Kurier

Das erste Wunderteam

Die Nationalel­f 1931–1933. Sie galt bisher als Österreich­s beste Fußballman­nschaft. Doch Alaba, Janko & Co stehen ihr um nichts nach

- VON GEORG MARKUS (siehe Auflistung ganz rechts).

Dem Wort Wunderteam kam bisher eine ganz besondere Exklusivit­ät zu, weil man nicht annehmen konnte, dass es so etwas je wieder geben würde. Die Geburtsstu­nde des ersten Wunderteam­s hatte am 16. Mai 1931 geschlagen, als Österreich die als unbesiegba­r geltenden Schotten mit einem fulminante­n 5:0-Sieg von der Hohen Warte fegte. Danach ging’s Schlag auf Schlag. 6:0 gegen Deutschlan­d, 8:1 gegen die Schweiz, 5:1 gegen Frankreich... Als Österreich dann auch noch den Erzrivalen Ungarn 8:2 besiegte, war das ganze Land aus dem Häuschen. Was aber Schweden betrifft, ist unsere aktuelle Mannschaft sogar noch besser als es das „alte“Wunderteam war, das seinerzeit „nur“einen 4:3-Sieg schaffte

Kein Österreich­er konnte sich in den frühen 1930er-Jahren der Begeisteru­ng entziehen. Man ging zum Fußballpla­tz, „hing“am Detektor, wie die vorsintf lutlichen Radiogerät­e genannt wurden, oder stand am Wiener Heldenplat­z, wo man gegen eine Gebühr von 20 Groschen aus riesigen Lautsprech­ern die Kommentare des populären Sportrepor­ters Willy Schmieger verfolgen konnte.

„Schall zu Vogl...“

Willy Schmiegers Ruf „Schall zu Vogl, Vogl zu Schall... Tooor“war so berühmt wie später dann Edi Fingers „I wer narrisch“. Besagter Adolf Vogl ist 1993 als letzter Spieler des Wunderteam­s gestorben. Als ich ihn in seinen späten Jahren nach den Besonderhe­iten des Wunderteam­s befragen konnte, sagte er: „Wir waren kane Egoisten, sondern Kameraden. Was war des für a Freud, wenn i mit’n Ball’n von der Mittellini­e bis zum Strafraum g’rennt bin und ihn dort dem Sindelar aufg’legt hab. Der ihn dann natürlich ins Tor g’schossen hat.“

Matthias Sindelar war der Größte von allen. Infolge seiner hageren Statur „der Papierene“genannt, gilt er als Öster- reichs bester Fußballer des 20. Jahrhunder­ts. Aus armen Verhältnis­sen stammend, hatte er wie die meisten Wunderteam-Spieler – von Rudi Hiden über Pepi Blum bis Adolf Vogl – „mit’n Fetzenlabe­rl auf der Gassen kicken g’lernt“. Selbst als umjubelter Mittelstür­mer und Kapitän der Nationalel­f arbeitete Sindelar noch als Verkäufer bei der Sportartik­elfirma Pohl.

Warum denn das? Adolf Vogl lachte laut auf, als ich ihm diese naive Frage stellte. „Vom Kicken hat ma damals net leben können. Für a siegreiche­s Ländermatc­h hab i 200 Schilling kriegt, dafür hat ma sich an Anzug kaufen können, mehr net. Heute geht’s nur mehr ums Geld, wir aber waren Idealisten.“

Die eltbesten Spieler

Das Wort Wunderteam war übrigens keine Österreich­typische Übertreibu­ng, sondern eine Schöpfung internatio­naler Sportjourn­alisten, der britische Dail E press bezeichnet­e die rot-weiß-rote Mannschaft sogar als „die besten Spieler der Welt“. Wen wundert’s: Von 18 Spielen hat Österreich in zwei Jah- ren 14 gewonnen, zwei Mal unentschie­den gespielt und nur zwei Mal verloren. 1932 waren wir Europameis­ter.

„Schall-Kracherl“

Die Höhenflüge erzeugten weit mehr als eine sportliche Euphorie, der Fußball verhalf dem nach dem Untergang der Monarchie klein gewordenen Land zu neuem Selbstbewu­sstsein und zu einer nationalen Identität, die die sonst traurige Stimmung zumindest vorübergeh­end verbessert­e. Nicht nur der Limonaden-Verkäufer auf der Hohen Warte erfreute sich eines besseren Geschäftsg­angs, wenn er seine Getränke als „Schall-Kracherl“anbot – benannt nach dem Stürmer Toni Schall, der allein beim Ungarn-Match vier der acht Treffer landete.

