Kurier

„Der Einzige, der seine Meinung sagt“

Wahlkampf in Großbritan­nien. Das verfallene Seebad Ramsgate ist Hochburg von Europa-Hasser Nigel Farage

- AUS LONDON ROBERT ROTIFER

Mit seiner Marina voller Segelboote und seiner romantisch­en viktoriani­schen Hafenfront erscheint das britische Ramsgate auf den ersten Blick wie ein schmucker Tourismuso­rt. Wenn das Wetter mitspielt, sieht man übers Meer fast bis hinüber zum Kontinent.

An jenem Ende des Hafens, wo der Sandstrand beginnt, bieten in trauter Nachbarsch­aft Peter’s Fish Factory die „große britische Erfindung Fish & Chips“und das Belgian Café kontinenta­le Muscheln und Fritten an. Doch nur ein paar Lokale weiter dringen lebhafte Stimmen aus einem Gastgarten: „Na klar wählst du Cameron, du willst ja auch ein Banker werden!“„Wenigstens geh ich nicht UKIP auf den Leim!“

An einem runden Tisch sitzt eine jugendlich­e Gesellscha­ft und debattiert über das Thema, dem man hier nirgends entkommen kann: Dies ist der Wahlkreis South Thanet, in dem kein Geringerer als Nigel Farage, der Chef der europafein­dlichen rechtspopu­listischen UK Independen­ce Party, seinen Sitz im Unterhaus erobern will.

„Brüssel bestimmt“

Seit Monaten schon agitiert seine Fraktion in der Stadt, und die Propaganda hat sichtlich gefruchtet. „Nigel Farage ist der Einzige, der wirklich seine Meinung sagt“, meint einer der Jugendlich­en und beklagt, „dass Brüssel unsere Gesetze bestimmt“, sowie „Probleme“mit Einwandere­rn aus dem europäisch­en Ausland.

„Was für Probleme denn?“, will sein Sitznachba­r wissen. „Du fragst das so, als wäre ich ein Rassist“, sagt der Erste und entlockt den beiden Mädchen am Tisch damit ein verlegenes Kichern. So wie der Wortführer wollen auch sie am 7. Mai UKIP wählen, sein Kontrahent am Tisch tendiert dagegen zu den Konservati­ven, ein dritter Bursch ist noch un- entschloss­en. Auf die anderen Parteien angesproch­en, nennen alle einstimmig die Grünen als ihre zweite Wahl, die Erwähnung der Labour Party löst dagegen bloß Gelächter aus.

Wer von der täuschend sonnigen Seepromena­de ein bisschen stadteinwä­rts vordringt, dem offenbart sich bald die Tristesse, die UKIP hier in Proteststi­mmen umsetzt: Leer stehende Lokale, triste Wettbüros, speckige Fast-Food-Läden. Von der Fassade der Harbour Bar hängen schlappe England-Fahnen, darunter stehen bartstoppe­lige Männer mit Verliererm­iene, ausgebleic­hten Tattoos und halb leerem Bierglas in der Hand.

Tatsächlic­h ist die durch einen Kanal von der Hauptinsel getrennte Isle of Thanet am östlichen Ende der Grafschaft Kent trotz ihrer relativen Nähe zu London eine der ärmsten Gegenden Großbritan­niens. Die Arbeitslos­igkeit ist hier doppelt so hoch wie im Schnitt des englischen Südostens. Einst machte die Londoner Mittelklas­se in Ramsgate Sommerfris­che. Heute ist die alte Anlegestel­le für Luftkissen­fahrzeuge längst überwachse­n, die Passagierf­ähren nach Ostende und Zeebrugge wurden eingestell­t, sogar der nahe gelegene Flughafen Manston ist eingemotte­t. Seine Wiederbele­bung ist eine der lokalen Forderunge­n der UKIP.

Den Kern ihrer Agenda treffen aber die UKIP-Plakate an der Stadteinfa­hrt: Eine Fotomontag­e zeigt Rolltreppe­n, die auf Englands weiße Kreidefels­en hinaufführ­en, als optisches Gleichnis für Großbritan­niens offene Türen gegenüber einer mutmaßlich­en Invasion billiger Arbeitskrä­fte.

Dabei macht sich im Stadtbild von Ramsgate noch ein ganz anderer Bevölkerun­gswandel bemerkbar, nämlich der stetige Zuzug junger Künstler und Musiker auf der Flucht aus dem unleistbar teuer gewordenen London. An einem schicken Secondhand-Shop namens „So Last Century“hängt etwa demonstrat­iv eine EUFahne, in der Auslage dazu ein Poster: „Wehrt euch gegen UKIP! Nein zum Rassismus!“

Dauerdemo gegen UKIP

„Es ist schwer standzuhal­ten, wenn eine Partei ihre ganze Energie auf diese Stadt konzentrie­rt“, sagt Michael, ein Familienva­ter Ende Dreißig. Er war einer der ersten Londoner, die den herunterge­kommenen Charme dieser Stadt für sich entdeckten. Von Hauptberuf ist er Schlagzeug­er bei einer erfolgreic­hen Indie-Band, nebenher betreibt er mit seiner Frau ein Szene-Lokal. Unter seiner Kundschaft wählt niemand UKIP, aber es gibt Konf likte über die richtigen Gegenstrat­egien, zum Beispiel zwischen jener jungen Aktivistin, die Benefizkon­zerte für Labour veranstalt­et, und dem charismati­schen PubWirten von nebenan, der für die seltsame, freigeisti­ge Reality Party kandidiert.

Michael selbst stößt die aggressive Taktik mancher Demonstran­ten auf, die täglich die beiden UKIP-Parteiloka­le in der King Street belagern. „Mittlerwei­le ist es für UKIP billiger, rund um die Uhr Securities zu mieten, als dauernd die Schaufenst­er neu verglasen zu lassen“, sagt er. „Von außen sieht das dann so aus, als wären die Gegner von Farage ein Haufen Verrückter. Hilfreich ist das nicht.“

Nach dem Wahltag wird es hier wieder ruhiger werden. Sollte Nigel Farage seinen Sitz in Westminste­r erobern, wird er sich kaum mehr so oft in South Thanet blicken lassen. Falls er verliert, hat er versproche­n, als Parteichef zurückzutr­eten. Letzten Umfragen zufolge halten Konservati­ve, Labour und UKIP jeweils bei rund 30 Prozent, für Farage liegen also Triumph und Desaster gleich nahe. Wie immer sein Gamble ausgehen mag, den sozialen Wandel in Ramsgate wird UKIP so oder so nicht auf halten können.

 ??  ?? Stimmungsm­ache für Farage: UKIP-Anhänger mit Wahlplakat­en
Stimmungsm­ache für Farage: UKIP-Anhänger mit Wahlplakat­en

Newspapers in German

Newspapers from Austria