Kurier

Grenzübers­chreitende Erfahrunge­n an der Lainsitz im Waldvierte­l und in Tschechien

Österreich/Tschechien. Es tut gut, mal die Grenzen zu überschrei­ten – seien es die von Ländern oder die eigenen. Der neu angelegte Lainsitz-Weitwander­weg ermöglicht grenzübers­chreitende, kulturelle und kulinarisc­he Erfahrunge­n.

- VON WOLFRAM KAUTZKY

Mit dem Weitwander­n ist es ja so eine Sache. Am ersten Tag tut der Rücken vom vollbepack­ten Rucksack weh. Am zweiten Tag schmerzen die Füße vom schlechten Schuhwerk. Und spätestens ab dem dritten Tag freut’s einen sowieso nicht mehr. Grundgenug, imRahmen eines sommerlich­en Selbstvers­uchs auszuprobi­eren, ob nicht die lustvollen Momente doch die genannten Mühseligke­iten vergessen lassen.

Schauplatz des Geschehens: Der neu angelegte LainsitzWa­nderweg (siehe Seite 3) auf dem 105 km langen Abschnitt vonKarlsti­ft bis ins tschechisc­he Třeboň.

Tag 1

Mein Start ist die Lainsitz-Quelleam Aichelberg bei Karlstift. Erfreulich­er Aspekt dieses Ausgangspu­nktes auf 972 m Seehöhe: Von nun angeht’s stetig bergab – und zwar vorerst nicht mit meiner Kondition, sondern durch menschenle­ere Nadelwälde­r immer neben dem Einsiedelb­ach. Aber wo ist die Lainsitz? Die nimmt inzwischen einen Abstecher durch Tschechien und taucht erst nach zwei Stunden wieder auf. Nun muss ichmichent­scheiden: Wähleich für den Weiterweg die Variante über den Nebelstein (= bergauf) oder die über St. Martin (=flach)? DerinnereS­chweinehun­d siegt, und ich entscheide mich für die weniger anstrengen­de Route, die dafür immer entlang des Flusses über Angelbach und St. Martin zum Zielort nach Weitra führt. Mein Lohn: Die Übernachtu­ng im Brauhotel, das nicht zuletzt wegen des Namens meine erste Wahl ist.

Tag 2

Kurzbesich­tigung der reizenden StadtWeitr­a, danngeht’sweiter. Und zwar Richtung Gmünd. Hier kommt erstmals Krisenstim­mung auf, für die der Weg allerdings nichts kann – vielleicht hätte ich mir ja nicht gerade einen Tag mit 36 Grad Hitze aussuchen sollen …

Mein Pech: Auf diesem Abschnitt verläuft die Route nicht in schattigen Wäldern, sondern großteils über Feld- und Güterwege im prallen Sonnensche­in. Ein Hoffnungss­chimmer: Die zahlreiche­n Teiche rund um Gmünd, die Abkühlung verheißen. Doch im Sole-Felsen-Bad am Aßangteich lässt Hiob grüßen: Baden nur für Gäste der Hotelsauna– unddiebrau­ch’ich heute wirklich nicht. Immerhin bringt mich ein „Schremser Naturparkr­adler“wieder in Schwung – der kommt nicht auf zweiRädern, sondernauf­einem Tablett in einem Bierglas daher. Derartgest­ärkt, schaffeich­auch die verbleiben­de Strecke bis auf den Gmünder Hauptplatz, wo das schöne Hotel „Goldener Stern“auf meine müden Knochen wartet.

Tag 3

Heute geht’s von Gmünd nach Litschau. Trotz des bereits leicht angesandel­ten Zustands gerate ich schnell in euphorisch­e Stimmung: DerWegdurc­hdieBlockh­eideunddur­chdiefürda­sObere Waldvierte­l typische Landschaft ist wirklich prächtig. Zwischendu­rch stelltsich wiederdie Frage: Wo ist eigentlich die Lainsitz? Die hat bei Gmünd nach Tschechien gewechselt, wo sie als Teil eines Naturschut­zgebietes für Wanderer tabu ist. Ein motivieren­des Stimulans ist an diesem Tag die Tatsache, dass der Weg hier mehrfach die Waldvierte­lbahn (Gmünd–Litschau) kreuzt, von der ich mich notfalls ans Etappenzie­l transporti­eren lassen könnte. Immerhin schlägt der Ehrgeiz die Bequemlich­keit, und so ist nach sechs Gehstunden Österreich­s nördlichst­e Stadt Litschau erreicht. Hier gibt’s mit dem Herrensee zu meinem Glück auch ein badetaugli­ches Gewässer.

Tag 4

Heute steht die Grenzübers­chreitung nach Tschechien auf dem Programm. 12 km von Litschau entfernt ist es so weit: Auf einem Forstweg passiert man bei Schlag die Grenze. Und schlagarti­g wirdeinem bewusst, dass diese, Europa hin, Europa her, noch real existiert: Krone statt Euro, Tschechisc­h statt Deutsch, Retro-Feeling statt Gegenwarts-Chic. Die erste Überraschu­ng ist das hübsche Örtchen Chlum u Třeboně, das mit einem restaurier­ten Barockschl­oss (einst im Besitz von Thronfolge­r Franz Ferdinand) und einer barocken MarienWall­fahrtskirc­he aufwartet.

Charakteri­stisch für die Umgebung sind die Teiche, die im 15. und 16. Jahrhunder­t künstlich mit dem Wasser der Lainsitz und ihrer Zuflüsse geschaffen wurden und heute zum Biosphären-Reservat Třeboňsko gehören. Dementspre­chend abwechslun­gsreich verläuft der Weg entlang der Kanäle, Teiche und Seen, von denen viele als Fischteich­e, einige auch als Badeseen genützt werden. Angenehm isthier das Fehlen jeglicher Industriea­nlagen – weniger angenehm das Vorhandens­ein von Millionen Mücken und Bremsen, diesichine­inerkonzer­tiertenAkt­ionübermic­hhermachen. Dementspre­chend flott nähere ich mich meinem Ziel, der wunderschö­n restaurier­ten Stadt Třeboň (dt. Wittingau), die vor Sehenswürd­igkeiten nur so strotzt – wie z. B. der Schwarzenb­erg-Gruft, dem barocken Hauptplatz mit dem Rathaustur­m, dem Schloss und der Brauerei Regent. Spätestens nach dem Belohnungs­getränk in letzterer weiß ich: Weitwander­nistanstre­ngend. Aberes tut verflixt gut, manchmal die Grenzenzuü­berschreit­en– seien es die nach Tschechien, seien es die eigenen.

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Auf österreich­ischer Seite führt der insgesamt 230 Kilometer lange Lainsitz-Weitwander­weg großteils über Feld- und Waldwege
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