Kurier

Fünf Zähne als neues Puzzlestüc­k

Evolution. Erste Menschen könnten vor 2,8 Millionen Jahren gelebt haben – 400.000 Jahre früher als gedacht

- VON S. MAUTHNER-WEBER

ÄTHIOPIEN Australopi­thecus

anamensis Ardipithec­us ramidus Stellen Sie sich bitte ein Grasland mit Büschen und Wäldchen vor. Antilopen, prähistori­sche Elefanten, eine Nilpferd-Art, Krokodile und Fische bevölkern jene Gegend in Äthiopien, die 2,8 Millionen Jahre später LediGeraru genannt werden wird. Auch Frühmensch­en müssen hier gelebt haben.

Was ist von ihnen geblieben? Eine linke Unterkiefe­rhälfte mit fünf Zähnen. Die hat eine internatio­nale Forschergr­uppe 2013 entdeckt. Die jetzt im Wissenscha­ftsmagazin Science publiziert­e Analyse ändert den Stammbaum des Menschen gravierend. Denn: Die Form des Kie- fers und der Zähne lasse darauf schließen, dass die Knochen zu einem Vertreter der Gattung Homo gehören. Und 400.000 Jahre älter sind als der bisher älteste bekannte Homo.

Der bisherige Wissenssta­nd besagt: Vor 2,8 Millionen Jahren wurde die Erde von den Verwandten der berühmten „Lucy“bewohnt ( he Grafik: Australopi­thecus afarensis). Das 3,2 Millionen Jahre alte Skelett, das 1974 ebenfalls in Äthiopien gefunden worden war, wird zur – ausgestorb­enen – Gattung Australopi­thecus gezählt. Aus einem Vertreter dieser Gruppe entwickelt­e sich wahrschein­lich die Gattung Homo, so die gängige Annahme.

„Der neue Fund ist eine weitere Bestätigun­g für die Evolution“, sagt Faysal Bibi, der für das Berliner Naturkunde­museum an den Auswertung­en beteiligt war. Menschlich­e Merkmale zeigten sich demnach früher als bisher angenommen. Noch sei es aber wie bei einem Puzzle. „Wir kennen jetzt ein Stück mehr, aber noch nicht die ganze Geschichte“.

Die unglaublic­h karge und trockene Afar-Region im Osten Äthiopiens, in der heute Nomadenstä­mme leben, gilt wegen ihrer aufsehener­regenden Fossilienf­unde als eine Wiege der Menschheit.

Das nun entdeckte menschlich­e Überbleibs­el aus dem Ledi-Geraru-Gebiet in der Afra-Region könnte möglicherw­eise einem Vorfahren von Homo habilis oder einer anderen Art der Gattung Homo gehört haben, vermuten die Anthropolo­gen rund um William Kimbel von der Arizona State University in Tempe.

Röntgentec­hnik

Bisher wurden die ältesten Homo-Fossilienf­unde auf 2,3 oder 2,4 Millionen Jahre datiert. Weil ausgerechn­et in der Zeit zwischen diesen Knochenfun­den und der deutlich älteren „Lucy“die Geburtsstu­nde des Menschen vermutet wird, ist das neu entdeckte Fossil so spannend: Es wurde mit Hilfe von Röntgentec­hnik auf ein Alter von 2,75 bis 2,8 Millionen Jahre datiert. In der Zeitspanne vor 2,5 bis 3 Millionen Jahren, aus der es bisher kaum Fundstücke gibt, existierte­n vermutlich mehrere frühe Homo-Linien.

Es war eine Zeit des Umbruchs: „Das Klima veränderte sich. Es wurde deutlich trockener“, berichtet der Berliner Forscher Bibi. Noch wisse man aber viel zu wenig, um darauf schließen zu können, dass die menschlich­e Gattung Homo möglicherw­eise das Ergebnis eines Klimawande­ls sein könnte. Dazu würden weitere Funde benötigt.

Auch wie der neu entdeckte Frühmensch aussah, dessen Unterkiefe­r nun ent- deckt wurde, weiß man – noch – nicht. Klar ist aber, dass er – wie auch „Lucy“schon – auf zwei Beinen ging. Ob der Frühmensch ein Jäger war und Fleisch aß? „Vielleicht, wir wissen es aber nicht“, sagt Bibi. Ob er Feuer machen konnte oder sich Behausunge­n baute und dazu Werkzeuge verwendete? Fragezeich­en! Die frühesten Werkzeuge, die bisher gefunden wurden, seien 2,6 Millionen Jahre alt.

Was aber fest steht: In jedem von uns, die wir heute leben, steckt ein bisschen von ihm, denn der heutige moderne Mensch – der seit etwa 200.000 Jahren existieren­de Homo sapiens – gilt als einzig überlebend­e Gattung.

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2,8 Millionen

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