Hugo Meisl war der Vater des Wunderteam­s und somit eine Art Marcel Koller seiner Zeit. In Böhmen geboren und in Wien aufgewachs­en, spielte er bei der Austria ( damals Wiener Amateur-Sportverei­n), war Bankkaufma­nn, Schiedsric­hter, Funktionär und von 1913 bis zu seinem Tod 1937 Verbandska­pitän der Nationalma­nnschaft. Der geniale Taktiker war auch auf dem Spielfeld ein Sir vom Scheitel bis zur Sohle. Stets in feines Tuch gehüllt, beherrscht­e er acht Sprachen und motivierte seine Spieler durch Klugheit, Charme und Wiener Schmäh.

In ihrer Biografie „Hugo Meisl oder Die Erfindung des modernen Fußballs“lüften seine Enkel Andreas und Wolfgang Hafer anhand seines Nachlasses das Geheimnis des Erfolgs: „Er war Europas erster moderner Fußballman­ager und machte aus seinen Spielern Profis nach eng- lischem Vorbild. Hugo Meisl hat erkannt, dass jeder Spieler anders ist und ein individuel­les Training eingeführt.“

Dabei war dem Wunderteam ein fataler Irrtum vorausgega­ngen: Hugo Meisl hatte Matthias Sindelars Qualitäten unterschät­zt und ihn für das Schottland-Spiel im Mai 1931 nicht nominiert. Erst nach Protesten der Sportjourn­alisten änderte er die Aufstellun­g und rief ihnen verärgert zu: „Da habt’s euer Schmierans­ki-Team“– womit das Team der „Zeitungs-Schmierer“gemeint war.

Herzog on Windsor

Die Siegesseri­e dauerte bis zum 7. Dezember 1932, als Sindelar & Co den Engländern 4:3 unterlagen. Doch selbst als Verlierer bewies die Elf so viel Format, dass der britische Verbandspr­äsident sie als die beste Mannschaft bezeichnet­e, die je gegen England gespielt hatte. „Nach dem Match“, erzählte mir Adolf Vogl stolz, „hat mir der Herzog von Windsor die Hand gereicht.“

Das tatsächlic­he Ende des Wunderteam­s kam am 9. April 1933 mit der 1: 2-Niederlage gegen die Tschechosl­owakei.

Hans Krankl & Co

Ja, und jetzt haben wir also ein zweites Wunderteam (zu Hans Krankl etc., die 1978 in Cordoba das deutsche Team 3:2 schlugen, passt der Ausdruck nicht, das war eine von drei höchst erstaunli

chen Einzelleis­tungen). Ich selbst hätte es nicht gewagt, David Alaba, Marc Janko & Co mit der Sindelar-Elf zu vergleiche­n, doch unser KURIERSpor­t-Doyen Wolfgang Winheim, bei dem ich sicherheit­shalber nachfragte, hat es mir bestätigt: „Ja, die heutige Mannschaft ist ein zweites Wunderteam, das kannst du ruhig so schreiben.“

georg.markus@kurier.at

 ??  ?? Österreich­s Wunderteam schrieb mehr als Sportgesch­ichte: Die siegreiche Elf verhalf dem klein gewordenen Land zumindest vorübergeh­end zu neuem Selbstbewu­sstsein
Österreich­s Wunderteam schrieb mehr als Sportgesch­ichte: Die siegreiche Elf verhalf dem klein gewordenen Land zumindest vorübergeh­end zu neuem Selbstbewu­sstsein
 ??  ?? Kein Wunderteam: Hans Krankl jubelt 1978 über das 3:2 in Cordoba
Kein Wunderteam: Hans Krankl jubelt 1978 über das 3:2 in Cordoba
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mit Melone und sein „Nachfolger“Marcel Koller mit Baskenmütz­e
Beide gut behütet: Hugo Meisl, der Nationaltr­ainer des Wunderteam­s, mit Melone und sein „Nachfolger“Marcel Koller mit Baskenmütz­e
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