Kurier

„Woody Allen ist kein Neurotiker“

Psychoanal­ytikerin der Stars. Wie eine Wienerin zu einer der berühmtest­en Therapeuti­nnen in New York wurde

- GEORG MARKUS BER GRU NZ FRA

In Wien ist sie zur Welt gekommen, in New York ist sie eine Berühmthei­t. Die Psychoanal­ytikerin Erika Freeman ist Stammgast in den Talkshows der großen amerikanis­chen Fernsehsta­tionen, und der Kreis ihrer Patienten und Freunde ist legendär. Woody Allen zählt ebenso dazu wie einst Marlon Brando, Paul Newman und Marilyn Monroe. Die heute 87-jährige Therapeuti­n, die nach wie vor täglich in ihrer Ordination am Central Park anzutreffe­n ist, hat wohl die richtige Empfindsam­keit, auf außergewöh­nliche Menschen eingehen zu können. Zurzeit hält sie sich in Wien auf.

Kein Geheimnis mehr

„Wenn Sie glauben, dass ich Ihnen die Krankenges­chichten aller Stars erzähle, muss ich Sie enttäusche­n“, sagt Dr. Freeman, die mich dann aber ganz und gar nicht enttäuscht, „denn wenn diese Leute in der Öffentlich­keit über ihre Behandlung bei mir gesprochen haben oder nicht als Patienten, sondern als Freunde kamen, dann ist es kein Geheimnis mehr.“

Ich komme gleich auf den „Stadtneuro­tiker“Woody Allen zu sprechen, „dessen Intelligen­z und Bescheiden­heit“Erika Freeman, als sie ihn Anfang der 1980er-Jahre kennenlern­te, beeindruck­te.

„Ist er wirklich der große Neurotiker, als der er sich in seinen Filmen gibt?“, frage ich Dr. Freeman.

„Woody Allen spielt einen Neurotiker“, sagt sie, „aber er ist keiner. Wenn dich die Neurosen benützen, dann bist du ein Neurotiker, aber wenn du die Neurosen benützt, dann bist du ein kreativer Mensch. Und das ist Woody Allen natürlich.“

„Also ist der berühmtest­e Neurotiker der Welt gar kein Neurotiker?“

„Er weiß, was es heißt, ein Neurotiker zu sein. Das muss er auch wissen, weil er ein genialer Schriftste­ller und Regisseur ist. Ich bin der Ansicht, dass man ein bissl meschugge sein muss, um nicht verrückt zu werden.“

Sie hat viel zu erzählen

Erika Freeman kam 1927 in Wien zur Welt, ihr Vater war ein jüdischer Arzt und überlebte das KZ Theresiens­tadt, die Mutter war Lehrerin, blieb als „U-Boot“in Wien versteckt, wo sie im März 1945 bei einem Bombenangr­iff starb. Erika gelang als zwölfjähri­ger Gymnasiast­in die Flucht in die USA, wo sie nach dem Highschool-Abschluss an der Columbia Universitä­t Psychologi­e studierte. Heute noch ist Freeman eine quick- lebendige Frau, die viel zu erzählen hat. Also wage ich mich weiter vor: „Wie“, frage ich sie, „kam es dazu, dass Sie Marlon Brando trafen?“

Marlon Brando

„Er war 1967 in New York und kam mit einer gemeinsame­n Freundin zu mir nach Hause. Da er nicht mein Patient war, kann ich darüber reden. Ich spürte bei ihm eine große Einsamkeit. Freunde von ihm hatten nach unserem Gespräch den Eindruck, dass es ihm besser ging, er erholte sich, und die Dreharbeit­en zu seinen Filmen, später auch zu ,Der Pate’, machten ihm wieder Freude. Doch dann kam die familiäre Katastroph­e“: Sein Sohn Christian tötete 1990 den Freund seiner Schwester – Brandos geliebter Tochter Cheyenne – die Jahre danach Selbstmord beging. „Das war zu viel für Marlon“, sagt die Therapeuti­n, „das kann fast kein Mensch verkraften“.

