Der Ring aus Frauensicht
Jubiläum. Geführte Spaziergänge beleuchten berühmte und unbekannte Frauen der Ringstraße
Wien 1917, Oppolzergasse 6, direkt an der Ringstraße: Im Salon Zuckerkandl – der 4Zimmer-Wohnung des gleichnamigen Ehepaares Emil und Berta – treffen einander die Geistesgrößen der sterbenden Monarchie: Gustav Mahler, Egon Friedell, Johann Strauß, Sigmund Freud oder Arthur Schnitzler. So viel, so bekannt. „Doch welche Geschichten wurden noch nicht erzählt“, fragt Petra Unger. Und weil sie Genderforscherin ist, will sie viel lieber über die Frauen im Salon Zuckerkandl berichten. „In Nebensätzen erfährt man, dass Berta Zuckerkandl mit Lina Loos
befreundet war.“Oder, dass Alma Schindler hier ihren späteren Ehemann Gustav Mahler kennengelernt hat.
All diese unbekannten, nicht erzählten Geschichten über Frauen sind in die neuen Spaziergänge auf den Spuren der Frauen der Wiener Ringstraße eingeflossen, die der „Club Wien Ringstrasse von Soroptimist International“
anlässlich des 150. Geburtstages der Prachtstraße initiiert hat.
Schauplätze
Fünf Stationen werden – geführt von Unger, der Expertin für Frauengeschichte und gleichzeitig Stadtführerin – aus weiblicher Sicht angeschaut. Darunter sind Rathaus und Parlament, wo mit Grete Rehor die erste Ministerin wirkte, sowie das Palais Lieben-Auspitz, heute besser bekannt als Café Landtmann und Schauplatz des eingangs erwähnten Salon Zuckerkandl.
Natürlich geht es beim Zweieinhalb-Stunden-Spaziergang auch zur Universität, die heuer ihr 650. Jubiläum feiert. Dazu meint die Genderforscherin nur trocken: „Es ist ein Männer-Jubiläum. Wollten wir 650 Jahre Frauen an der Uni feiern, müssten wir 532 Jahre warten.“Also bis 2547. Schon heute erzählt sie über die erste Professorin (die Physikerin Berta Karlik)oder beklagt, dass es noch nie eine Rektorin an der Alma Mater Rudolphina Vindobonensis gegeben hat.
Etwas leichter hatten es die Damen einige Hundert Meter weiter – an der Burg: „Dort konnten sich die Frauen früh emanzipieren und Karriere machen“, sagt Unger und pickt sich beim Frauenspaziergang die Karrieren der gefeierten Schauspielerinnen Gusti Wolf, Paula Wessely und Charlotte Wolter heraus.
Genderforscherin Unger will aber nicht nur an die Berühmten und Adeligen erinnern, sondern auch von den Ringstraßen-Bauarbeiterinnen erzählen, die den PrachtBoulevard unter unwürdigsten Bedingungen mitgebaut haben. Oder vom Ring als Proteststraße berichten: „Am 19. März 1911 zog die erste Frauendemonstration über den Ring“erzählt Unger. Was 20.000 Frauen damals forderten? Unter anderem ein neues Familienrecht und Lohngerechtigkeit.