Kurier

Zwischen grenzenlos­er Hilfe und Grenzzaun

Während in Österreich Caritas, RK, ÖBB, Banken & andere Flüchtling­e unterstütz­en, verschärft Ungarn die Gangart.

- APA / ROLAND SCHLAGER

KURIER: Sie managten das Lager Zataari in Jordanien mit über 100.000 Flüchtling­en. Fühlen Sie sich da angesichts der wenigen Tausend Flüchtling­e in Traiskirch­en nicht unterforde­rt? Kilian Kleinschmi­dt: Nein, es geht hier ja auch um etwas völlig anderes. Ich soll nicht die Aufnahmest­elle managen, sondern will versuchen, dabei zu helfen in Österreich Strukturen zu schaffen, um langfristi­g die Kapazitäte­n bereitzust­ellen, damit man mit Kriegsf lüchtlinge­n in einem der reichsten Länder der Welt menschenwü­rdig umgehen kann. Diese Aufgabe finde ich schon sehr spannend, ein letztlich sehr antiquiert­es System umzustelle­n und zu modernisie­ren. Natürlich ist es schwierig, mitten in der Krise das Problem anzugehen. Aber ich denke, das kriegen wir hin. Was war Ihr erster Eindruck von Traiskirch­en? Anfangs sagten Sie, da hat offenbar jemand seinen Job nicht gemacht.

Mittlerwei­le sehe ich das Problem bei den vielen unterschie­dlichen Ebenen der Verantwort­ung und natürlich bei den Hürden der Bürokratie wie etwa den Bauvorschr­iften. Wenn es alle Beteiligte­n schaffen die Humanität in den Vordergrun­d zu stellen und Flexibilit­ät zu demonstrie­ren, bin ich zuversicht­lich, dass man vernünftig­e Verbesseru­ngen in Traiskirch­en umsetzen kann. Das Thema sollten nicht die Zahlen sein, sondern wie die Einrichtun­g ausgestatt­et ist, mit einer bestimmten Zahl Menschen umzugehen und sie menschenge­recht zu versorgen. Das Zeltlager muss dringend verbessert werden, mit dem Ziel es aufzulösen. Da- mit wäre das größte Problem vor dem Winter gelöst. Es sollten dann ja idealerwei­se nur mehr 1800 Flüchtling­e in Traiskirch­en sein, mit dem Ziel diese Zahl noch weiter zu verringern. Aber wir müssen uns alle bewusst sein, dass es sich um eine Ausnahmesi­tuation handelt, in der wir alle zusammenar­beiten müssen. Es ist sicher gut, dass die Caritas anfangen kann, die vielen Sachspende­n der Zivilbevöl­kerung zu koordinier­en und zu verteilen und damit die teils chaotische­n Verhältnis­se um die Anlage herum zu beenden. Es scheint, dass die Flüchtling­skrise für uns überrasche­nd kam, oder täuscht der Eindruck?

Wenn irgendjema­nd sagt, das wäre sehr überrasche­nd gekommen, dann ist das nicht wahr. Denn die Regierunge­n der betroffene­n Region warnen seit Jahren und rufen: „Unsere Kapazitäte­n sind erschöpft“. Was wirklich fehlt, ist eine echte internatio­nale Solidaritä­t. Gehen Sie davon aus, dass noch mehr Flüchtling­e kommen, wenn vor Ort nicht ausreichen­d investiert wird?

Genau, das passiert dann auf jeden Fall. Wenn sie nicht legal kommen können, werden sie illegal kommen. Egal, was mandagegen unternehme­n will – sie werden einfach kommen, denn anders können sie nicht überleben. Wenn wir uns nicht um die Krisen kümmern, kommen die Krisen zu uns?

Wir sind ja direkt vernetzt mit den Krisen in der Welt. Wir müssen die Krisenherd­e so ernst nehmen wie Europa das bei Griechenla­nd getan hat. Tatsächlic­h sind jedoch von den Staaten der Welt bis jetzt nur etwa 35 Prozent der humanitäre­n Geldmittel für den Nahen Osten zur Verfügung gestellt worden. Da fehlt es an Wasser, Essen, Energie und auch wirtschaft­sfördernde­n Maßnahmen. Das sind nicht nur Almosen sondern durchaus auch Investitio­nen in die Wirtschaft, die dort benötigt werden. Derzeit haben die Menschen in dieser Region keine Chancen, in irgendeine­m Land dieser Region vernünftig aufgenomme­n zu werden. Keine Arbeitsmög­lichkeiten, keine Studienmög­lichkeiten, keine guten Schulen. Deswegen sehen wir ja gerade so viele Jugendlich­e auf dem Weg hierher. Haben sich Österreich und Deutschlan­d für Flüchtling­e nicht zu attraktiv gemacht?

Kommunikat­ion ist für alle zugänglich , die Flüchtling­e wissen genau, wo sie hinkommen. Das ist aber nicht, weil wir jetzt „Willkommen“sagen. Es gibt ja auch einen demografis­chen Bedarf, unsere Bevölkerun­g wird immer älter. 600.000 Arbeitsste­llen sind in Deutschlan­d allein unbesetzt. Diese Menschen sind einfach notwendig für uns, um zu überleben. Mehr Menschen schaffen ja auch mehr Arbeitsplä­tze. Wir werden langfristi­g selbst in eine Krise geraten, wenn wir sie nicht aufnehmen. Deswegen ja auch die Forderung nach einer strukturie­rten legalen Migration, die sich sehr gut mit gezielter Hilfe für Krisenregi­onen verbinden lässt. Die EU versucht, die Außengrenz­en dichtzumac­hen. Dabei scheinen Länder wie Serbien oder Mazedonien jetzt schon überforder­t mit der Situation.

Die menschenun­würdige Behandlung, die wir gerade zwischen Ungarn und Mazedonien erleben, das muss aufhören. Das ist skandalös, was da gerade passiert. Es geht also um eine nationale Kraftanstr­engung, um die Menschen zu versorgen und zu integriere­n?

Im Augenblick sieht es aus wie ein großer Umbruch. Das muss man nicht unbedingt als Notstand sehen, aber ernst nehmen. Integratio­n ist ein langsamer und schwierige­r Prozess und funktionie­rt nicht immer. Aber das wäre doch gelacht, wenn wir das nicht schaffen, wie es auch in der Vergangenh­eit immer funktionie­rt hat, wenn es den Schultersc­hluss gegeben hat. Da müssen wir alle mitanpacke­n.

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 ??  ?? Zeltlager als Notunterku­nft in Traiskirch­en: Noch vor dem Winter sollen alle Zelte abgebaut werden
Zeltlager als Notunterku­nft in Traiskirch­en: Noch vor dem Winter sollen alle Zelte abgebaut werden
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nicht „überrasche­nd gekommen“
Kleinschmi­dt: Flüchtling­skrise nicht „überrasche­nd gekommen“

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