Zwei Atombomben waren für Wien
Im „Gleichgewicht des Schreckens“bildete der Warschauer Pakt 1955–’91 das Gegenstück zur NATO.
Militärallianz. Der Warschauer Pakt war von 1955 bis zu seiner Auflösung 1991 die militärische Allianz der Sowjetunion und ihrer Satellitenstaaten, die exakte Antwort auf das westliche Militärbündnis NATO. Die Konfrontation zwischen den beiden Militärblöcken bestimmte den Kalten Krieg in Europa und schuf die konstante Bedrohung durch einen Atomkrieg, für den die Pläne fertig in den Schubladen der Generalstäbe lagen.
Zumindest in die Medien ist der Kalte Krieg zurückgekehrt. Wenn Russlands Präsident Putin den Bau neuer Atomraketen ankündigt, die NATO Großmanöver in Osteuropa abhält und russische Kampfjets im Tiefflug über EU-Territorium donnern, ist der Vergleich sofort zur Hand. Für Generationen von Europäern wird damit etwas voreilig eine Bedrohung in Erinnerung gerufen, die bis zur Auflösung des Warschauer Paktes als real galt – auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs: Eu- ropa als Schlachtfeld eines Atomkrieges.
Natürlich sind wir heute von der bizarren Logik des Kalten Krieges zumindest politisch ein Stück entfernt. Das Konzept des „Gleichgewichts des Schreckens“war nur in einer Welt möglich, in der zwei Supermächte einander gegenüberstanden. Die derzeitige Eskalation in der Ukraine läuft nach Spielregeln ab, die der Kalte Krieg nie zugelassen hätte.
Friedenssicherung durch atomare Vernichtungskapazität: Mit einem nuklearen Arsenal von bis zu 40.000 Sprengköpfen auf jeder Sei- te konnte man – je nach Rechenmethode – die Welt zwischen 20- und 100-mal zur Gänze zerstören. Die „nukleare Triade“, also die ausgefeilte Verteilung dieser Sprengköpfe auf mehrere Waffensysteme garantierte beiden Supermächten vor allem eines: Auch wenn der Gegner als Erster angreifen, einen auch noch so massiven nuklearen Erstschlag führen sollte, man war immer noch in der Lage, ebenso vernichtend zurückzuschlagen.
Mit dem Zerfall des Ostblocks wurden auch die bis dahin geheimen Aufmarschpläne der Militärs bekannt. Heute wissen wir darüber Bescheid, dass die Generäle des Warschauer Paktes einen nuklearen Erstschlag der NATO in Osteuropa mit etwa zwei Millionen sofortigen Todesopfern kalkulierten. Ihren Angriff auf Westeuropa aber sollte das nicht stoppen. In sieben Tagen sollten sowjetische Truppen am Rhein stehen – mitten in einer BRD, deren Städte man unmittelbar vor dieser Offensive mit Atombomben und Raketen weitgehend zerstört hatte. Ihre eigenen Truppen – so die menschenverachtenden Pläne – würden in massiv verstrahlte Landschaften einmarschieren und so selbst nuklear verseucht werden.
Die detaillierten Pläne der NATO, ihre Szenarien für den Atomkrieg in Europa, sind weiterhin unter Verschluss. Welche Städte in Osteuropa wollte man angreifen? Hätte man Nuklearwaffen auch in Westeuropa eingesetzt, nur um den Vormarsch der WarschauerPakt-Truppen zu stoppen?
Fragen, die heute absurd scheinen. Nach unzähligen Abrüstungsverträgen sind US-Atomwaffen zwar weiterhin in Europa stationiert, stehen atomar be- stückte Raketen im Westen Russlands. Die präzise Taktung, mit der man im Kalten Krieg die gegenseitige Vernichtung im Detail plante, ist mit diesen Resten atomarer Arsenale nicht mehr möglich. Die nukleare Abschreckung erfüllt heute wieder die Rolle, die sie in den Anfangsjahren des Kalten Krieges spielte: Atomwaffen als ultimative Drohung. Der „begrenzte Atomkrieg“, den die Militärs in den Jahrzehnten danach auf dem Schlachtfeld Europa bis ins Detail planten, ist zumindest derzeit keine reale Bedrohung.