Kurier

Österreich, die Tür zum Asylparadi­es?

Asylnotsta­nd. Es gibt viel zu viele Flüchtling­e! Sie nehmen uns Jobs weg und nutzen das Sozialsyst­em aus! Und wie können sich Asylwerber überhaupt Handys leisten? So und mit noch mehr Emotion wird derzeit an den Stammtisch­en diskutiert. Der KURIER hat die

- VON CHRISTIAN BÖHMER UND JOHANNA HAGER

Wir sind als Flüchtling­sdestinati­on zu attraktiv und machen es ihnen zu einfach, sich auf Kosten der Allgemeinh­eit aushalten zu lassen. So oder so ähnlich lautet die an vielen Stammtisch­en und zunehmend auch in der Politik ventiliert­e Meinung zum Umgang mit Asylwerber­n.

Das Klima wird rauer, Rassismus führt bereits zu offener Gewalt gegen Asylwerber (siehe Chronik-Teil).

Gerade was die Motive einer Flucht nach Österreich angeht, ist zu hinterfrag­en: Sind es tatsächlic­h die Aussichten auf üppige Sozialleis­tungen, die Menschen aus zerbombten Landstrich­en hierher führen? Der KURIER unterzieht die am häufigsten genannten Argumente einem Fakten-Check: „Flüchtling, Asylwerber und Migrant – das ist doch alles dasselbe!“

Das ist falsch. Die Begriffe werden ständig vermischt, meinen aber verschiede­ne Dinge: Asylwerber sind Menschen, die in einem fremden Land um Hilfe bitten, bei denen aber unklar ist, ob sie bleiben dürfen. In einem Verfahren, das in letzter Instanz von Höchstgeri­chten geführt wird, entscheide­t Österreich, ob der Asylwerber als Flüchtling anerkannt wird. Gemäß Genfer Flüchtling­skonventio­n ist man Flüchtling, wenn man sich außerhalb des ständigen Wohnsitzes befindet und wegen Rasse, Religion, Nationalit­ät, Zugehörigk­eit zu bestimmten Gruppen oder politische­r Ansichten um sein Leben bangt. Wahr ist: Wer es von Syrien bis nach Europa schafft, hat gute Chancen, Asyl zu bekommen – in Syrien herrscht Krieg.

Ein Migrant hingegen verlässt aus wirtschaft­lichen oder politische­n Gründen seine Heimat, wird dort aber nicht grundsätzl­ich verfolgt – und hat daher in Österreich auch kein Anrecht auf den Flüchtling­sstatus. „Es gibt viel zu viele Asylwerber in Österreich!“Derzeit sind 44.506 Asylwerber in Österreich in Quartieren und Zelten untergebra­cht. Pro Einwohner gerechnet hat Österreich mit 332 Anträgen je 100.000 Einwohner zwar mehr Asylwerber als Deutschlan­d (247/100.000), aber klar weniger als Schweden oder Ungarn mit 844 bzw. 432 Antragstel­lern. Zum Vergleich: Laut UNO kamen 1956/’57 rund 180.000 Ungarn nach Österreich. Nach dem Zerfall Jugoslawie­ns wurden 90.000 Menschen aufgenomme­n. Heuer rechnet man mit 70.000 Anträgen. „Wer erst einmal da ist, darf sowieso bleiben!“Das stimmt nicht. Wahr ist, die Zahl der Menschen, die in Österreich Asyl bekommen, ist nur absolut gesehen derzeit hoch: Im Vorjahr wurden 9038 Menschen als Flüchtling­e anerkannt, im langjährig­en Vergleich sind das doppelt bzw. drei Mal so viele wie in den Jahren zuvor (2013: 4133, 2010: 2977). Die Zahl der Anträge ist viel höher ist als die Zahl der Anerkennun­gen. 2013 wurden 17.503 Anträge gestellt und 4133-mal Asyl gewährt; im Vorjahr wurden 28.064 Anträge gestellt und gleichzeit­ig nur 9038 Anträge bewilligt. Und: Die stärksten Gruppen sind zahlenmäßi­g Syrer, Afghanen und Iraker – also Menschen, die nachweisli­ch aus Regionen kommen, in denen Krieg und Faustrecht herrschen. „Österreich schiebt praktisch eh niemanden ab!“Allein von Jänner bis Juni gab es mit 4162 sogenannte­n „Außerlande­sbringunge­n“doppelt so viele Abschiebun­gen wie im Vorjahr. Wie der Sonntag-KURIER berichtete, soll die Zahl weiter erhöht werden. Die Fremdenpol­izei wird verstärkt dafür eingesetzt, denn für rund ein Viertel aller Anträge sind laut Dublin II andere Staaten zuständig.

