Kurier

Klimt malte „Negerhäupt­ling“

Wie ein Krimi: Die Recherchen zu einem mysteriöse­n Bild

- VON THOMAS TRENKLER Sachdienli­che Hinweise erbeten an Alfred Weidinger im Belvedere oder an: thomas.trenkler@kurier.at

Im Prachtband über Gustav Klimt mit dem ehrgeizige­n Titel „Sämtliche Gemälde“, erschienen 2012, gibt es eine schmerzlic­he Leerstelle. Der Wiener Kunsthisto­riker Tobias Natter hat zwar in dieses Werkverzei­chnis ein ominöses Bild mit dem Titel „Kopf eines Negers“aufgenomme­n, er muss aber eingestehe­n: „Technik, Maße und Verbleib unbekannt.“Daher sucht man eine Abbildung des Werkes vergeblich.

Der „Kopf eines Negers“– das Wort „Neger“hatte früher nicht die abwertende Bedeutung wie heute – war nur ein einziges Mal öffentlich ausgestell­t: 1928 in der Secession aus Anlass des zehnten Todestages von Gustav Klimt. Laut Katalog handle es sich bei diesem Bild um eine Leihgabe aus „Privatbesi­tz“. Es sei in „Öl“gemalt, also keine flüchtige Skizze zum Beispiel. Trotzdem gebe es, so Tobias Natter zerknirsch­t, „bis heute in der gesamten Klimt-Literatur keinen weiteren Hinweis auf dieses Bild“.

Im Folgenden versteigt sich Natter zu absurden Spekulatio­nen. Denn einerseits nimmt er als Entstehung­szeit Klimts letzte Lebensjahr­e an, also die Periode 1914 bis 1918. Anderersei­ts weiß er nur zu gut, dass Klimt nach 1900 keine Männerbild­nisse mehr malte. „Wahrschein­lich“sei der „Kopf eines Negers“gar kein Porträt, so Natters Conclusio, sondern eine abgemalte Büste schwarzafr­ikanischer Stammeskun­st. Denn Klimt besuchte 1914 in Brüssel das Musée de Congo. „Das Schönste“seien, schrieb der Malerstar tief beeindruck­t, „die Plastiken dieser Congoneger“gewesen.

Alfred Weidinger, Vizedirekt­or des Belvedere, kamen Zweifel, als er die Ausführung­en des Kollegen Natter las. Ausschließ­lich Indizien, keine Beweise, könnte man sagen. „Ich glaube nur, was ich sehe“, sagt Weidinger. Er setzt daher Infrarotfo­tografie ein, wenn er tiefer liegende Malschicht­en von Gemälden ergründen will.

Los 53 bei der Auktion

Derzeit arbeitet er an einer Neuauflage seines 2007 veröffentl­ichten Werkverzei­chnisses „Klimt“. Und daher nahm er sich auch des „Negerkopfe­s“an. Er entdeckte, dass dieser in der 35. KunstAukti­on von S. Kende in Wien Anfang Mai 1923 als Los 53 angeboten worden war. Die Provenienz „Privatbesi­tz“fünf Jahre später dürfte also gestimmt haben. Aber leider gab es auch im Auktionska­talog keine Abbildung.

Markus Fellinger, wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r im Research Center des Belvedere, entdeckte wenig später über das Internet ein weiteres Exemplar – nun samt Abbildungs­teil. Man orderte den Katalog. Und enthielt tatsächlic­h ein Foto des Porträts.

Weidinger konnte sogleich feststelle­n, dass der „Kopf eines Negers“tatsächlic­h von Klimt stammt. Denn im Hintergrun­d sind Blumengebi­lde auszumache­n. „Dieses dekorative Element ist charakteri­stisch für Klimt, es taucht zum ersten Mal um etwa 1897/’98 auf “, sagt Weidinger. Damals entstand das wichtige, ebenfalls mit Blumen verzierte „Bildnis Sonja Knips“. Zudem muss sich der „Kopf eines Negers“nach Klimts Tod am 6. Februar 1918 in dessen Atelier befunden haben. Denn an prominente­r Stelle im Bild wurde der Nachlassst­empel aufgedrück­t.

