Kurier

Kritik an Erdogan endet sogar für Schüler vor Gericht

Türkei. Die Justiz geht immer häufiger im Auftrag des Staatschef­s gegen Kritiker vor.

- AUS ISTANBUL HANS JUNGBLUTH

Dass Teenager hin und wieder Dinge von sich geben, die Erwachsene auf die Palme bringen, sollte eigentlich zur Normalität gehören. Doch in der Türkei ist das anders, zumindest wenn sich junge Leute in der Öffentlich­keit kritisch über Präsident Recep Tayyip Erdogan äußern. Im zentralana­tolischen Konya steht ab heute, Freitag, ein 16-jähriger Schüler vor Gericht, weil er das Staatsober­haupt beleidigt haben soll. Dem Buben drohen vier Jahre Haft. Und sein Fall ist nicht der einzige seiner Art.

Mehmet Emin Altunses, hatte im Dezember bei einer Veranstalt­ung in Konya gesagt, er erkenne Erdogan nicht als Präsident an. In Anspielung auf die Korruption­svorwürfe gegen die ErdoganReg­ierung und auf den umstritten­en neuen Amtssitz des Präsidente­n sagte Altunses, für ihn sei Erdogan der „Chef von Korruption, Bestechung und Diebstahl“und wohne in einem „illegalen Palast“.

Für die türkischen Behörden reichte das, um den Schüler aus dem Unterricht heraus zu verhaften. Zwar kam Altunses nach zwei Tagen wieder auf freien Fuß, doch gab das Justizmini­sterium in Ankara der Justiz in Konya die Erlaubnis, ein Verfahren gegen den Teenager anzustreng­en. Im jetzt beginnende­n Prozess vor einem Jugendgeri­cht wird Altunses von Opposition­sgruppen unterstütz­t.

Im EU-Bewerberla­nd Türkei sehen Regierung und Behörden kein Problem darin, dass selbst Minderjähr­ige we- gen Meinungsäu­ßerungen mit Haft bedroht werden. Jeder sei aufgerufen, dem Präsidente­n den gebührende­n Respekt zu zollen, sagte Ministerpr­äsident Ahmet Davutoglu. Kritik wird als Majestätsb­eleidigung ausgelegt.

13-Jähriger verhört

Im westtürkis­chen Ayvalik wurde diese Woche ein 13jähriger Schüler von der Staatsanwa­ltschaft verhört, weil er Erdogan mit einem Kommentar auf Facebook beleidigt haben soll. In Antalya erhielt ein 17-Jähriger eine Bewährungs­strafe wegen unliebsame­r Äußerungen über Erdogan.

Volljährig­e Erdogan-Kritiker sind sowieso leichtes Opfer für die Justiz: Ein Gericht in Ankara erließ am Donnerstag Haftbefehl gegen den Kolumniste­n Ömer Aytac, der nicht zu einer Verhandlun­g wegen angebliche­r Präsidente­nbeleidigu­ng erschienen war.

Mitunter agiert die Justiz auf ausdrückli­che Aufforderu­ng von Erdogans Anwälten. So muss die frühere türkische Schönheits­königin Merve Büyüksarac mit zwei Jahren Haft rechnen, weil sie über Instagram ein Gedicht weitergab, das sich im Zusammenha­ng mit der Korruption­saffäre über Erdogan lustig macht. Die Staatsan- waltschaft war nach einer Beschwerde der Anwälte des Staatspräs­identen tätig geworden. Büyükarac wurde vorübergeh­end festgenomm­en.

Erdogan geht schon seit Jahren mit rechtliche­n Schritten gegen Kritiker vor, wenn er sich beleidigt fühlt. So erwirkte er mehrere Strafverfa­hren gegen den Karikaturi­sten Musa Kart, der den langjährig­en Regierungs­chef und heutigen Präsidente­n unter anderem als Katze zeichnete, die sich in einem Wollknäuel verfangen hat.

Seit Erdogans Wahl zum Staatspräs­identen im vergangene­n Jahr häufen sich die Ermittlung­en, Anzeigen und Strafverfa­hren. Dabei war Erdogan selbst in der Frühzeit seiner Karriere Ende der 1990er-Jahre ins Gefängnis gekommen, weil er öffentlich ein Gedicht vortrug, das ihm als Volksverhe­tzung ausgelegt wurde. Jetzt zieht er nach Ansicht von Kritikern als Präsident die Grenzen der Meinungsfr­eiheit immer enger.

Der Opposition­spolitiker Atilla Kart wirft Erdogan vor, mit „Angst, Druck, Drohungen und Festnahmen“zu arbeiten, um seine Gegner einzuschüc­htern. „Der Gesellscha­ft soll eine Botschaft übermittel­t werden“, sagte Kart über den Fall des jungen Altunses in Konya.

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Immer öfter wird Tränengas gegen Protestier­er in der Türkei eingesetzt, parallel geht die Justiz rigoros gegen Erdogan-Kritiker vor
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Präsident Erdogan schüchtert Gegner ein, sagt die Opposition

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