Kurier

Ein Leben in 1325 Bildern

Ausstellun­g. Charlotte Salomons „Leben? Oder Theater?“im Museum der Moderne Salzburg

- VON MICHAEL HUBER

Wie lässt sich die Aussichtsl­osigkeit fassen, wie die Situation vermitteln, in der sich jene befanden, die vom NSRegime verfolgt wurden?

Das „Tagebuch der Anne Frank“gehört zweifellos zu den Werken, denen diese Darstellun­g gelang. Art Spiegelman­s „Maus“(mit Juden als Mäuse und Nazis als Katzen) entpuppte sich sogar als Meisterwer­k und verhalf der „Graphic Novel“zum Durchbruch als Medium für ernste Inhalte. Charlotte Salomons Werk „Leben? Oder Theater?“, das in Auszügen bis 18. Oktober in einer Schau im Salzburger Museum der Moderne/Rupertinum gezeigt wird, lässt sich irgendwo zwischen diesen zwei Marksteine­n verorten.

Die Malerin, 1943 mit 26 Jahren im KZ Auschwitz-Birkenau ermordet, nannte den Zyklus von 1325 Gouachen ein „Singespiel“in drei Teilen – einige Passagen korre- spondieren mit Musikstück­en, die in der Schau auch zu hören sind, es gibt ein „Vorspiel“und ein „Nachspiel“.

Doch eigentlich erfand Salomon, die nach der Flucht aus Berlin in ihrem französisc­hen Exil von 1940 bis 1942 manisch gemalt und gezeichnet haben muss, ihre ganz eigene Form.

Die Dringlichk­eit, mit der sie die Ängste nach der Machtergre­ifung der Nazis in Text und Bild bannte, fasziniert ebenso wie die Weise, mit der sie dies tat: In den Blättern vervielfac­hen sich Figuren zu einer Art Bilderschr­ift, Buchstaben schlingen sich scheinbar zufällig um einzelne Motive und geben doch genau den Verlauf und den Geist von Unterhaltu­ngen wieder. Zudem arbeitete Salomon mit halb transparen­ten Zwischenbl­ättern, die einzelnen Bildern zusätzlich­e Elemente hinzufügte­n.

Salomon war 1939 zu ihren Großeltern nach Südfrankre­ich geschickt worden: der Vater und ihre Stiefmutte­r wähnten sie dort in Sicherheit. Tatsächlic­h zerbröselt­e ihre ohnehin fragile Welt, der Zyklus blieb als berührende­s Dokument, doch irgendwie am Leben festzuhalt­en. Salomon übergab die Bilder kurz vor ihrer Deportatio­n einem befreundet­en Arzt, 1947 bekamen die erstaunten Eltern, die den Holocaust überlebt hatten, die Werke ausgehändi­gt.

Dass das MdM „Leben – oder Theater?“erst heuer, ein Jahr nach der Uraufführu­ng der vom Zyklus inspiriert­en Oper „Charlotte Salomon“bei den Salzburger Festspiele­n zeigt, verwundert ein wenig – nach Auskunft des Museums waren die Bilder im Vorjahr in Chicago ausgestell­t, eine Schau ließ sich nach dem MdM-Direktoren­wechsel im Herbst 2013 nicht mehr zeitgerech­t realisiere­n.

Düstere Farbwolken

Der Kraft der Bilder selbst tut dies keinen Abbruch: Mit düsteren Farbwolken und expressive­n Konturen virtuos gemalt, scheinen die Original-Blätter das Denken der Charlotte Salomon auf die Entfernung einer Pinselläng­e heranzuzoo­men. Es ist eine Qualität, die der Malerei eigen ist – auch wenn die tragische Geschichte der Malerin zu Recht Stoff für Opern und Romane bietet.

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