Politik & Schnauzbart-Austropop
Schauspielhaus Graz. „Grenzgänge“zum Eröffnungswochenende versprechen viel für die kommende Spielzeit
Die Neue würde es schwer haben, war sich die Theaterwelt einig. Die aus Köln gebürtige Dramaturgin Iris Laufenberg hat nach Anna Badoras Wechsel ans Wiener Volkstheater das Grazer Schauspielhaus übernommen – und nach dem Eröffnungsreigen am Wochenende darf man festhalten: Man wird hier öfters herkommen.
Laufenberg, 49, hat einen überzeugenden Start hingelegt. Zuletzt Schauspieldirektorin am Konzert Theater Bern, zeigte sie den Grazern bei der ersten Premiere am Samstag, worauf diese sich in den kommenden Jahren einstellen dürfen: Junges, spritziges, zeitgemäßes Theater. Das Spaß machen darf, bei Bedarf aber auch unbequem sein muss.
Keine Ironie
Politisches Theater! Ganz unironisch! Gott sei Dank ist die Zeit des Ironiegebots der Nullerjahre vorbei: Dass Theater was zu sagen haben darf und soll, ist hier unübersehbar. Anders geht es jetzt auch gar nicht mehr. Die Zukunft Europas, die Flüchtlingsfrage, die Rechtspopulisten, die uns überrollen. All das ist Thema der Kurzstücke, die im Lauf des Eröffnungswochenendes in diversen Parcours gezeigt wurden.
Motto des Auftaktfestes: „Grenzgänge“. Im und ums Haus herum folgten die Zuschauer bunt ausgeschilderten Routen, begleitet von Mitarbeitern mit „Flüchtlingshelfer“-Leiberln. Straff organisiert und streng abgezählt in Gruppen (was okay geht, schließlich galt es, einen Zeitplan einzuhalten), wurde durchs Stationentheater geleitet, nach den ersten Stücken gab’s Jause.
Zu sehen waren für jede Gruppe vier Stücke zu je rund 15 Minuten. Allesamt Uraufführungen, extra für den Anlass geschrieben von 14 Dramatikern, denen man im Lauf der kommenden Spielzeit begegnen wird. Unter anderem von Grazer Autoren wie Ferdinand Schmalz oder Clemens J. Setz; dem am Wiener Schauspielhaus groß gewordenen Stückeschreiber Thomas Arzt, internationalen Namen aus Deutschland oder den Niederlanden und – Peter Turrini.
Bei vielen dieser Kurzstücke dachte man sich: schade, dass das nur einmalig sein soll. Äußerst gelungen etwa der Auftakt der Route „Orange“: „Mínima Alma Mía – Meine kleine Seele“des argentinischen Dramatikers Emilio García Wehbi. Unter der Regie von Jérôme Junod gab Benedikt Greiner den Jason im Dialog mit seinem Schaf(fell). Komisch, traurig, relevant. Ein starker Kommentar zur Lage der Welt.
Minidramen
Zum Abschluss des von Nina Gühlstorff konzipierten Premieren-Parcours, dessen Minidramen- und HöhepunkteIdee ein wenig an den SaisonAbschluss 2015 im Wiener Schauspielhaus sowie im Volkstheater erinnerte, stellten sich Ensemble und regelmäßige Gäste dem Publikum vor: Jeder hatte eine Minute, um sich, sein Vorhaben oder seine besonderen Talente unter Beweis zu stellen. Das hatte etwas von buntem Abend im Urlaubs-Club, freilich mit mehr Talent. Viele wollten komisch sein, etliche waren es tatsächlich. Und – auch wenn man es vielleicht nie wieder sehen wird – es ist doch fein zu wissen, dass manche Schauspieler hier zaubern oder rückwärts sprechen können. Besonders erfreulich war’s, bekannte Gesichter wie Gideon Maoz, den man vom Wiener Schauspielhaus kennt, wiederzusehen.
Selbst hier hat man die politische Message nicht ausgelassen. „Refugees Welcome“, sprachen Künstler und Publikum artig im Chor. Wenig später folgte eine glücklicherweise entfremdete Version des steirischen Welt-Hits „Life is live“von Opus. Ganz ohne Ironie kam man also doch nicht aus. Aber wer weiß, wie viele der blutjungen, aus Deutschland oder der Schweiz stammenden Schauspieler hier sich tatsächlich an die Schnauzbärte des 80er-Jahre-Austropop erinnern können.