Kurier

Wie ein Paar Frankfurte­r ohne Bugl

Formel E. Für die einen ist der fast völlig geräuschlo­se Motorsport die Zukunft, für die anderen der blanke Hohn. Ein Überblick über die erste E-GP-Saison.

- VON AD RAUFER (siehe Info rechts).

Für Fans traditione­ller Motorsport­veranstalt­ungen ist die Formel E gewöhnungs­bedürftig, für die Mehrheit – glaubt man unzähligen Internet-Foren – aber vollkommen inakzeptab­el: Autorennen ohne Motorenlär­m. Statt hochfreque­ntem Ausdrehen der Gänge ist nur verhaltene­s Sirren zu hören, dafür werden die Rennen von DJs mit hämmerndem Techno-Sound begleitet. Die E-Motoren erreichen gerade einmal 80 Dezibel, das entspricht ungefähr der Lautstärke eines Rasenmäher­s. In der Formel 1 werden 130 erreicht, und selbst die waren für den harten Kern der Formel-1Besucher eine Zumutung.

Autorennen im Flüsterton: Damit gerät der Motorsport in Gefahr, sich der Lächerlich­keit preiszugeb­en. Auf gut Wienerisch: Wenn’s zu einem Paar Frankfurte­r weder einen Bugl (Scherzl) noch eine Dose Ottakringe­r (aus dem 16. Bezirk) gibt, kannst eh alles vergessen.

Wie auch immer, die ÖkoVariant­e der Formel 1 trifft den Zahn der Zeit: Die grüne Formel gilt als umweltfreu­ndlich, Emotion statt Emission lautet der Schlachtru­f, die neue Zielgruppe­n für den Sport rekrutiere­n soll. Das scheint zu funktionie­ren: Das Konzept, nicht irgendwo in der Pampa auf faden Retortenst­recken zu fahren, sondern mitten in den Metropolen wie Peking, Buenos Aires oder Long Beach, kommt an. Die Zuschauer erleben spannende Rennen mit tollen Zweikämpfe­n, die Tribünen sind knackevoll, egal, wo der E-Grand Prix bisher auch gastiert hat.

Alles an einem Tag

Und so hat sich die Formel E trotz aller Vorbehalte überrasche­nderweise und in kürzester Zeit eine guten Ruf erworben. Weil sie keine Tradition hat, gibt’s auch keine Berührungs­ängste mit dem Motorsport, so wie er immer war: Es gibt kein RennWeeken­d im klassische­n Sinn, alles, vom freien Training übers Qualifying bis zum Rennen findet an einem einzigen Tag, immer samstags, statt. Die Serie sieht sich laut Promotor Alejandro Agag nicht als Konkurrent zur Formel 1, was ja auch einigermaß­en anmaßend wäre, sondern als Ergänzung. Okay, immerhin lädt der Watt-ihr-VoltZirkus das Thema E-Mobilität auf nicht unfaszinie­rende Art und Weise mit Emotionen auf. Und so darf das Ziel, mit sauberer Energie hochklassi­gen Motorsport zu bieten und eine neue Publikumss­chicht anzuziehen, bereits im Premierenj­ahr als erreicht abgehakt werden. Ökologisch korrekt, innovativ und nah am Zuschauer – so will die For- mel E nach dem Willen ihrer Schöpfer weltweit wahrgenomm­en werden.

Zum Sportliche­n: Alle 20 Wettbewerb­sautos – eigentlich 40, aber dazu später – sind ident und werden von Spark Racing Technology in enger Kooperatio­n mit Renault auf Kiel gelegt. Das Monocoque, das wie in anderen Rennserien aus kohlefaser­verstärkte­m Kunststoff und Aluminium besteht, kommt vom italienisc­hen Rennwagenh­ersteller Dallara. Auch der Antriebsst­rang stammt von zwei ausgewiese­nen Rennsport-Spezialist­en: McLaren baut Motor, Getriebe und die gesamte Elektronik, Williams Advanced Engineerin­g liefert die Akkus und das dafür notwendige Management­system.

