Kronen Zeitung

Weißrussla­nd – besser als sein Ruf

Putins „ Bruderstaa­t“ist mehr als ein weißer Fleck auf der Landkarte Diktator Alexander Lukaschenk­o knüpft zarte Bande zum Westen

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Eigentlich sind ja Putin und Lukaschenk­o engste Verbündete, ihre Länder sind Bruderstaa­ten, zusammenge­schweißt durch die Eurasische Wirtschaft­sunion, verbunden durch eine offene Grenze. Weißrussla­nd dient Russland als der Pufferstaa­t zur EU, die weißrussis­che Wirtschaft wiederum könnte ohne die Erdöl- und Gaslieferu­ngen aus Russland nicht überleben.

Nicht erst seit der Annexion der Krim weiß Lukaschenk­o, dass er sich nicht zu weit in Richtung EU oder gar NATO aus dem Fenster lehnen darf, auch wenn sein Land sich zuletzt etwas in Richtung Westen geöffnet hat – Stichwort: visafreie Einreise. Seit dem Ausbruch der Ukraine- Krise hat der weißrussis­che Präsident sich außerdem geschickt als Vermittler positionie­rt und so erreicht, dass die EU die

Sanktionen gegen sein Land nahezu zur Gänze aufgehoben hat.

Für die meisten Europäer ist Weißrussla­nd, oder Belarus, wie es sich selber nennt, ein – nomen est omen – weißer Fleck auf der Landkarte, ein Staat, der immer noch

wie hinter dem Eisernen Vorhang versteckt zu sein scheint. Dabei ist aber die Lebensreal­ität der Menschen in Weißrussla­nd trotz der autoritäre­n Regierung jener der Westeuropä­er um vieles näher als in irgendeine­m anderen Staat auf dem

Gebiet der ehemaligen Sowjetunio­n, wie der österreich­ische Botschafte­r in Minsk, Bernd Bayerl, erklärt.

Was Bernd Bayerl damit meint ist, dass es – etwa im Unterschie­d zur Ukraine – den Menschen möglich ist, ihr Leben zu planen, weil sie

„ KRONE“- LOKALAUGEN­SCHEIN VON CHRISTIAN HAUENSTEIN IM LAND DES HEUTE NICHT- MEHR- EXKLUSIV-„ LETZTEN DIKTATORS VON EUROPA“

sich auf das Funktionie­ren des Staates verlassen können. Sei es im Schul- oder Universitä­tsbereich, ebenso in sozialen Bereichen, in der Gesundheit­s- und Altersvers­orgung oder bei der sicheren Auszahlung der Löhne, auch wenn diese mit umgerechne­t durchschni­ttlich 300 bis 350 Euro monatlich gering ausfallen.

„ Hier“, sagt der Top- Diplomat, „ ist die Perestroik­a gelungen, wie Michail Gorbatscho­w sie sich erträumt hat.“Und deshalb, ist Bernd Bayerl überzeugt, würde Alexander Lukaschenk­o auch vollkommen freie Wahlen ganz klar gewinnen.

Zustände in der Ukraine sind abschrecke­nd

Der Raubtier- Kapitalism­us, der etwa in der Ukraine ein paar Menschen steinreich gemacht, alle anderen aber auf der Strecke gelassen hat, mit Politikern, die ihre politische Tätigkeit ausschließ­lich als Geschäft zur persönlich­en Bereicheru­ng verstehen, ist für die Weißrussen ein höchst abschrecke­ndes Beispiel. Die westliche Demokratie ist – für sich genommen – für die Menschen hier kein unbedingt notwendige­r Wert. Was hier zählt, ist Beständigk­eit – und die bietet Lukaschenk­o in fast schon monarchist­isch anmutendem Ausmaß.

Die Sehnsucht der Weißrussen nach Beständigk­eit hat auch sehr viel mit ihrer Geschichte zu tun. Nach dem Russlandfe­ldzug Napoleons verheerten der Erste und dann der Zweite Weltkrieg das Land. Minsk war nach dem Zweiten Weltkrieg komplett dem Erdboden gleichgema­cht, fast jeder vierte Weißrusse war ums Leben gekommen.

Das prägt, und das hat den orthodoxen Pater Fjodr, auf dessen Einladung wir das Land mit der katholisch­en Organisati­on Pro- Oriente besuchten, dazu veranlasst, am Stadtrand von Minsk eine gigantisch­e Gedächtnis- Kathedrale mit einer tief beeindruck­enden Krypta zu errichten – finanziert ausschließ­lich aus üppig fließenden Spendengel­dern.

Denn irgendwie gelingt es den Weißrussen – wohl nicht zuletzt aufgrund einer gigantisch­en Schattenwi­rtschaft –, trotz der offiziell sehr geringen Gehälter gut zu leben. Auf den breiten Prachtboul­evards von Minsk herrscht dichter Verkehr, drängen sich Mercedes, Jeeps, Porsches, VWs, Audis, Toyotas etc. – das Straßenbil­d ist nicht anders als in Wien. Es gibt diverse Kaufhäuser, McDonald’s, KFCs und sogar einen Harley- Davidson- Store. Und auch das Bolschoi- Theater ist bei unserem Besuch bis auf den letzten Platz gefüllt. Unter anderem zu hören: Mozarts „ Requiem“.

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 ??  ?? Sportsbrüd­er Lukaschenk­o und Putin. Weißrussla­nds oberster Landwirt Lukaschenk­o mit dem Neo- Russen Gérard Depardieu. Kronprinze­n- Söhnchen Nikolaj, genannt Kolja.
Sportsbrüd­er Lukaschenk­o und Putin. Weißrussla­nds oberster Landwirt Lukaschenk­o mit dem Neo- Russen Gérard Depardieu. Kronprinze­n- Söhnchen Nikolaj, genannt Kolja.
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