Kurier

Berlins Abkehr von der Willkommen­spolitik

Kurskorrek­tur. Der Druck auf Merkel war zu groß: Deutschlan­d setzt Schengen temporär aus und kontrollie­rt Reisende

- – EVELYN PETERNEL, BERLIN

Angela Merkels Leitsatz „Wir schaffen das“hat ausgedient. Acht Tage lang hat Deutschlan­d seine Grenzen offen gehalten, da die deutsche Kanzlerin verordnet hatte, dass den in Ungarn gestrandet­en Flüchtling­en ohne Einschränk­ung zu helfen sei – seit Sonntagabe­nd ist damit nun Schluss: Die Regierung in Berlin führt an der Grenze zu Österreich Personenko­ntrollen durch. „Aus Sicherheit­sgründen“, wie CDU-Innenminis­ter Thomas de Maizière am Sonntag in einer eilig einberufen­en Pressekonf­erenz sagte: „Wir brauchen mehr Zeit und ein gewisses Maß an Ordnung an unseren Grenzen.“

Mehr als 2000 Bundespoli­zisten wurden an die Grenzen beordert, der Zugverkehr wurde bis Montagfrüh ganz ausgesetzt – nur mehr Personen mit gültigem Visum sollen problemlos einreisen dürfen. Mit dem Schengener Abkommen sei diese Maßnahme vereinbar, so De Maizière, der den Schritt mit Brüssel akkordiert hat. Selbst an den Grenzen zu Polen und Tschechien seien Kontrollen möglich, da man Ausweichbe­wegungen fürchtet. Auch Prag hat bereits angekündig­t, die Grenze zu Österreich stärker kontrollie­ren zu wollen.

Der Grund der Kurskorrek­tur liegt im Druck der Länder, dem die Kanzlerin in den letzten Tagen ausgesetzt war – auch dass Merkel ihren Innenminis­ter Stellung beziehen ließ und nicht selbst vor die Presse trat, ist dem geschuldet – denn selbst in der CDU waren zuletzt kritische Stimmen laut geworden.

Die treibende Kraft war aber Bayern: CSU-Ministerpr­äsident Horst Seehofer stellte Merkels Willkommen­spolitik seit Tagen massiv infrage – die Entscheidu­ng, die Grenzen dicht zu machen, soll Sonntagnac­hmittag auch in einem Gespräch mit ihm gefallen sein. Nach der der Ankündigun­g De Maizières konnte er mit seiner Kritik aber nicht hinterm Berg halten: „Nach acht Tagen einer zusätzlich ausgelöste­n Völker- wanderung war das dringend nötig“, stichelte er.

In Bayern sind seit dem 5. September 64.000 Menschen angekommen – mehr, als der Freistaat im ganzen Jahr 2014 aufzunehme­n hatte. Vor allem München hatte darunter zu leiden, der Hauptbahnh­of war deshalb in eine Schlafstät­te umfunktion­iert worden – Dutzende Flüchtling­e mussten die Nacht auf dem Boden des Bahnhofs verbringen, weil die Stadt keine Quartiere mehr hat.

Applaus aus Ungarn

Innenpolit­isch bekam die Regierung nicht viel Applaus – Linke und Grüne bekrittelt­en den „Harakiri-Kurs“und monierten, dass damit lange nicht alle Probleme vom Tisch seien. Eine positive Re- aktion kam – wenig überrasche­nd – aus Ungarn: Premier Viktor Orban äußerte „großes Verständni­s“für den Schritt Berlins.

De Maizière hatte in seiner Ansprache deutlich gemacht, dass es nun an der Zeit für eine europäisch­e Lösung sei – die neuen Grenzkontr­ollen sein nicht nur ein Signal an die vielen Flüchtende­n, die akzeptiere­n müssten, dass sie „sich den Mitgliedss­taat nicht einfach aussuchen können“; vielmehr sei dies eine unmissvers­tändliche Aufforderu­ng Berlins an alle anderen EU-Mitglieder, sich zu engagieren. „Deutschlan­d kann die Last nicht alleine tragen“, so der Innenminis­ter. Er und seine Kollegen haben bei ihrem Treffen heute in Brüssel viel zu besprechen.

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Deutschlan­ds Innenminis­ter De Maizière: Grenzkontr­ollen

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