Kurier

Bürgermeis­ter verhindert Erinnerung an NS-Opfer

- – THOMAS TRENKLER

Geschichts­leugnung. In den 1930er-Jahren lebten etwa 80 Roma und Sinti in Kirchstett­en, einer Ortschaft nahe St. Pölten. Und dann kam die NS-Zeit. „Die Zigeuner werden von ihren Erbanlagen gezwungen, gemeinscha­ftsfeindli­ch zu handeln“, war im Februar 1939 im St. Pöltner Anzeiger zu lesen. „Einzige Lösung: Ausmerzung.“

Die Künstlerin Marika Schmiedt wollte in Kirchstett­en mit einer temporären Installati­on an das Schicksal der Roma und Sinti erinnern, die in der NS-Zeit deportiert wurden. Bürgermeis­ter Paul Horsak (ÖVP) lehnte das Ansinnen aber ab. Die heutigen Generation­en seien „der Ansicht, dass die Vergangenh­eit ruhen“soll: „Allgemeine­r Tenor: Erinnerung ja, aber es muss auch einmal Schluss sein mit Aufarbeitu­ng und Auseinande­rsetzung.“

Kirchstett­en „an den Pranger“zu stellen, lasse er als Bürgermeis­ter nicht zu: „Wir sind eine Dichtergem­einde und sind stolz darauf, Heimat für Kultur in all ihren Facetten und in ihrem breiten Spektrum zu sein“. Als Beleg führt er u. a. den „weltweit anerkannte­n Lyriker und Poeten“Josef Weinheber an.

Weinheber hatte 1936 in Kirchstett­en ein Haus erworben, das heute als Gedenkstät­te dient. Dort nahm sich der Nazi-Dichter am 8. April 1945 – wenige Tage vor Kriegsende – das Leben. Zudem ist in Kirchstett­en eine Straße, ein Kindergart­en und eine Autobahnbr­ücke nach Weinheber benannt. Die NSVergange­nheit hingegen – der Antisemit bejubelte in Versen den „Anschluss“1938 und huldigte dem Führer – wird verschwieg­en.

Die Grünen protestier­ten nun. Und der Schriftste­ller Doron Rabinovici forderte Horsak auf, seine Position zu überdenken: Es liege an ihm, „ob Kirchstett­en zu einem Sinnbild heimischer Geschichts­leugnung wird oder zu einem Markstein politische­r Auf klärung“.

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