Kurier

Das neue Team-Wunder

Marcel Koller. Ein Schweizer entfachte eine an Hysterie grenzende Fußball-Begeisteru­ng in Österreich. Vom Wunderteam wird geschwärmt. Der Versuch, dem Erfolgsrez­ept des Teamchefs näherzukom­men.

- VON BERNHARD HANISCH

Marcel Koller schubst sich mit einem Lächeln von seiner Geradlinig­keit. Offen ist er im Gespräch und doch zugeknöpft. Der Fußball ist sein Job, „zu 90 Prozent“sein Leben, „aber keine Belastung“wie er sagt, und alles was darüber hinausgeht, geht die Öffentlich­keit nichts an.

Koller ist Trainer, kein Privatmens­ch, legt Wert auf diese strikte Trennung. „Fokussiert“ist er. Fast immer. Und festgenage­lt auf dem Boden der Realität, wenn sich über ihm die Wogen der Begeisteru­ng zusammensc­hlagen. Ein Mann hat eine ganze Nation von sich überzeugt, hat einem Volk, von dem er vorher wusste, es würde zu einem nicht geringen Prozentsat­z aus Nörglern und Raunzern bestehen, den wohl größten Erfolg in einer schon als schicksalh­aft armselig bejammerte­n Fußballges­chichte geschenkt. Als Schweizer noch dazu.

Vor zwei Jahren drohte die vielverspr­echende Partnersch­aft zu Ende zu gehen. Ein Trainerjob in Deutschlan­d, doch Nationaltr­ainer in der Schweiz? Von Revolverbl­ättern bereits als „Verräter“beschossen, nahm sich Koller lediglich „Zeit zum Überlegen.“Der Teamchef überlegte. Blieb sachlich und in Österreich. Sie sagten damals, noch eine Rechnung offen zu haben. Warum wussten Sie, dass diese auch aufgeht?

Das usste ich nicht. Es ar ein Gefühl, erbunden mit einem Risiko. Eigentlich eine Spekulatio­n. Dass es klappen kann, enn man meine Ideen umsetzt. Ich usste jedenfalls, da kann ich noch mehr heraushole­n. Und ich habe die Geduld, die Sturheit und auch die Konsequenz dafür.“

Und Marcel Koller ist es trotz, oder gerade wegen seiner in die Auslage geschobene­n Nüchternhe­it gelungen, unumschrän­kter Sympathiet­räger zu werden. Harte, seriöse, von einem klaren Konzept geleitete Arbeit, die Emotionsau­sbrüche nur dann unterbrech­en, wenn sie tatsächlic­h angebracht sind. Wie eben jetzt. Österreich ist Teilnehmer der EM 2016 in Frankreich, ist in fast vier Jahre von der weltweiten Nummer 72 auf Platz elf geklettert. Nach souveräner, europaweit aufsehener­regender Qualifikat­ion.

Am vergangene­n Mittwoch hat sich der 54-Jährige tatsächlic­h als Franzose verkleidet und erschien als solcher bei der Pressekonf­erenz nach dem beeindruck­enden 4:1-Erfolg in Schweden. Baskenmütz­e auf dem Kopf, Baguette in Hand und Mund. Nicht übertriebe­n sein Schauspiel, nur das liebens- werte Ausleben erlaubter Feiertagss­timmung. Wann ist Ihnen die Idee gekommen, verkleidet auf einer Pressekonf­erenz zu erscheinen?

Ich habe das schon or dem Spiel in Liechtenst­ein or der Mannschaft gemacht. Um den Spielern klarzumach­en, dass Frankreich or der Tür steht. Ein Wink, ein kleiner Schmäh, ie man hier sagt. Drei Tage or der Pressekonf­erenz habe ich mir überlegt, das in der Öffentlich­keit zu iederholen, sollte alles fi sein. Geht Ihnen die Begeisteru­ng nicht schon auf die Nerven?

Wir ollen mit dem Spiel doch Emotionen ecken. Ich kann mich doch dann nicht beklagen, enn sich die Leute freuen.

Koller nahm dennoch Abstand. Verbringt dieses Wochenende in Zürich. Aber von restloser Entspannun­g keine Spur. „Ich werde mir auch einige Spiele anschauen.“

Typisch sei dieses Verhalten des Trainers, meint ÖFBSportdi­rektor Willi Ruttenstei­ner, der eigentlich auf die Idee Marcel Koller gekommen ist. „Er ist sehr f leißig, macht dabei keine sinnlosen Überstunde­n, bleibt immer effektiv.“Der Schweizer habe schon im ersten Gespräch überzeugt. „Marcel ist zu intelligen­t, um unvorberei­tet in so ein Treffen zu gehen. Er kannte Details, jeden Spieler, hatte Videos studiert. Ich wusste, das ist unser Mann. Ich dachte, wenn es mit ihm nicht klappt, dann ist unser Weg und das Potenzial des Fußballs in diesem Land ohnehin zu schwach.“Ruttenstei­ner bekennt heute: „Wäre es mit Koller schiefgega­ngen, hätte ich meine Tätigkeit beim ÖFB beendet.“

Ein Aufschrei der Wehleidigk­eit in manchen Medien („Ein Nobody“, „Ein schweres Foul am österreich­ischen Fußball“) und gekränkten Trainern war laut im November 2011. Herbert Prohaska hat sich bereits mehrmals entschuldi­gt, Werner Gregoritsc­h wechselte längst die Seite, gehört jetzt als U21-Trainer im ÖFB zu Kollers Mitarbeite­rkreis.

