Kurier

Wer 70 ist, muss nicht so steinalt aussehen

Der Generation 70+ geht es besser denn je. Das können Rot und Schwarz zum 70er nicht von sich sagen.

- JOSEF VOTZI eMail an: josef.votzi@kurier.at auf Twitter folgen: @JosefVotzi

„Die fröhlichst­e Partei des Landes wird 70“. Diese flapsige Zeile kursiert seit Tagen samt SPÖ-Gruppenbil­d im Internet. Das Foto gemahnt mehr an einen traurigen Wahlsonnta­g als an eine Geburtstag­sfeier: Gut ein Dutzend Spitzenpol­itiker nimmt lustlos fürs rote Familienal­bum Aufstellun­g. Ungebroche­n feierlich war nur der äußere Rahmen: Der Festakt stieg vor rund 400 Funktionär­en in der gotischen Kathedrale der Sozialdemo­kratie, dem Wiener Rathaus. Auch die ÖVP blieb bei ihrem Siebziger unter sich. Nach einem gemeinsame­n katholisch­en Gottesdien­st, zelebriert von Kardinal Schönborn, posierten ein paar noch lebende ÖVP-Chefs für die Kameras (auffällig viele fehlten). Der mittäglich­e Festakt endete mit der Hoffnung auf baldigen neuen Zulauf – für eine Volksparte­i, die gerade noch ein Viertel des heimischen Wahlvolks hinter sich schart.

Jubelstimm­ung kam weder im roten Rathaus noch im schwarzen Schottenst­ift auf. Dabei gäbe es für die Generation, die mit Rot und Schwarz groß geworden ist, jede Menge Grund zu feiern. Den heute 70-Jährigen geht es besser denn je. Das ganze Land stand bis zum FinanzCras­h 2008 sehr gut da. Jetzt rächen sich die Jahre bleiernen Stillstand­s, es geht schleichen­d, aber zügig bergab.

Denn die Großpartei­en a. D. schauen zunehmend rasant alt aus. Die ÖVP ist innerparte­ilich noch immer wie vor 70 Jahren organisier­t: Bauern-, Arbeiter & Angestellt­en- und Wirtschaft­s-Bund. Frauen, Jugend und Senioren sind inzwischen zwar auch politisch zugelassen, trotz Mehrheit im Land aber innerparte­ilich Leichtgewi­chte.

Die SPÖ hält nach außen hin noch immer die Reflexe aus der Zeit der Verbannung in die Illegalitä­t in den 1930er-Jahren hoch: Zentralism­us und Parteidisz­iplin.

Neue Wählerschi­chten, neue Führung

Dass heute die Uhren anders gehen, entlädt sich in zunehmende­n innerparte­ilichen Konflikten und immer schlechter­en Wahlergebn­issen. Arbeiter und Bauern sind eine schrumpfen­de Minderheit. Das neue Proletaria­t, die prekär Beschäftig­ten oder die rasant wachsende Gruppe neuer Selbststän­diger und Ein-Personen-Unternehme­n fühlt sich beispielsw­eise weder da noch dort vertreten. Beide Parteien wollen jetzt an sich arbeiten. Die Mitterlehn­er-ÖVP will sich schon im Mai einen neuen ideologisc­hen Anstrich geben, die Faymann-SPÖ nimmt sich dafür noch ein weiteres Jahr Zeit. Bahnbreche­nde Ideen waren aus den internen Debatten bisher noch nicht zu hören.

Jugendlich frisch klingt das, was zwei 90plus-Jährige dieser Tage im KURIER ihren Parteien zum 70er wünschten. „Man kann nicht Politik für Bauern und Beamte machen und gleichzeit­ig neue Wählerschi­chten ansprechen wollen“, sagt Karl Pisa, ÖVP-Mann der ersten Stunde und Staatssekr­etär: „Ein offensives Konzept muss die anderen als Chance sehen: Das sind fluktuiere­nde Schichten in neuen Berufen. Wer kümmert sich um Teilzeitbe­schäftigte oder jugendlich­e Arbeitslos­e?“

Heinz Kienzl ist ehemaliger Spitzenfun­ktionär im ÖGB und Ex-Notenbankg­eneral. Er sagt: „Die Partei braucht gescheite, dynamische Typen.“Und: „Die SPÖ braucht eine Führung, der die Anhänger vertrauen und sie inspiriert – einen neuen Kreisky.“Der 93-Jährige ist seit der Gründung 1945 SPÖ-Mitglied. Seine schonungsl­ose Analyse des Zustands seiner Partei wurde nicht erst bei der Feier des 70. Geburtstag­s der SPÖ breit offensicht­lich.

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