Grenzüberschreitende Erfahrungen an der Lainsitz im Waldviertel und in Tschechien
Österreich/Tschechien. Es tut gut, mal die Grenzen zu überschreiten – seien es die von Ländern oder die eigenen. Der neu angelegte Lainsitz-Weitwanderweg ermöglicht grenzüberschreitende, kulturelle und kulinarische Erfahrungen.
Mit dem Weitwandern ist es ja so eine Sache. Am ersten Tag tut der Rücken vom vollbepackten Rucksack weh. Am zweiten Tag schmerzen die Füße vom schlechten Schuhwerk. Und spätestens ab dem dritten Tag freut’s einen sowieso nicht mehr. Grundgenug, imRahmen eines sommerlichen Selbstversuchs auszuprobieren, ob nicht die lustvollen Momente doch die genannten Mühseligkeiten vergessen lassen.
Schauplatz des Geschehens: Der neu angelegte LainsitzWanderweg (siehe Seite 3) auf dem 105 km langen Abschnitt vonKarlstift bis ins tschechische Třeboň.
Tag 1
Mein Start ist die Lainsitz-Quelleam Aichelberg bei Karlstift. Erfreulicher Aspekt dieses Ausgangspunktes auf 972 m Seehöhe: Von nun angeht’s stetig bergab – und zwar vorerst nicht mit meiner Kondition, sondern durch menschenleere Nadelwälder immer neben dem Einsiedelbach. Aber wo ist die Lainsitz? Die nimmt inzwischen einen Abstecher durch Tschechien und taucht erst nach zwei Stunden wieder auf. Nun muss ichmichentscheiden: Wähleich für den Weiterweg die Variante über den Nebelstein (= bergauf) oder die über St. Martin (=flach)? DerinnereSchweinehund siegt, und ich entscheide mich für die weniger anstrengende Route, die dafür immer entlang des Flusses über Angelbach und St. Martin zum Zielort nach Weitra führt. Mein Lohn: Die Übernachtung im Brauhotel, das nicht zuletzt wegen des Namens meine erste Wahl ist.
Tag 2
Kurzbesichtigung der reizenden StadtWeitra, danngeht’sweiter. Und zwar Richtung Gmünd. Hier kommt erstmals Krisenstimmung auf, für die der Weg allerdings nichts kann – vielleicht hätte ich mir ja nicht gerade einen Tag mit 36 Grad Hitze aussuchen sollen …
Mein Pech: Auf diesem Abschnitt verläuft die Route nicht in schattigen Wäldern, sondern großteils über Feld- und Güterwege im prallen Sonnenschein. Ein Hoffnungsschimmer: Die zahlreichen Teiche rund um Gmünd, die Abkühlung verheißen. Doch im Sole-Felsen-Bad am Aßangteich lässt Hiob grüßen: Baden nur für Gäste der Hotelsauna– unddiebrauch’ich heute wirklich nicht. Immerhin bringt mich ein „Schremser Naturparkradler“wieder in Schwung – der kommt nicht auf zweiRädern, sondernaufeinem Tablett in einem Bierglas daher. Derartgestärkt, schaffeichauch die verbleibende Strecke bis auf den Gmünder Hauptplatz, wo das schöne Hotel „Goldener Stern“auf meine müden Knochen wartet.
Tag 3
Heute geht’s von Gmünd nach Litschau. Trotz des bereits leicht angesandelten Zustands gerate ich schnell in euphorische Stimmung: DerWegdurchdieBlockheideunddurchdiefürdasObere Waldviertel typische Landschaft ist wirklich prächtig. Zwischendurch stelltsich wiederdie Frage: Wo ist eigentlich die Lainsitz? Die hat bei Gmünd nach Tschechien gewechselt, wo sie als Teil eines Naturschutzgebietes für Wanderer tabu ist. Ein motivierendes Stimulans ist an diesem Tag die Tatsache, dass der Weg hier mehrfach die Waldviertelbahn (Gmünd–Litschau) kreuzt, von der ich mich notfalls ans Etappenziel transportieren lassen könnte. Immerhin schlägt der Ehrgeiz die Bequemlichkeit, und so ist nach sechs Gehstunden Österreichs nördlichste Stadt Litschau erreicht. Hier gibt’s mit dem Herrensee zu meinem Glück auch ein badetaugliches Gewässer.
Tag 4
Heute steht die Grenzüberschreitung nach Tschechien auf dem Programm. 12 km von Litschau entfernt ist es so weit: Auf einem Forstweg passiert man bei Schlag die Grenze. Und schlagartig wirdeinem bewusst, dass diese, Europa hin, Europa her, noch real existiert: Krone statt Euro, Tschechisch statt Deutsch, Retro-Feeling statt Gegenwarts-Chic. Die erste Überraschung ist das hübsche Örtchen Chlum u Třeboně, das mit einem restaurierten Barockschloss (einst im Besitz von Thronfolger Franz Ferdinand) und einer barocken MarienWallfahrtskirche aufwartet.
Charakteristisch für die Umgebung sind die Teiche, die im 15. und 16. Jahrhundert künstlich mit dem Wasser der Lainsitz und ihrer Zuflüsse geschaffen wurden und heute zum Biosphären-Reservat Třeboňsko gehören. Dementsprechend abwechslungsreich verläuft der Weg entlang der Kanäle, Teiche und Seen, von denen viele als Fischteiche, einige auch als Badeseen genützt werden. Angenehm isthier das Fehlen jeglicher Industrieanlagen – weniger angenehm das Vorhandensein von Millionen Mücken und Bremsen, diesichineinerkonzertiertenAktionübermichhermachen. Dementsprechend flott nähere ich mich meinem Ziel, der wunderschön restaurierten Stadt Třeboň (dt. Wittingau), die vor Sehenswürdigkeiten nur so strotzt – wie z. B. der Schwarzenberg-Gruft, dem barocken Hauptplatz mit dem Rathausturm, dem Schloss und der Brauerei Regent. Spätestens nach dem Belohnungsgetränk in letzterer weiß ich: Weitwandernistanstrengend. Aberes tut verflixt gut, manchmal die Grenzenzuüberschreiten– seien es die nach Tschechien, seien es die eigenen.