Schlechte Zeiten, gute Zeiten
Borussia Mönchengladbach muss ohne Martin
Stranzl, 35, in die Champions League starten. Bruch des Augenhöhlenbogens beim 0:3 gegen den HSV. Stranzls Mitspieler sagen über den Burgenländer, der wegen Knieproblemen schon den Bundesligabeginn versäumte, nach dessen unglücklichem Comeback das gleiche wie davor. „Er ist unser wichtigster Mann.“
Marcel Koller brauchte sich um ein Teamcomeback des wichtigsten Borussen, der sich unter Koller-Vorgänger Diet
mar Constantini zum Adieu entschlossen hatte, nie bemühen. Zumal Koller mit Dragovic, Hinteregger, Prödl, Wimmer über genug Jüngere fürs Abwehrzentrum verfügt.
Koller konnte sich auch leisten, ohne Spieler von Meister Salzburg und Europa-LeagueStarter Rapid auszukommen.
Selbst die U-21, deren 4:3Sieg gegen Russland in der Euphorie ums 4:1 in Schweden unterging, profitiert von JungLegionären, die Koller großzügig dem U-21-Coach Werner
Gregoritsch überlassen kann. Mit Koller kam der richtigen Mann zur richtigen Zeit. Einer, der sich als Ausländer von keinem Platzhirschen beeinflussen lässt und ein geschicktes Händchen hinsichtlich Menschenführung haben muss. Fast ebenso wichtig wie Kollers Kommen fürs Nationalteam aber war, dass von den Vereinen aus der (finanziellen) Not eine Jugend gemacht wurde; und
dass mit Dragovic, Junuzovic,
Baumgartlinger, Fuchs nunmehrige Leistungsträger des EM-Starters als Minderjährige ein Leiberl bei Austria und Mattersburg bekamen.
Zu Zeiten, als ein schulpflichtiger Martin Stranzl in ei
ner Übersiedlung zu 1860 München die einzige Chance auf eine erfolgversprechende Fußball-Ausbildung sah, hatte hierzulande noch Großmannsucht über langfristige Planung dominiert.
Da wurden mit Geld, das man gar nicht besaß, von Wien, Graz bis Innsbruck teure Routiniers importiert;
da wurden Jugendleistungszentren (wie sie Franzosen und Schweizer schon besaßen) als überflüssig betrachtet;
da mussten bis zu vier Rapid-Nachwuchsteams zugleich auf einem einzigen Kunstrasenplatz in Hütteldorf trainieren;
da liefen pro Bundesliga-Elf bis zu neun, zehn nicht fürs Team Spielberechtigte ein;
da musste der damalige Unter-21-ÖFB-Teamchef Ernst
Weber in den Regionalligen auf Spielersuche gehen.
„Gebt unseren Jungen end- lich ein Chance. Erst wenn sie in unserer Liga auffallen, wird man sie ins Ausland holen“, flehte Weber damals und ärgerte sich, wenn seine Worte fälschlich als Ausländerfeindlichkeit interpretiert wurden. Zumal lieber Konjunktivstars aus Ex-Jugoslawien geholt als Migranten-Kinder vor der eigenen Haustür forciert wurden. Weil sich bei Letzteren nicht so gut „mitschneiden“ließ.
Mittlerweile besteht das halbe Nationalteam (wie in anderen Ländern) aus Spielern mit Migrationshintergrund. Weber erlebt das Aufgehen seiner Prognose nicht mehr. Der Idealist hatte sich wenige Monate vor Kollers Kommen für den Freitod entschieden.