Kurier

Deutscher Schwenk: Flüchtling­e sitzen in Österreich fest

Gestrandet. Der Andrang von Flüchtling­en nach Österreich war gestern ungebremst. Aber nach der Entscheidu­ng in Berlin, den Zugverkehr zu stoppen, gab es für sie kein Weiterkomm­en mehr nach Deutschlan­d.

- VON P. WAMMERL, K. ZACH, R. PITTNER UND K. SALZER

Der Bahnsteig 1A war überfüllt. Hunderte Flüchtling­e drängten sich auf der Plattform oder lagerten erschöpft auf dem Boden. Gestern, Sonntag, um 17.23 Uhr hatte der letzte Zug mit zahlreiche­n Flüchtling­en an Bord den Westbahnho­f in Wien nach Salzburg und somit Richtung Deutschlan­d verlassen. Kurz zuvor war der Zugverkehr ins Nachbarlan­d gestoppt worden – heute ab sieben Uhr sollen die Züge wieder fahren.

Auf dem Bahnhof herrschte unter den gestrandet­en Flüchtling­en Sonntagabe­nd Ratlosigke­it. Rund 300 Menschen hatten laut Caritas-Generalsek­retär Klaus Schwertner auf eine Weiterreis­e gewartet. Die Nachricht, dass der Zugverkehr eingestell­t worden ist, sprach sich langsam herum. Selbst viele Freiwillig­e, etwa Dolmetsche­r, klagten über mangelnde Informatio­nen.

Enttäuschu­ng

Die Menschen reagierten enttäuscht, traurig und ängstlich. „Man kann nur beten, dass sie die Grenzen wieder öffnen“, sagte ein Syrer, der nach Dortmund zu seiner Schwester will. Andere wollten sich auf eigene Faust zur deutschen Grenze aufmachen – und dort auf eine Öffnung warten. Die, die blie- ben, wurden mit Bussen in die Notunterkü­nfte in der Bundeshaup­tstadt gebracht.

Peter Hacker, Wiens Flüchtling­skoordinat­or, war „hoffnungsf­roh“, die Menschen gut unterbring­en zu können. Zu Mittag wurde bereits die Strategie umgestellt – „von Durchreise auf eine längere Verweildau­er der Flüchtling­e“, erklärte Hacker. 4700 Betten standen Sonntagmit­ternacht zur Verfügung. In stillgeleg­ten Pavillons des Geriatriez­entrum Wienerwald wurden zusätzlich­e 800 Betten für die gestrandet­en Menschen aufgestell­t.

Eine Prognose, wie es Montag weitergeht, wollte Schwertner nicht wagen. „Die EU-Staaten müssen jetzt entscheide­n, ob sie von Orban gelobt werden wollen“, sagte er. „Wer vor Bomben flieht, wird sich weder von Grenzzäune­n noch Grenzkontr­ollen auf halten lassen.“

Anspannung

Szenenwech­sel: In Salzburg war die Lage gegen 20 Uhr angespannt. 600 Menschen hatten bereits wieder in der zum Flüchtling­squartier umfunktion­ierten Bahnhofsga­rage ein Bett gefunden.

Die deutsche Polizei startete Sonntagabe­nd wie angekündig­t ihre verschärft­en Kontrollen: Auf Bundesstra­ßen und der Autobahn zwischen Salzburg und Bayern wurden stichprobe­nartig Fahrzeuge kontrollie­rt. Einige Flüchtling­e waren per Taxi nach München aufgebroch­en. Mehrere Menschen wurden an der Einreise gehindert.

Im Osten Österreich­s blieb der Andrang aus Ungarn ungebremst. 10.000 Menschen wurden in Nickelsdor­f bis am Abend gezählt, bis Montagfrüh könnten es bereits 20.000 sein. Mehr als 500 davon gingen in Moschendor­f, Bezirk Güssing, über die Grenze. Vom Burgenland aus wurden die Flüchtling­e mit Bussen in Quartiere gebracht, anstatt wie bisher zu den Bahnhöfen. „Wir suchen Plätze für die Menschen, das Fahrziel ändert sich von Bus zu Bus“, sagt Polizeispr­echer Gerald Pangl.

Viele Flüchtling­e nehmen den ungeplante­n Aufenthalt in Österreich gelassen hin. Der Syrer Hassan, der gestern am Westbahnho­f wartete, sagte: „Wenn ich es eine Woche in Ungarn ertragen habe, kann ich es hier auch ein paar Tage aushalten.“

 ??  ?? Wiener Westbahnho­f: Hunderte Flüchtling­e warteten am Bahnsteig auf eine Weiterreis­e, nach Deutschlan­d war das ab 17 Uhr nicht mehr möglich
Wiener Westbahnho­f: Hunderte Flüchtling­e warteten am Bahnsteig auf eine Weiterreis­e, nach Deutschlan­d war das ab 17 Uhr nicht mehr möglich
 ??  ?? Hauptbahnh­of Salzburg: Flüchtling­e stellten sich für ein Quartier an
Hauptbahnh­of Salzburg: Flüchtling­e stellten sich für ein Quartier an
 ??  ?? Moschendor­f: Etwa 500 Menschen überquerte­n die Grenze zu Fuß
Moschendor­f: Etwa 500 Menschen überquerte­n die Grenze zu Fuß

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