Die Zukunft der Sozialpartnerschaft
Im Parlament wurde vorgestern das Arbeitszeitgesetz – Stichwort „ 12Stunden- Tag“– wild diskutiert. Zugleich sind Lohnverhandlungen in der Industrie gescheitert. Es folgten Warnstreiks. Werden Firmen sowie Arbeiter und Angestellte ihre Interessenkonflikte
Österreich setzt da seit Jahrzehnten auf das Modell der Sozialpartnerschaft. Arbeiter- und Wirtschaftskammer sowie Gewerkschaften sind untereinander und mit der Regierung um Zusammenarbeit bemüht. Wenn die Interessenvertretungen von Unternehmern und deren Mitarbeitern uneinig sind, wird am Verhandlungstisch ein gemeinsamer Mittelweg gefunden. Das ist gut, denn Streiks sind sauteuer. In der Metallindustrie etwa kosten sie die Firmen 30 bis 50 Millionen Euro pro Tag. Auch der Wirtschaftsstandort und das Image als verlässlicher Handelspartner leiden. Der streikende Arbeitnehmer bekommt kein Geld. Oder nur aus dem irgendwann leeren Streiktopf der Gewerkschaft. Gefährdet wird neben der wirtschaftlichen Entwicklung Österreichs auch der soziale Friede. Zu Gewalt als Arbeitskampfmaßnahme darf es nie kommen. Die Sozialpartner haben eine Erfolgsgeschichte. In 16 der letzten 25 Jahre gab es keine einzige Streiksekunde. Auch wenn Arbeitgeber weniger Lohn zahlen und Arbeitnehmer mehr haben wollen, wurden Verhandlungsresultate von allen als fair empfunden. Zugleich gibt es Interessen, die man Seite an Seite gegenüber der Regierung vertreten kann. Beispielsweise niedrigere Steuern und Lohnnebenkosten für Pensions- und Krankenversicherung. Momentan ruinieren aber die Sozialpartner von den Kammern über die Gewerkschaften bis zur mitbeteiligten Industriellenvereinigung durch ständige Uneinigkeit ihren guten Ruf. Auch weil man insbesondere beim 12- StundenTag weniger über Sachfragen streitet als einen Stellvertreterkrieg zwischen Regierung und Opposition führt.
Der Vorwurf an die Gewerkschaften lautet, dass mit den Streiks primär gegen die ÖVP/ FPÖ- Regierung protestiert wird. Umgekehrt freuen sich die ÖVP und Sebastian Kurz unterstützende Firmenbesitzer zu sehr, dass die Regierung beim Arbeitszeitgesetz viele ihrer Wünsche erfüllt hat. Das gilt generell für das Regierungsprogramm, und im Bewusstsein der Stärke überspannt man den Bogen. Ins Fäustchen lacht sich die FPÖ. Sowohl bei den Arbeiterkammerwahlen als auch in der Wirtschaftskammer bekamen die Freiheitlichen weniger als 10 Prozent der Stimmen. Zur Erinnerung: Als Partei waren es auf Bundesebene 2017 rund 26 Prozent, also weit mehr als das Doppelte. Die FPÖ ist somit in den Kammern und in der Sozialpartnerschaft kaum vertreten.
Einen solchen Bereich – wo man nichts zu reden hat und keinen Blumentopf gewinnt – würde Vizekanzler Heinz- Christian Strache am liebsten abschaffen. Was freilich im Parteiinteresse nachvollziehbar ist, macht als Teil der Regierung keinen schlanken Fuß. Darf Strache die bewährte Sozialpartnerschaft über Bord werfen wollen, nur weil es der eigenen Partei in den Kram passt? Die populäre bis populistische Argumentation der FPÖ ist, dass jeder von uns gesetzlich in einer Kammer sein muss und Beiträge blecht. Das wäre ungerecht. Doch durch die Pflichtmitgliedschaft müs-
sen die Kammern alle betroffenen Österreicher vertreten. Speziell in Debatten mit der Regierung. Es darf nicht sein, dass Maximalarbeitszeit und Mindestlohn nur für einen Teil der arbeitenden Menschen gelten und der Rest eben Pech hat.
Eine Errungenschaft der Sozialpartner ist, dass sogar die Gewerkschaft als Verein mit freiwilligen Mitgliedern immer für Nicht- Mitglieder mitverhandelt. Zugleich soll sich im Interessenwettbewerb nicht bloß der Wille des Stärkeren oder Reicheren durchsetzen. Das Kammersystem garantiert, dass Kleinunternehmen und Angestellte aus „ kleinen“Berufsgruppen gleich gut vertreten sind. Was zudem für die Sozialpartner spricht und im aktuellen Streit untergeht: Sie leisten eine exzellente Servicefunktion. Wer selbstständig statt angestellt ist, der weiß, wie viele Vor- schriften und Regeln es gibt. Ohne Beratung der Wirtschaftskammer stünde man oft mangels Wissen mit einem Bein im Gefängnis.
Nehmen wir umgekehrt als Beispiel eine Frau, die für den selben Job um 500 Euro weniger bekommt als ein Mann. Obwohl der um nichts mehr oder besser arbeitet. Wie so ein Unrecht bekämpfen? Der Weg zum Rechtsanwalt wäre für die Frau ein großes Prozessund Kostenrisiko. Der Zu- spruch eines Politikwissenschafters ist für sie sowieso nullkommanull wert. Daher braucht es die Arbeiterkammer, weil es nicht um Einzelfälle geht, sondern das tägliche Brot.
Die Punkte 6 und 7 gelten freilich nur, wenn die Sozialpartnerschaft ihre Handlungsfähigkeit weiter beweist und Ergebnisse zustande bringt. Mit zu vielen Konflikten wird von den eigenen guten Leistungen abgelenkt.