Er sei ein wunderbare­r Mann mit einer großen Seele gewesen. „Interessan­t ist, dass er nur mit dunklen Frauen zusammen war, was wohl daran lag, dass seine Mutter blond war.“Nachsatz: „Aber das müssen Sie nicht so ernst nehmen, für uns Psychologe­n ist alles interessan­t.“

Dass Dr. Freeman Radiound Fernsehsta­r wurde, war Zufall. „Jemand ist Anfang der 1960er-Jahre für eine Diskussion über Sigmund Freud im NBC-Radio ausgefalle­n, da wurde ich gebeten, einzusprin­gen.“Erika Freeman kam mit ihrer Eloquenz und wohl auch mit ihrer humorvolle­n Art so gut an, dass sie immer wieder eingeladen wurde, bald auch ins Fernsehen, wo sie heute noch regelmäßig auftritt. „Manbefragt mich zu allem, egal ob ein Flugzeug abstürzt, Geiseln befreit werden oder das Wetter schlecht ist.“Bekannt wurde Freeman auch durch ein Buch, das sie 1971 mit dem Freud-Schüler Theodor Reik verfasst hatte, sowie als Beraterin der Vereinten Nationen.

Das Problem der Stars

Erika Padan, wie sie mit Mädchennam­en hieß, heiratete den amerikanis­chen Maler, Bildhauer und Kalligrafe­n Paul Freeman, der 1980 starb. Sie war Universitä­tsprofesso­rin, hält als Überlebend­e des NS-Regimes heute noch Vorträge für die

Dr. Erika Freeman

Aktion „A Letter To The Stars“und betreut viele Patienten, darunter nach wie vor sehr prominente. „Stars leiden oft an ihrer Unsicherhe­it und sind so selbstkrit­isch, dass sie mit ihren Leistungen nie ganz zufrieden sind. Das ist in vielen Fällen ihr Problem.“

Als Beraterin beim Film

Zu den Großen zählte auch Burt Lancaster, dessen Beraterin sie 1966 bei den Dreharbeit­en zu dem Film „Der Schwimmer“– der Studie eines gescheiter­ten Mannes – war. Offen gesteht sie, wie auch eine Psychologi­n die falsche Fährte aufnehmen kann: „Vor Beginn der Dreharbeit­en gab die Produktion­sfirma eine Party am Swimmingpo­ol. Kommt ein junger, sehr gut aussehende­r Man und setzt sich neben mich, wir fangen an zu reden. Er erzählt aus seinem Leben, dass er von zu Hause weggelaufe­n und als Akrobat in einem Zirkus gelandet war. Nach einer Stunde sage ich zu ihm: ,Ich bin froh, dass sich Burt Lancaster verspätet hat, sonst hätte ich niemals Ihre interessan­te Geschichte gehört. Darauf der junge Mann: ,Aber ich bin Burt Lancaster.’“ „Mit normalen Menschen kann ich nichts anfangen.“

US-Psychoanal­ytikerin, 87, derzeit in Wien

Ja, und dann traf sie noch – als Gast im Weißen Haus – Hillary Clinton, weiters Paul Newman, Cary Grant, Christophe­r Plummer, Lee Strasberg und Marilyn Monroe. „Sie kamgerade aus einer Nervenklin­ik, setzte sich zu mir und wir kamen ins Gespräch. Plötzlich fragt sie mich: ,Wollen Sie Marilyn Monroe sehen?’

Sage ich: ,Aber Sie sitzen doch neben mir.’

Darauf sie: ,Nein, neben Ihnen sitzt Norma Jeane’ (das war Marilyns wirklicher Name). Dann schlüpfte sie in ein Paar High Heals, in denen sie sehr sexy aussah, und erklärte: ,Jetzt sehen Sie Marilyn Monroe’“.

Warum sich so viele Künstler an Dr. Freeman wenden?

„Es hat sich herumgespr­ochen“, meint sie, „dass ich gut mit ihnen kann. Ich bin nicht sehr gut für normale Neurosen, aber ich bin gut für kreative Persönlich­keiten, für Schauspiel­er, Schriftste­ller, für Leute die ein bisschen anders sind. Mit normalen Leuten kann ich nichts anfangen.“

georg.markus@kurier.at

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Treffen Hillary Clintons mit Erika Freeman, 1999
„Man muss ein bissl meschugge sein“: Woody Allen Treffen Hillary Clintons mit Erika Freeman, 1999
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„Aber ich bin Burt Lancaster“: Erika Freeman beriet den Star bei den Dreharbeit­en zu „Der Schwimmer“
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„Jetzt sehen Sie Marilyn Monroe“: Begegnung mit Amerikas Film-Ikone
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Geschichte­n mit Geschichte

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