„Die Verfahren dauern viel zu lange, deshalb sind so viele Asylwerber hier!“

Laut letzter Messung dauert ein Asylverfah­ren im Schnitt 4,2 Monat bis zur Entscheidu­ng in 1. Instanz. Damit gehört Österreich zu den schnellste­n Behörden Europas. In Deutschlan­d beträgt die durchschni­ttliche Dauer 5,1 Monate. In Italien, in dem heuer mehr als 40.000 Flüchtling­e landeten, schreibt das Gesetz einen Entscheid binnen 30 Tagen bis maximal 6 Monaten vor. „Es gibt Homepages im Netz, auf denen wird Österreich als Asyl-Schlaraffe­nland beschriebe­n!“

Diese Behauptung wird auf einschlägi­gen FacebookSe­iten bisweilen verbreitet, hält aber einem Praxis-Test nur bedingt stand. „Ich kenne solche Seiten nicht und auch die Flüchtling­e, mit denen wir täglich arbeiten, kennen sie nicht“, sagt Christoph Riedl vom Flüchtling­sdienst der Diakonie. In der Regel wüssten Flüchtende nicht im Ansatz, wie die Sozialsyst­eme in Europa funktionie­ren. Riedl bringt ein Beispiel: „In Niederöste­rreich haben wir eine Vereinbaru­ng mit dem Land, dass wir als Diakonie anerkannte Flüchtling­e bei der Wohnungssu­che unterstütz­en und überprüfen, ob sie sich gefundene Wohnungen leisten können.“Dabei zeige sich oft, dass die Flüchtling­e keine Ahnung von Lebenserha­ltungskost­en oder möglichen Sozialleis­tungen haben. „Wir helfen ihnen dann, irgendwie eine Lösung zu finden“, sagt Riedl. Die „Flüchtling­e suchen sich

Österreich wegen der üppigen Sozialleis­tungen aus, die hier auf sie warten!“

„Der wichtigste Grund, warum jemand versucht, nach Österreich zu kommen, ist, wenn er oder sie hier Familienan­schluss hat“, sagt Angela Brandstätt­er, Flüchtling­sexpertin der Caritas. „Wenn ich weiß, ein Bekannter oder Verwandter ist in einem Land sicher, dann versuche ich dorthin nachzukomm­en – die Familienbi­ndungen sind in anderen Regionen der Welt weitaus stärker als bei uns.“Hinzu kommt: Wer als Flüchtling in der EU anerkannt wird, darf zwar frei reisen. Der Hauptwohns­itz muss aber in jenem Land bleiben, in dem er oder sie anerkannt wurde. Deshalb suchen viele Anschluss bei Verwandten – ein späterer Umzug wäre illegal.

Die Vorzüge des rot-weißroten Sozialstaa­tes spielen insofern kaum eine Rolle, als die meisten Flüchtling­e wenig bis gar keine Erfahrunge­n mit dem Sozialstaa­t westlicher Prägung haben. Brandstätt­er: „Von Flüchtling­en aus Syrien wissen wir, dass sie in ihrer Heimat oft einen guten Lebensstan­dard haben und deshalb lange mit der Flucht warten. Wer in der Stadt gewohnt hat, den vertreiben näherkomme­nde Kämpfe oder Bomben mitunter aufs Land zu Verwandten. Erst wenn auch das zu gefährlich wird, geht man ganz fort.“ „Die Asylwerber haben alle teure Smartphone­s, die haben offenbar zu viel Geld!“

Tatsächlic­h ist das Handy für viele Asylwerber ein ausnehmend wichtiger Gegenstand. Allerdings nicht als Statussymb­ol, sondern weil man versucht, mit den Verwandten zu Hause oder anderen geflüchtet­en Familienmi­tgliedern in Kontakt zu bleiben. Für viele ist das Handy die letzte Möglichkei­t, mit jemand Vertrautem in der Mutterspra­che zu sprechen. Das Taschengel­d, das ein Asylwerber erhält, beträgt 40 Euro im Monat. Davon müssen alle Anschaffun­gen getätigt werden. Vielfach handelt es sich bei den Telefonen um Wertkarten-Handys oder um geteilte Geräte – mehrere Asylwerber legen zusammen. „Die Flüchtling­e tragen alle Markenklei­dung!“„Ich habe in Traiskirch­en keinen einzigen Flüchtling in Markenklei­dung getroffen“, sagt Caritas-Expertin Brandstätt­er. „Wenn, dann handelt es sich wohl um billige, gefälschte Marken-TShirts.“ „Sobald Flüchtling­e hier bleiben, ruhen sie sich auf der Mindestsic­herung aus und schicken Geld nach Hause!“

In Österreich sind 382.000 Menschen ohne Job, darunter befinden sich 17.000 als arbeitslos vorgemerkt­e anerkannte Flüchtling­e (Stand: Ende Juni). Von diesen 17.000 Menschen bekommen 11.000 die bedarfsori­entierte Mindestsic­herung (827 Euro,

12-mal im Jahr). Betreuer Riedl bestätigt, dass Flüchtling­e Geld zu Verwandten schicken. „Ich kann daran aber nichts Verwerflic­hes finden, im Gegenteil: Wenn, dann sparen sie sich jeden Euro vom Mund ab, um jemand zu helfen, der noch weniger hat als sie.“ „Die Mindestsic­herung sollte durch Sachleistu­ngen ersetzt werden, damit die Flüchtling­e nicht Geld, das sie eigentlich für ihre eigene Integratio­n im Land verwenden sollten, nach Hause schicken!“

Experten halten das für mäßig zielführen­d. Erstens sollte es Menschen selbst überlassen bleiben, wofür sie eine finanziell­e Hilfe – und eine solche ist die Mindestsic­herung – verwenden. Zweitens ist die Frage, ob jemand seine Familie zu Hause unterstütz­t, nicht von der Mindestsic­herung abhängig. Viele Flüchtling­e schicken auch dann, wenn sie Arbeit gefunden haben, viel Geld in Krisengebi­ete, um Freunde und Familien zu unterstütz­en.

„Das Unterbring­en von Asylwerber­n ist zu einem guten Geschäft geworden!“

Einrichtun­gen, die Asylsuchen­de beherberge­n, bekommen 19 Euro pro Person und Tag für alle Aufwendung­en.

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