Die Wurzeln des Fremdenhasses
Interview. Die Angst vor dem anderen steckt in unseren Genen und zieht sich durch die Geschichte
Es ist eines der meistgebrauchten Worte der vergangenen Tage: Fremdenfeindlichkeit. Wenn Flüchtlinge in Ungarn gewaltsam festgehalten werden oder EU-Staaten sich weigern, Heimatvertriebene aufzunehmen, steckt dahinter Angst. Vor dem Fremden, dem Eindringling, dem Migranten. Dieses Phänomen beschäftigt den Philosophen Erhard Oeser seit er 16 Jahre alt war. Jetzt hat er mit Die Angst vor dem Fremden das richtige Buch zum richtigen Zeitpunkt vorgelegt. KURIER: Herr Professor Oeser, warum haben wir Angst vor dem Fremden? Erhard Oeser: Das geht weit in die Menschheitsgeschichte zurück. Fremdenangst ist ein Schutzmechanismus. Man weiß ja nicht, welche Absichten der Fremde verfolgt. Ist er feindlich? Oder freundlich? Da ist es gut, erst einmal vorsichtig zu sei. Ist das ein weltweites Phänomen?
Ja, und eine genetische Disposition. Denn es ist schon vorhanden, ehe man schlechte Erfahrungen gemacht hat. Denken Sie nur an kleine Kinder, die irgendwann aus dem Nichts Angst vor Fremden entwickeln. Aber das verliert sich wieder. Bei manchen Menschen legt es sich nie.
Die aggressive Fremdenfeindlichkeit ist die schrecklichste dunkle Seite der menschlichen Zivilisation. Sie hat sich im Laufe der Menschheitsentwicklung trotz wissenschaftlicher Erkenntnisse und Rechtssysteme nicht vermindert. Im Gegenteil, sie hat sich zu immer größerer Brutalität entwickelt. Das kann man durch die Geschichte verfolgen. Sie haben diese Blutspur verfolgt?
Ja, beginnend mit der Antike. Dann war da der blutige Kolonialismus, die Angst vor den Menschenfressern, Missionierung und Sklavenhandel. China und Japan haben sich lange – und mit Gewalt – gegen alles Fremde abgeschottet. Nationalismus und Islamophobie sind nur weitere Ausprägungen. Hat jedes Volk seine Feindbilder?
Ja, und die Mechanismen sind dieselben. Aus ideologischen Gründen kocht der Fremdenhass zu bestimmten Zeiten hoch. Auch wirtschaftliche Gründe spielen eine Rolle. Und natürlich Religion. Da kann man im Laufe der Geschichte ein Schema erkennen: Immer, wenn Bekehrungsversuche unternommen wurden, war das der Punkt, an dem Fremdenfeindlichkeit in Fremdenhass und damit Gewalt umgeschlagen hat. Antisemitismus ist z. B. immer dann entstanden, wenn Bekehrungsversuche gescheitert sind – das war bei Mohammed der Fall und bei Martin Luther genauso. Die Islamkritik von heute folgt demselben Muster. Mit dem Islam haben wir ein besonderes Problem. Warum?
Xenophobie ist heute in Europa meist Islamophobie. Der Hauptgrund dafür ist der islamisch motivierte Terrorismus, wegen dem auch islamische Migranten oft als Bedrohung wahrgenommen werden. Auch die Religion spielt eine verhängnisvolle Rolle. Der Koran darf nämlich, wenn man streng gläubig ist, weder interpretiert, noch an die moderne Welt angepasst werden. So ist es die ureigenste Aufgabe des Dschihadisten, mit Feuer und Schwert die richtige Religion über die Welt zu verbreiten. Das macht Angst beim Gegenüber. Sich zu integrieren, widerspricht also der Religion. All das spielt natürlich für jene, die keine fanatischen Religionsanhänger sind, keine Rolle. Forscher beobachten, dass sich Parallelgesellschaften und -justiz bilden ...
... ein höchst unangenehme Sache, denn es gibt Fremdenfeindlichkeit von Jugendlichen der dritten Generation. Sie bilden Parallelgesellschaften. Die entstehen nicht von selbst. Ökonomische und soziale Krise der Mehrheitsgesellschaft machen sie erst möglich. Um von den Missständen abzulenken, wird eine Debatte über Werte und eine christliche Leitkultur wiederbelebt. Feindseligkeit gegen Schwache ist die Folge. Die reagieren mit Rückzug oder Aggression. Gibt es Menschen, die immun gegen Xenophobie sind?
Immun wird man nur, wenn man viele Überlegungen anstellt. Und selbstkritisch die eigene Tradition betrachtet, die ebenfalls voller Fremdenfeindlichkeit ist: Diese als friedlich bezeichnete christliche Religion hat Gräueltaten verschuldet, wie sie auch der IS heute nicht radikaler zustande bringt. Kolumbus, der für uns ein großer Entdecker ist, ist für die Indianer ein Unterdrücker. Das Eigene für das Bessere zu halten, zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte des Fremdenhasses. Wir müssen auf hören, aus der christlichen Tradition heraus zu behaupten, das wäre eine Religion des Friedens, und der Islam ist eine Religion der Gewalt. Und wir sollten weniger übereinander, dafür mehr miteinander reden. Über Monate haben die Österreicher die Ertrinkenden im Mittelmeer kaum gekümmert. Als Flüchtlinge bei uns strandeten, war da plötzlich eine Welle der Hilfsbereitschaft. Wie gibt es das?
Es ist nähergerückt. Und die Menschen in der österreichisch-ungarischen Monarchie waren nie fremdenfeindlich. Das hat sich bis in unsere Tage fortgesetzt. Man muss sich erinnern: Bosnien war Teil der Monarchie; die Bosnier haben an der Seite der Österreicher gegen Türken und Islamisierung gekämpft, obwohl sie Muslime waren. In Wien haben immer viele Muslimen gelebt. Xenophobie ist erst entstanden, als wir ins Großdeutsche Reich eingegliedert wurden. Mit dem Antisemitismus ist auch die Islamophobie entstanden. Die Österreicher sind also nicht fremdenfeindlich, sofern sie noch in der Tradition der Monarchie stehen. Was hilft gegen Fremdenangst?
Es ist eine Illusion zu glauben, dass Xenophobie durch einfache gesetzliche oder pädagogische Maßnahmen beseitigt werden kann. Trotzdem muss man über die schrecklichen Folgen, die der Fremdenhass im Laufe der Geschichte hatte, auf klären. Leider ist es so, dass die Xenophobie-Diskussion nicht auf der wissenschaftlichen Ebene geführt wird, sondern auf der emotionalen – mit Neid-Argumenten und Hetz-Reden. Was kann man da tun?
Es gibt nur eine Möglichkeit: Alles verdammen und unter Strafe stellen, was Menschenrechte verletzt. Dennoch haben Sie Hoffnung. Warum?
Xenophobie gab es immer und die Welt ist daran nicht zugrunde gegangen. Allerdings ist es eine Illusion, zu glauben, es gäbe eine Vernunft und eine Humanität, die für die ganze Menschheit gilt.