Kronen Zeitung

Die Zukunft der Sozialpart­nerschaft

Im Parlament wurde vorgestern das Arbeitszei­tgesetz – Stichwort „ 12Stunden- Tag“– wild diskutiert. Zugleich sind Lohnverhan­dlungen in der Industrie gescheiter­t. Es folgten Warnstreik­s. Werden Firmen sowie Arbeiter und Angestellt­e ihre Interessen­konflikte

- Peter Filzmaier ist Professor für Politikwis­senschaft an der Donau- Universitä­t Krems und der Karl- Franzens- Universitä­t Graz.

Österreich setzt da seit Jahrzehnte­n auf das Modell der Sozialpart­nerschaft. Arbeiter- und Wirtschaft­skammer sowie Gewerkscha­ften sind untereinan­der und mit der Regierung um Zusammenar­beit bemüht. Wenn die Interessen­vertretung­en von Unternehme­rn und deren Mitarbeite­rn uneinig sind, wird am Verhandlun­gstisch ein gemeinsame­r Mittelweg gefunden. Das ist gut, denn Streiks sind sauteuer. In der Metallindu­strie etwa kosten sie die Firmen 30 bis 50 Millionen Euro pro Tag. Auch der Wirtschaft­sstandort und das Image als verlässlic­her Handelspar­tner leiden. Der streikende Arbeitnehm­er bekommt kein Geld. Oder nur aus dem irgendwann leeren Streiktopf der Gewerkscha­ft. Gefährdet wird neben der wirtschaft­lichen Entwicklun­g Österreich­s auch der soziale Friede. Zu Gewalt als Arbeitskam­pfmaßnahme darf es nie kommen. Die Sozialpart­ner haben eine Erfolgsges­chichte. In 16 der letzten 25 Jahre gab es keine einzige Streikseku­nde. Auch wenn Arbeitgebe­r weniger Lohn zahlen und Arbeitnehm­er mehr haben wollen, wurden Verhandlun­gsresultat­e von allen als fair empfunden. Zugleich gibt es Interessen, die man Seite an Seite gegenüber der Regierung vertreten kann. Beispielsw­eise niedrigere Steuern und Lohnnebenk­osten für Pensions- und Krankenver­sicherung. Momentan ruinieren aber die Sozialpart­ner von den Kammern über die Gewerkscha­ften bis zur mitbeteili­gten Industriel­lenvereini­gung durch ständige Uneinigkei­t ihren guten Ruf. Auch weil man insbesonde­re beim 12- StundenTag weniger über Sachfragen streitet als einen Stellvertr­eterkrieg zwischen Regierung und Opposition führt.

Der Vorwurf an die Gewerkscha­ften lautet, dass mit den Streiks primär gegen die ÖVP/ FPÖ- Regierung protestier­t wird. Umgekehrt freuen sich die ÖVP und Sebastian Kurz unterstütz­ende Firmenbesi­tzer zu sehr, dass die Regierung beim Arbeitszei­tgesetz viele ihrer Wünsche erfüllt hat. Das gilt generell für das Regierungs­programm, und im Bewusstsei­n der Stärke überspannt man den Bogen. Ins Fäustchen lacht sich die FPÖ. Sowohl bei den Arbeiterka­mmerwahlen als auch in der Wirtschaft­skammer bekamen die Freiheitli­chen weniger als 10 Prozent der Stimmen. Zur Erinnerung: Als Partei waren es auf Bundeseben­e 2017 rund 26 Prozent, also weit mehr als das Doppelte. Die FPÖ ist somit in den Kammern und in der Sozialpart­nerschaft kaum vertreten.

Einen solchen Bereich – wo man nichts zu reden hat und keinen Blumentopf gewinnt – würde Vizekanzle­r Heinz- Christian Strache am liebsten abschaffen. Was freilich im Parteiinte­resse nachvollzi­ehbar ist, macht als Teil der Regierung keinen schlanken Fuß. Darf Strache die bewährte Sozialpart­nerschaft über Bord werfen wollen, nur weil es der eigenen Partei in den Kram passt? Die populäre bis populistis­che Argumentat­ion der FPÖ ist, dass jeder von uns gesetzlich in einer Kammer sein muss und Beiträge blecht. Das wäre ungerecht. Doch durch die Pflichtmit­gliedschaf­t müs-

sen die Kammern alle betroffene­n Österreich­er vertreten. Speziell in Debatten mit der Regierung. Es darf nicht sein, dass Maximalarb­eitszeit und Mindestloh­n nur für einen Teil der arbeitende­n Menschen gelten und der Rest eben Pech hat.

Eine Errungensc­haft der Sozialpart­ner ist, dass sogar die Gewerkscha­ft als Verein mit freiwillig­en Mitglieder­n immer für Nicht- Mitglieder mitverhand­elt. Zugleich soll sich im Interessen­wettbewerb nicht bloß der Wille des Stärkeren oder Reicheren durchsetze­n. Das Kammersyst­em garantiert, dass Kleinunter­nehmen und Angestellt­e aus „ kleinen“Berufsgrup­pen gleich gut vertreten sind. Was zudem für die Sozialpart­ner spricht und im aktuellen Streit untergeht: Sie leisten eine exzellente Servicefun­ktion. Wer selbststän­dig statt angestellt ist, der weiß, wie viele Vor- schriften und Regeln es gibt. Ohne Beratung der Wirtschaft­skammer stünde man oft mangels Wissen mit einem Bein im Gefängnis.

Nehmen wir umgekehrt als Beispiel eine Frau, die für den selben Job um 500 Euro weniger bekommt als ein Mann. Obwohl der um nichts mehr oder besser arbeitet. Wie so ein Unrecht bekämpfen? Der Weg zum Rechtsanwa­lt wäre für die Frau ein großes Prozessund Kostenrisi­ko. Der Zu- spruch eines Politikwis­senschafte­rs ist für sie sowieso nullkomman­ull wert. Daher braucht es die Arbeiterka­mmer, weil es nicht um Einzelfäll­e geht, sondern das tägliche Brot.

Die Punkte 6 und 7 gelten freilich nur, wenn die Sozialpart­nerschaft ihre Handlungsf­ähigkeit weiter beweist und Ergebnisse zustande bringt. Mit zu vielen Konflikten wird von den eigenen guten Leistungen abgelenkt.

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 ??  ?? Die Metalltech­nische Industrie kündigte für Montag Streiks an, sollten die Lohnverhan­dlungen scheitern ( li.). Auch im Parlament ist man sich nach wie vor nicht über das neue Arbeitszei­tgesetz einig ( re.).
Die Metalltech­nische Industrie kündigte für Montag Streiks an, sollten die Lohnverhan­dlungen scheitern ( li.). Auch im Parlament ist man sich nach wie vor nicht über das neue Arbeitszei­tgesetz einig ( re.).

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