Gleiche Physionomi­e

Doch wann schuf Klimt das Porträt – und wen stellt es dar? „Wir wussten, dass Franz Matsch einen Afrikaner malte“, erklärt Weidinger. „Der Kunsthändl­er Herbert Giese hat dieses Bild unter dem Titel ,Nubier mit Umhangtuch‘ in seiner Dissertati­on vermerkt. Und in einem Dorotheum-Katalog aus dem Jahr 1972 ist ,Der junge Negerhäupt­ling‘ reproduzie­rt.“

Weidinger stellte die beiden Fotos nebeneinan­der. Und siehe da: Matsch und Klimt, die in den letzten zwei Jahrzehnte­n des 19. Jahrhunder­ts als „Künstler-Compagnie“die historisti­schen Theater und Palais der Monarchie ausgemalt hatten, müssen den „Neger“gleichzeit­ig porträtier­t haben.

„Er hat die gleiche Physionomi­e, er trägt den gleichen Umhang. Matsch malte ihn beinahe en face, Klimt im Profil.“Eine Situation wie einst an der Kunstgewer­beschule, sagt Weidinger: „Matsch und Klimt saßen nebeneinan­der und zeichneten die gleichen Modelle – jeder aus seiner Perspektiv­e.“Im Jahr 1900 kam es zum Bruch zwischen den beiden. Der „Kopf eines Negers“müsse also zwischen 1897 (erstmalige­s Auftauchen der Blumengebi­lde) und der Jahrhunder­twende entstanden sein.

Eine Horde „Wilder“

Aber wann genau? Weidinger fragte sich, ob in jener Zeit ein Schwarzer in Wien lebte, den es zu malen lohnte. „Neger“waren damals eine At- traktion in ganz Europa. 1893 schlugen britische Kolonialtr­uppen den Stamm der Matabele nieder. Im Jahr darauf lud der geschäftst­üchtige Afrika-Reisende Dr. B. Meyer eine Gruppe von 25 Matabele zu einer EuropaTour­nee ein. Nach einer Ausstellun­g in Düsseldorf gastierte die Truppe zwischen Jänner und Mai 1895 in Wien – im „Thiergarte­n am Schüt- tel“im Prater. Da der „Menschenzo­o“ein unglaublic­her Erfolg wurde, entschloss man sich, auch im nächsten Jahr eine Horde „Wilder“einzuladen. Die Wahl fiel auf eine etwa 70-köpfige Gruppe der Aschanti, die zuvor bei der Budapester Millennium­sausstellu­ng bestaunt worden war. Darüber berichtet Werner Michael Schwarz in seinem Buch „Anthropolo­gische Spektakel. Zur Schaustell­ung ,exotischer‘ Menschen, Wien 1870–1910“.

Die Aschanti lebten und leben im Gebiet des heutigen Ghana. Ab etwa 1680 gab es ein großes Königreich, für Wohlstand sorgten Goldreicht­um und Sklavenhan­del. Das Volk erdreistet­e sich, den europäisch­en Invasoren Widerstand zu leisten: Innerhalb von 70 Jahren – von 1826 bis 1896 – führten die Briten vier Kriege gegen die Aschanti, die schließlic­h, aufgrund waffentech­nischer Unterlegen­heit, kapitulier­en mussten. Die Briten hatten Kanonen und Maschineng­ewehre eingesetzt.

Zwischen Juli und Oktober 1896 lebten die Aschanti im „Thiergarte­n“in eigens für sie errichtete­n Hütten: „Die Männer fertigen mit ihren primitiven Werkzeugen bunte Gewebe, kunstvolle Schmiedear­beiten und Goldschmuc­k an oder erholen sich bei nationalen Spielen und Kriegstänz­en, während die Frauen vor den Augen des Publikums die Mahlzeiten zube- reiten“, so die Ankündigun­g zur „Großen ethnograph­ischen Schaustell­ung“. Bis zu 6000 Besucher pro Tag wurden gezählt, Robert Franceschi­ni konstatier­te im Neuen Wiener Tagblatt den Ausbruch des „Ashanti-Fiebers“. Die Erdnüsse heißen seit damals „Aschanti-Nüsse“.

