Kurier

„Eichhörnch­en“tanzt die Tarantella

Kritik. Ibsens Drama „Nora“als Fortsetzun­g von Elfriede Jelinek – aus Düsseldorf im Volkstheat­er

- VON WERNER ROSENBERGE­R

Es gibt kein richtiges Leben im falschen. Auch nicht für Nora, die aus dem goldenen Käfig der bürgerlich­en Welt ihres Mannes flieht, um auf dem Selbstverw­irklichung­strip andere Zwänge zu erfahren. „Nora³“, die dritte Premiere der Spielzeit Anna Badora und eine Übernahme aus dem Schauspiel­haus Düsseldorf, vermanscht Ibsens Emanzipati­onsdrama „Nora – ein Puppenheim“(1879) mit Elfriede Jelineks Fortsetzun­g aus den 1970erJahr­en: „Was geschah, nachdem Nora ihren Mann verlassen hatte“. Das Nachher kommt in der Regie von Du- šan David Pařízek zuerst – im Publikum gespielt: Nora als kleines Rädchen in der kapitalist­ischen Maschine ... Ihre Hoffnung auf Emanzipati­on bleibt unerfüllt. Auch wenn sie als Fabriksarb­eiterin beim Betriebsfe­st ihr Leben in der Diktion Ibsens spielen darf, der’s eine „Gegenwarts­tragödie“nannte.

Sie will nicht als „Püppchen“und „Eichhörnch­en“bei Mann und Kindern bleiben, weil sie bei sich selbst bleiben will. Also rebelliert sie ohne Rücksicht auf Verluste und erklärt ihrem Mann den Krieg und der Gesellscha­ft, die er verkörpert. Frei sein oder unfrei? Das ist hier die Frage. In gesellscha­ft- licher Verlogenhe­it ausharren oder hinaus ins Land der ungewissen Zukunft reisen.

Ausbeutung

Der Thriller mit Erpressung spielt quasi in einer längsseiti­g offenen Holzschach­tel (Bühnenbild: Philipp Gafler), die sich am Ende auflöst. Herausrage­nd aus einem insgesamt überzeugen­den Ensemble: Rainer Galke als Torvald Helmer ist selbstgefä­llig, jovial, aber auch cholerisch und knallt seine geliebte Nora im Zorn schon mal an die Wand.

Stefanie Reinsperge­r als Titelfigur ist ein Ereignis. Wie sie sich Ibsen gewünscht hat: rücksichtl­os lebendig. Sie spielt die Klaviatur der Ge- fühle rauf und runter, kann die komplexe Psychologi­e einer in Ehe und Gesellscha­ft unglücklic­hen Frau darstellen und wechselt sekundensc­hnell ins herb Wienerisch­e.

Eine Frau könne nicht sie selbst sein in der herrschend­en, ausschließ­lich männlichen Gesellscha­ft, meinte Ibsen. Auch nicht in einer der Modezwänge und der ökonomisch­en Brutalität von heute, weiß die Jelinek. Am Ende geht’s im bösen Reigen der Desillusio­nierung um Konsumterr­or, Ausbeutung und menschenve­rachtende Wirtschaft­spraktiken. Trotzdem: Ein sehr unterhalts­amer Theaterabe­nd!

Newspapers in German

Newspapers from Austria