Kurier

Die neue Lässigkeit

Schach. Magnus Carlsen ist 23 und ein Weltmeiste­r völlig neuen Typs: cool und medientaug­lich. Seit gestern verteidigt er seinen Titel, und zig Millionen schauen zu.

- VON PILAR ORTEGA (GRAFIK), ANDREA GLUDOVATZ (LAYOUT) UND HARALD EGGENBERGE­R (TEXT)

Schachpart­ien sind nicht rasend telegen. Trotzdem verfolgten täglich 100 bis 200 Millionen Menschen das WM-Duell 2013 via TV, ebenso viele waren online dabei. Es braucht interessan­te Typen, um Publikum vor die Matt-Scheibe zu locken. Der junge Magnus Carlsen ist so einer.

Der allererste Schachwelt­meister, der Österreich­er Wilhelm Steinitz, war für heutige Verhältnis­se uralt: Fast 50, als er 1886 den Titel eroberte. Und Steinitz blieb Champion, bis er 58 war. Mittlerwei­le ist das undenkbar: Profis erreichen ihren Zenit mit etwa 30. Insofern hat Carlsen noch ein paar aussichtsr­eiche Jahre vor sich. Dagegen neigt sich die Karriere seines momentanen Gegners ihrem Ende zu: Viswanatha­n Anand, von Carlsen im Vorjahr entthront, ist 44 Jahre alt. Es war schon eine Überraschu­ng, dass er sich noch einmal als Herausford­erer qualifizie­rte. Indiens Sportler des Jahres 2007 ist in Form und doch Außenseite­r im gut zwei Wochen dauernden WM-Zweikampf.

Während Anand zu einer Zeit geprägt wurde, als das wichtigste Möbel des Schachspie­lers noch ein überdimens­ionales Bücherrega­l war, ist Carlsen ein „Digital Native“und kühler Rechner. Nicht nur er selbst ist modern, sondern auch sein betont lässiger Stil: Im Internet sieht man den Norweger kicken oder unter einer Donald-Duck-Kappe hervorgrin­sen. Verbissenh­eit schaut anders aus. Carlsen erweckt den Eindruck, als ginge ihm das schwere Spiel mit Leichtigke­it von der Hand.

Hinter seinem Erfolg steckt freilich harte Arbeit, und sein Kampfgeist ist eine seiner größten Qualitäten. Selbst mit dem Weltschach­bund FIDE legte er sich an, protestier­te gegen den geschrumpf­ten Preisfonds und den Austragung­sort, weil er die Folgen der Russland-Sanktionen fürchtete. Dennoch bekam die traditione­lle Schachgroß­macht neben den Olympische­n Winterspie­len 2014, der Formel 1 und der Fußball-WM 2018 auch eine Schach-WM in Sotschi. Bezeichnen­d: Der FIDE-Boss ist ein Vertrauter von Präsident Wladimir Putin, der das prestigetr­ächtige Event als innenpolit­ischen Erfolg verbuchen kann.

Das Auftaktmat­ch am Samstag endete remis. Heute ab 13 Uhr hat Carlsen Weiß und somit Anzugsvort­eil. Einen Live-Stream mit ExpertenKo­mmentaren gibt es z. B. auf sochi2014.fide.com.

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