„Wir leben, sind Sieger, toll“
Kriegsende 1945. Wie russische und US-Soldaten Österreich erlebten
Wie ein romantischer Frühlingsspaziergang – so hören sich die Erinnerungen von Igor Reformackij an: „Herrliches Wetter, Sonne, warm ... das ist ganz toll.“Doch diese Mai-Sonne schien auf Trümmerhaufen, auf zerbombte Straßen, in denen noch die Leichen einer gerade erst zu Ende gegangen Schlacht lagen. Zuletzt hatten fanatische SS-Einheiten Wien verteidigt, 20.000 Menschen waren diesen sinnlosen Gefechten zum Opfer gefallen. Doch jetzt gehörte die Stadt der Roten Armee – und Leutnant Reformackij war schlicht glücklich: „Der Krieg ist aus, wir leben, sind Sieger.“
In unzähligen Berichten sind diese ersten Tage und Wochen der Besatzungszeit aus Sicht der Österreicher geschildert worden. Wo die Russen einmarschierten, hinterließen sie schon bald negative Erinnerungen an Plünderung, Vergewaltigungen, aber auch an brutale Willkür und hasserfüllte Gier. Nicht umsonst war das „Uhra, Uhra“, der Befehl, mit dem die Soldaten die Uhren Einheimischer an sich nahmen, noch Jahrzehnte später sprichwörtlich. Im Fall der Amerikaner dagegen ist es sehr oft die Schokolade oder die damals noch völlig unbekannten Kaugummis, die die GIs den Kindern schenkten.
Positive Erinnerungen
Aus der Sicht der Besatzer selbst hört sich das alles ganz anders an. Eine Sicht, die erst in den vergangenen Jahren von Historikern ausführlich aufgearbeitet wurde. Wie etwa von Barbara Stelzl-Marx vom Boltzmann Institut für Kriegsfolgen-Forschung. Sie hat sich in ihrem Buch „Stalins Soldaten in Österreich“– es ist die bisher umfassendste Studie zum Thema – damit beschäftigt, wie die Rote Armee, aber auch die einzelnen Soldaten die Besatzung erlebten. In Dutzenden Gesprächen mit Kriegsveteranen, aus Briefen und anderen Originaldokumenten hat sie einen für viele Österreicher vermutlich überraschenden Eindruck gewonnen: „Die meisten sowjetischen Soldaten haben eine sehr positive Erinnerung an Österreich. Sie erinnern sich an den Frühling, an Johann Strauß, manche auch an romantische Affären.“
Die Generäle hatten den ersten Kampfeinheiten, die die Grenze nach Österreich überschritten, befohlen, als Befreier aufzutreten, „das friedliche österreichische Volk“zu verschonen. Dass das nach vier Jahren Vernich- tungsfeldzug von Wehrmacht und SS in Russland nicht funktionierte, dass die Truppen, die von der Propaganda gerade noch zum Kampf gegen die „faschistische Bestie“aufgestachelt worden waren, nun allerorts brutale Übergriffe verübten, ist im österreichischen Bewusstsein tief verankert.
Für die Russen aber, die oft aus abgelegenen Regionen der Sowjetunion kamen, wirkte Österreich wie ein Blick in die Zukunft: In Österreich gebe es in jedem Haus Strom, klagt ein Leutnant, während die Dörfer in seiner Heimat wohl nie elektrifiziert würden: „Hier gibt es Luster, luxuriöse Häuser, Kleidung, während meine Familie nichts anzuziehen hat.“Für diese offenen Worte wurde der Offizier degradiert. So ungestraft durfte keiner den Kapitalismus loben.
Für die US-Soldaten dagegen, die in Österreich einrollten, sah das zerstörte Land ganz anders aus. „Die Landschaft ist schön, die Mädchen sind hübsch“, schreibt ein GI in seinen Erinnerungen, „aber sonst gibt es hier nicht viel.“Salzburg und Wien beschreibt er als „zwei der traurigsten und hungrigsten Städte in Europa.“Nur in den Dörfern gebe es ein bisschen mehr Lebensfreude und Essen.
Doch Essen, das brachte die bestens versorgte US-Armee schon in den ersten Nachkriegstagen nach Österreich und zur oft ausgehungerten Bevölkerung. Abgeschnitten vom „Land der Hot-Dog-Stände und der Milkshakes“, wie ein Berichterstatter ironisch vermerkt, hatten die GIs genug, um es schnell und großzügig zu verteilen. Der beste Weg, die Österreicher zu erreichen, riet das von den Amerikanern schon in den ersten Wochen installierte „Radio Rot-Weiß-Rot“den Truppen, sei durch den Magen.