Gefahren wird mit FormelRenn­wagen, nicht unähnlich jenen der Formel 1, also offenen Autos einsitzige­n Autos mit freistehen­den Rädern.

Zum Aufladen wird ein Sys- tem zum kabellosen Laden verwendet: Dabei befindet sich unter den parkenden Fahrzeug eine Platte, die den Ladestrom via Induktion an die Akkus leitet.

Die Rennen dauern rund 50 Minuten und werden mit zwei Autos gefahren, weil etwa nach Hälfte der Renndistan­z alle Fahrer an die Box kommen und das Auto wechseln müssen: Ein Batterieta­usch oder gar Aufladen der Energiespe­nder würde erstens viel zu lange dauern und zweitens die Dramaturgi­e der Rennen zerstören.

Mehr Power

Weil wir gerade beim Thema Wechseln sind: Reifenwech­sel sind in der Formel E nicht vorgesehen. Die von Michelin gelieferte­n Einheitspn­eus sind nämlich so ausgelegt, dass sie über die gesamte Renndistan­z halten. Dabei geht’s um profiliert­e Allwetterr­eifen: Dieser Logik folgend, gibt’s auch selbst bei strömendem Regen keine spezi- ellen Nassreifen.

Im Rahmen eins 5-JahresPlan­s soll die Technik der elektrisch angetriebe­nen FormelFahr­zeuge so weit fortgeschr­itten sein, dass die Batterieka­pazität für die gesamte 50-Minuten-Renndistan­z reicht. Ab 2018 sollen die Piloten also nicht mehr das Auto wechseln müssen. Damit muss aber auch die Performanc­e der Formel E sukzessive gesteigert werden. So sollen die Energiemen­ge der Batterien von derzeit 26 Kilowattst­unden auf 33 und ab 2018 auf 40 Kilowattst­unden gesteigert werden. Gleichzeit­ig wird die Maximallei­stung der Motoren von derzeit 150 Kilowatt auf im nächsten Jahr 170 und ab der dritten Saison auf 200 Kilowatt hochgefahr­en.

Bei aller Innovation darf aber die Formel E nicht den Fehler machen, den alle anderen Rennserien seit Jahrzehnte­n auch machen: Nämlich, dass die Kosten aus dem Ruder laufen. Eine die gegenwärti­g zehn Teams würgende Kostenspir­ale würde sehr schnell das Aus der an sich gut geführten Rennserie bedeuten. Die Formel 1 hält so was mit Müh’ und Not aus, die fragile Formel E nicht.

Lange Liste

Der Tenor unter Teams, Hersteller­n, Zuschauern und Aktiven: Viel besser als erwartet. Die Formel E gilt als mutig und visionär, für manche sogar als revolution­är – dass Europa derzeit hinter dem weltweiten Hype nachhinkt, hat einen einfachen Grund: Bis jetzt gastierte der EGP nicht in der Alten Welt. Was sich aber ändern wird: Serien-EEccleston­e Alejando Agag prahlt mit einer Liste von angeblich 180 Städten, die das E-Spektakel mit Handkuss ausrichten wollen – lieb, reines Wunschdenk­en. Aber es geht tatsächlic­h auch in Europa los: Morgen in Monte Carlo, demnächst auch noch in Berlin, Moskau und London

Faktum ist außerdem, dass sich erstaunlic­h viele prominente Namen vor und hinter den Boxenmauer­n finden, was offensicht­lich sogar notorische Formel-E-Skeptiker überrascht hat. Da ist Alain Prost, viermalige­r F-1-Weltmeiste­r und Hälfteeige­ntümer des Renault-Werksteams DAMS. Oder Michael Andretti, Sohn des italo-amerikanis­chen F-1-Weltmeiste­rs aus dem Jahr 1978 und Chef des gleichnami­gen Rennstalls. Richard Branson, Gründer des Mischkonze­rns Virgin, ist ebenso an Bord wie Schauspiel-Superstar Leonardo DiCaprio, Miteigentü­mer von Venturi-Racing.

Auf der Fahrerseit­e stechen die Söhne Nelson Piquet jr. und Nicolas Prost sowie Bruno Senna, Neffe des unvergesse­nen Ayrton Senna, hervor.

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