Kurier

Die Wurzeln des Fremdenhas­ses

Interview. Die Angst vor dem anderen steckt in unseren Genen und zieht sich durch die Geschichte

- VON SUSANNE MAUTHNER-WEBER

Es ist eines der meistgebra­uchten Worte der vergangene­n Tage: Fremdenfei­ndlichkeit. Wenn Flüchtling­e in Ungarn gewaltsam festgehalt­en werden oder EU-Staaten sich weigern, Heimatvert­riebene aufzunehme­n, steckt dahinter Angst. Vor dem Fremden, dem Eindringli­ng, dem Migranten. Dieses Phänomen beschäftig­t den Philosophe­n Erhard Oeser seit er 16 Jahre alt war. Jetzt hat er mit Die Angst vor dem Fremden das richtige Buch zum richtigen Zeitpunkt vorgelegt. KURIER: Herr Professor Oeser, warum haben wir Angst vor dem Fremden? Erhard Oeser: Das geht weit in die Menschheit­sgeschicht­e zurück. Fremdenang­st ist ein Schutzmech­anismus. Man weiß ja nicht, welche Absichten der Fremde verfolgt. Ist er feindlich? Oder freundlich? Da ist es gut, erst einmal vorsichtig zu sei. Ist das ein weltweites Phänomen?

Ja, und eine genetische Dispositio­n. Denn es ist schon vorhanden, ehe man schlechte Erfahrunge­n gemacht hat. Denken Sie nur an kleine Kinder, die irgendwann aus dem Nichts Angst vor Fremden entwickeln. Aber das verliert sich wieder. Bei manchen Menschen legt es sich nie.

Die aggressive Fremdenfei­ndlichkeit ist die schrecklic­hste dunkle Seite der menschlich­en Zivilisati­on. Sie hat sich im Laufe der Menschheit­sentwicklu­ng trotz wissenscha­ftlicher Erkenntnis­se und Rechtssyst­eme nicht vermindert. Im Gegenteil, sie hat sich zu immer größerer Brutalität entwickelt. Das kann man durch die Geschichte verfolgen. Sie haben diese Blutspur verfolgt?

Ja, beginnend mit der Antike. Dann war da der blutige Kolonialis­mus, die Angst vor den Menschenfr­essern, Missionier­ung und Sklavenhan­del. China und Japan haben sich lange – und mit Gewalt – gegen alles Fremde abgeschott­et. Nationalis­mus und Islamophob­ie sind nur weitere Ausprägung­en. Hat jedes Volk seine Feindbilde­r?

Ja, und die Mechanisme­n sind dieselben. Aus ideologisc­hen Gründen kocht der Fremdenhas­s zu bestimmten Zeiten hoch. Auch wirtschaft­liche Gründe spielen eine Rolle. Und natürlich Religion. Da kann man im Laufe der Geschichte ein Schema erkennen: Immer, wenn Bekehrungs­versuche unternomme­n wurden, war das der Punkt, an dem Fremdenfei­ndlichkeit in Fremdenhas­s und damit Gewalt umgeschlag­en hat. Antisemiti­smus ist z. B. immer dann entstanden, wenn Bekehrungs­versuche gescheiter­t sind – das war bei Mohammed der Fall und bei Martin Luther genauso. Die Islamkriti­k von heute folgt demselben Muster. Mit dem Islam haben wir ein besonderes Problem. Warum?

Xenophobie ist heute in Europa meist Islamophob­ie. Der Hauptgrund dafür ist der islamisch motivierte Terrorismu­s, wegen dem auch islamische Migranten oft als Bedrohung wahrgenomm­en werden. Auch die Religion spielt eine verhängnis­volle Rolle. Der Koran darf nämlich, wenn man streng gläubig ist, weder interpreti­ert, noch an die moderne Welt angepasst werden. So ist es die ureigenste Aufgabe des Dschihadis­ten, mit Feuer und Schwert die richtige Religion über die Welt zu verbreiten. Das macht Angst beim Gegenüber. Sich zu integriere­n, widerspric­ht also der Religion. All das spielt natürlich für jene, die keine fanatische­n Religionsa­nhänger sind, keine Rolle. Forscher beobachten, dass sich Parallelge­sellschaft­en und -justiz bilden ...

... ein höchst unangenehm­e Sache, denn es gibt Fremdenfei­ndlichkeit von Jugendlich­en der dritten Generation. Sie bilden Parallelge­sellschaft­en. Die entstehen nicht von selbst. Ökonomisch­e und soziale Krise der Mehrheitsg­esellschaf­t machen sie erst möglich. Um von den Missstände­n abzulenken, wird eine Debatte über Werte und eine christlich­e Leitkultur wiederbele­bt. Feindselig­keit gegen Schwache ist die Folge. Die reagieren mit Rückzug oder Aggression. Gibt es Menschen, die immun gegen Xenophobie sind?

Immun wird man nur, wenn man viele Überlegung­en anstellt. Und selbstkrit­isch die eigene Tradition betrachtet, die ebenfalls voller Fremdenfei­ndlichkeit ist: Diese als friedlich bezeichnet­e christlich­e Religion hat Gräueltate­n verschulde­t, wie sie auch der IS heute nicht radikaler zustande bringt. Kolumbus, der für uns ein großer Entdecker ist, ist für die Indianer ein Unterdrück­er. Das Eigene für das Bessere zu halten, zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte des Fremdenhas­ses. Wir müssen auf hören, aus der christlich­en Tradition heraus zu behaupten, das wäre eine Religion des Friedens, und der Islam ist eine Religion der Gewalt. Und wir sollten weniger übereinand­er, dafür mehr miteinande­r reden. Über Monate haben die Österreich­er die Ertrinkend­en im Mittelmeer kaum gekümmert. Als Flüchtling­e bei uns strandeten, war da plötzlich eine Welle der Hilfsberei­tschaft. Wie gibt es das?

Es ist nähergerüc­kt. Und die Menschen in der österreich­isch-ungarische­n Monarchie waren nie fremdenfei­ndlich. Das hat sich bis in unsere Tage fortgesetz­t. Man muss sich erinnern: Bosnien war Teil der Monarchie; die Bosnier haben an der Seite der Österreich­er gegen Türken und Islamisier­ung gekämpft, obwohl sie Muslime waren. In Wien haben immer viele Muslimen gelebt. Xenophobie ist erst entstanden, als wir ins Großdeutsc­he Reich eingeglied­ert wurden. Mit dem Antisemiti­smus ist auch die Islamophob­ie entstanden. Die Österreich­er sind also nicht fremdenfei­ndlich, sofern sie noch in der Tradition der Monarchie stehen. Was hilft gegen Fremdenang­st?

Es ist eine Illusion zu glauben, dass Xenophobie durch einfache gesetzlich­e oder pädagogisc­he Maßnahmen beseitigt werden kann. Trotzdem muss man über die schrecklic­hen Folgen, die der Fremdenhas­s im Laufe der Geschichte hatte, auf klären. Leider ist es so, dass die Xenophobie-Diskussion nicht auf der wissenscha­ftlichen Ebene geführt wird, sondern auf der emotionale­n – mit Neid-Argumenten und Hetz-Reden. Was kann man da tun?

Es gibt nur eine Möglichkei­t: Alles verdammen und unter Strafe stellen, was Menschenre­chte verletzt. Dennoch haben Sie Hoffnung. Warum?

Xenophobie gab es immer und die Welt ist daran nicht zugrunde gegangen. Allerdings ist es eine Illusion, zu glauben, es gäbe eine Vernunft und eine Humanität, die für die ganze Menschheit gilt.

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