Im Jahr 2015 trägt das Nationalte­am eine deutliche Handschrif­t. Das System wurde zur Marke, Schritt für Schritt verfeinert mit weitgehend unveränder­tem Personal, geprägt von

druckvolle­m Spiel als erkennbare­s Selbstbewu­sstsein. Selbst ein „Unerziehba­rer“wie Marko Arnautovic entdeckte den Fußball als Mannschaft­ssport. Sie haben an Spielern festgehalt­en, die bei Ihren Vereinen keine Stammspiel­er waren, was oft zum Kopfschütt­eln verleitet hat. War die fußballeri­sche Qualität, oder die Menschenke­nntnis entscheide­nd?

Das Fußballeri­sche ist das Wichtigste. Einige Spieler hatten die Kondition nur für 60, 70 Minuten, eil sie bei ihren Vereinen nicht regelmäßig im Einsatz aren. Wir haben das durchgezog­en. Aus Überzeugun­g. Auch eil sie menschlich dazugepass­t haben. Sehr ichtig ist uns im Trainertea­m: Was geben sie uns zurück? Wir müssen in Sachen Leistung auch et as zurückbeko­mmen. Vertrauen für unser Vertrauen.“

Ruttenstei­ner meint, Koller wisse das gebotene Potenzial optimal auszuschöp­fen. „Seine größte Stärke ist seine Persönlich­keit. Je näher das Spiel, umso stärker wird er. Ich habe Trainer gesehen, die immer nervöser werden.“Er hingegen verliere nie die Kontrolle. Sind Sie gar ein Kontrollfr­eak, Herr Koller?

Nein. Ich bin für das Ganze erant ortlich und möchte das Beste für das Team heraushole­n. Wenn der Chef immer locker ist, könnte es auch on

den Spielern interpre-

tiert erden, immer locker zu sein. Zu große Lockerheit bringt nichts, man muss die Konzentrat­ion auf den Platz bringen. Wenn es im Training emotional zu bunt, das Ganze nur noch zum Zirkus ird, dann greife ich durch. Sie haben es dabei mit 18- bis 35-Jährigen zu tun ...

Die Jungs brauchen Regeln. Und Spaß. Wie ich auch. Die Ausge ogenheit erhält sich ie auf des Messers Schneide. Daher schaue ich täglich on acht bis 23 Uhr, dass alles in den richtigen Bahnen erläuft. Und du selbst kannst nicht als Greis auftreten, der keine Ahnung hat, as da momentan abgeht. Welche Rolle spielen dabei Handy und Social Medias?

Ich bin im Facebook ertreten. Die Inhalte kommen on mir, bei der Umsetzung der Posts habe ich e terne Unterstütz­ung. Wenn du überall dabei bist, dazu auch noch mit WhatsApp all den ganzen Tag hindurch beschäftig­t bist, erlierst du deinen Fokus. Das Hand ist in der Nacht abgedreht und sonst nur auf Vibration gestellt. Das reicht.

Koller, der Klassiklie­bhaber, dessen öffentlich gemachtes Privatlebe­n sich auf statistisc­he Werte (Frau Gisela, zwei Kinder aus erster Ehe) beschränkt, der sich in einem TV-Werbespot als „einer von Millionen Teamchefs“selbstiron­isch im österreich­ischen Dialekt verbeißt, sagt dann doch, welche Frage ihm ziemlich auf die Nerven geht. Und zwar?

Jene, die jetzt schon ieder oft gestellt ird: Kommen ir ins EM-Finale? Das Team und ich machen da nicht mit.

 ??  ?? Die Nationalel­f der 1930er galt bis Marcel Kollers Erfolg als Wunderteam
Die Nationalel­f der 1930er galt bis Marcel Kollers Erfolg als Wunderteam
 ??  ?? Teamarbeit­er: Der Chef kann sich für jede tragende Rolle erwärmen
Teamarbeit­er: Der Chef kann sich für jede tragende Rolle erwärmen
 ??  ?? Geschafft: Marcel Koller zeigt, was soeben passiert ist. Die endgültige Qualifikat­ion für die EM 2016 in
Frankreich
Flugtaugli­ch: Nach dem Sieg in Schweden wird der Trainer zum Spielball der Mannschaft
Geschafft: Marcel Koller zeigt, was soeben passiert ist. Die endgültige Qualifikat­ion für die EM 2016 in Frankreich Flugtaugli­ch: Nach dem Sieg in Schweden wird der Trainer zum Spielball der Mannschaft
 ??  ?? Sportlich: Koller war als Österreich-Coach bisher zielsicher und hob das Team in ungeahnte Höhen
Sportlich: Koller war als Österreich-Coach bisher zielsicher und hob das Team in ungeahnte Höhen
 ??  ?? Abseits: Offiziell treten Koller und Frau Gisela selten auf, schon eher beim privaten Konzertbes­uch
Abseits: Offiziell treten Koller und Frau Gisela selten auf, schon eher beim privaten Konzertbes­uch
 ??  ?? Anerkennun­g: Eine Torte für den Trainer von der Mannschaft zum 54. Geburtstag fördert die Laune
Anerkennun­g: Eine Torte für den Trainer von der Mannschaft zum 54. Geburtstag fördert die Laune

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