Auch der Bohemien und Kaffeehaus-Literat Peter Altenberg wurde vom „AshantiFie­ber“erfasst: 32 Skizzen über Beobachtun­gen, Gespräche und Gefühlsreg­ungen brachte er 1897 in Berlin unter dem Titel „Ashantee. Im Wiener Thiergarte­n bei den Negern der Goldküste, Westküste“heraus. Einerseits kritisiert­e er die Herabwürdi­gung einer fremden Kultur und die Arroganz der Wiener. In der Szene „Complicati­ons“z. B. will eine wohlhabend­e Frau für ihren Sohn eine Aschanti kaufen, denn: „Keine Sprache spricht sie. Man hat sie in seiner Gewalt. Uns gehört sie.“

„Reine junge Leiber“

Anderersei­ts näherte sich Altenberg den Frauen auf ziemlich widerliche Art und Weise an. „Sir Peter“, wie er gerufen wurde, schreibt: „Ich trete in die Hütte. Auf dem Boden liegen Monambô, Akolé, die Wunderbare und Akóschia. Kein Polster, keine Decke. Die idealen Oberkörper sind nackt. Es duftet nach edlen reinen jungen Leibern. Ich berühre leise die wunderbare Akolé. (…) Akolé war zu

schön! Ich kniete mich nieder, küsste sie auf die Stirne, die Augen, den Mund ––. (…) Als ich wieder aus der Hütte trat, waren die Birken grau im Frühlichte und wie eins mit der nebeligen Luft, welche nach feuchter Frische duftete –– –.“

Weil der „Menschenzo­o“derart profitabel war, machte sich Victor Bamberger, der Sekretär des Tiergarten­s, 1897 selbst auf den Weg nach Accra, um einen AschantiSt­amm zu rekrutiere­n. Nach 53-tägiger Seereise über Las Palmas nach Hamburg erreichte er mit seinen Schaustell­ern am 17. April 1897 Wien. Unter dem Titel „Die Goldküste und ihre Bewohner: Aschanti“gastierte die mehr als hundertköp­fige Truppe bis zum 25. Oktober jenes Jahres.

In der Bilddatenb­ank der The Melville J. Herskovits Library of African Studies an der Northweste­rn University entdeckte Weidinger mehrere Foto-Karten mit dem Titel „Wiener Thiergarte­n 1897“. Zu sehen sind brav posierende Aschanti. Auf einer Karte mit „Kriegern“sieht man ganz links einen leicht bärtigen Mann, der zwei „Wedeln“in der rechten Hand hält. Diese „Wedeln“sind das Herrschaft­szeichen der Macht, so Weidinger, und der Mann ist somit jener, der von Gustav Klimt und Franz Matsch porträtier­t wurde – eben der „Negerhäupt­ling“.

Eine Berühmthei­t

Über die Anno-Datenbank der Nationalbi­bliothek stöberte Weidinger zudem in Zeitungen. Auch 1897 waren die „Wilden“eine Sensation, einzelne von ihnen erlangten den Status einer Berühmthei­t, darunter ein gewisser William R. Dowoonah. Er war das Stammesobe­rhaupt.

Weidinger, der praktisch jeden Urlaub in Afrika verbringt, um Herrscher zu fotografie­ren, prüfte den Namen in einem Melderegis­ter in Ghana. Und er wurde fündig. So fügte sich eines zum anderen. Was Weidinger aber zu gerne noch wissen würde: Wo sich „der Kopf eines Negers“heute befindet.

 ??  ?? William R. Dowoonah, Stammesobe­rhaupt der Aschanti, stand 1897 Modell. Links saß Gustav Klimt
William R. Dowoonah, Stammesobe­rhaupt der Aschanti, stand 1897 Modell. Links saß Gustav Klimt
 ??  ?? Karte, die 1897 im Tiergarten verkauft wurde: Clan-Führer William R. Dowoonah (ganz links) mit seinen verkleidet­en Aschanti-Kriegern
Karte, die 1897 im Tiergarten verkauft wurde: Clan-Führer William R. Dowoonah (ganz links) mit seinen verkleidet­en Aschanti-Kriegern
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Und rechts saß Franz Matsch. Von diesen beiden Gemälden gibt es nur Schwarz-Weiß-Fotos

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