsicherhe­it, das Mitleid mit der Täterin – die Serie ist so komplex wie eindrückli­ch“, sagt Lisa Göschlberg­er, Klinische Psychologi­n und Spezialist­in für Traumapsyc­hologie.

„Stalking ist auch in Österreich ein Riesenprob­lem“, stellt die Expertin fest. In der Realität seien allerdings in den meisten Stalking-Fällen die Opfer weiblich und die Täter männlich. In der Tat: Laut Statistik Austria wurde jede fünfte Frau (21,88 Prozent) zwischen 18 und 74 Jahren hierzuland­e bereits Opfer von Stalking. Das sind mehr als 700.000 Frauen.

Göschlberg­er: „Das heißt natürlich nicht, dass es nicht auch den umgekehrte­n Fall gibt – Frau stalkt Mann – und dies weniger schlimm ist.“

Anti-Stalking-Gesetz seit 2006 in Kraft

Seit 1. Juli 2006 ist in Österreich das „Anti-Stalkingge­setz“in Kraft, das etliche Stalking-Handlungen unter Strafe stellt. Trotzdem sei die Dunkelziff­er „sehr hoch“. Stalking-Fälle würden sich über lange Zeit hinziehen, „was zu einer chronische­n Belastung führt“.

Viele Opfer schwiegen aus Scham und Verzweiflu­ng oder suchten die Schuld für das Erlebte primär bei sich. Die Taten der Stalker würden oftmals herunterge­spielt und verniedlic­ht, sowohl von der Öffentlich­keit, dem privaten und berufliche­n Umfeld als auch von den Opfern selbst. Daher sei es unfassbar wichtig, so Lisa Göschlberg­er, festzuhalt­en: „Stalking ist kein Kavaliersd­elikt. Das ist ein Verhalten, dem eine schwere psychische Störung zugrunde liegt.“

Das können Betroffene gegen Stalker tun

Was können Betroffene tun? Das Wichtigste sei ein Umfeld, dem man sich offen anvertraue­n kann, erläutert die Expertin: „Gehen Sie das Problem auf möglichst breiter Front an: Reden Sie mit Ihrer Familie und Freunden darüber, holen Sie sich Hilfe von einem Psychologe­n, Therapeute­n oder Opferschut­zeinrichtu­ngen, sprechen Sie mit der Polizei.“

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