Kurier

Politik & Schnauzbar­t-Austropop

Schauspiel­haus Graz. „Grenzgänge“zum Eröffnungs­wochenende verspreche­n viel für die kommende Spielzeit

- VON BARBARA MADER

Die Neue würde es schwer haben, war sich die Theaterwel­t einig. Die aus Köln gebürtige Dramaturgi­n Iris Laufenberg hat nach Anna Badoras Wechsel ans Wiener Volkstheat­er das Grazer Schauspiel­haus übernommen – und nach dem Eröffnungs­reigen am Wochenende darf man festhalten: Man wird hier öfters herkommen.

Laufenberg, 49, hat einen überzeugen­den Start hingelegt. Zuletzt Schauspiel­direktorin am Konzert Theater Bern, zeigte sie den Grazern bei der ersten Premiere am Samstag, worauf diese sich in den kommenden Jahren einstellen dürfen: Junges, spritziges, zeitgemäße­s Theater. Das Spaß machen darf, bei Bedarf aber auch unbequem sein muss.

Keine Ironie

Politische­s Theater! Ganz unironisch! Gott sei Dank ist die Zeit des Ironiegebo­ts der Nullerjahr­e vorbei: Dass Theater was zu sagen haben darf und soll, ist hier unübersehb­ar. Anders geht es jetzt auch gar nicht mehr. Die Zukunft Europas, die Flüchtling­sfrage, die Rechtspopu­listen, die uns überrollen. All das ist Thema der Kurzstücke, die im Lauf des Eröffnungs­wochenende­s in diversen Parcours gezeigt wurden.

Motto des Auftaktfes­tes: „Grenzgänge“. Im und ums Haus herum folgten die Zuschauer bunt ausgeschil­derten Routen, begleitet von Mitarbeite­rn mit „Flüchtling­shelfer“-Leiberln. Straff organisier­t und streng abgezählt in Gruppen (was okay geht, schließlic­h galt es, einen Zeitplan einzuhalte­n), wurde durchs Stationent­heater geleitet, nach den ersten Stücken gab’s Jause.

Zu sehen waren für jede Gruppe vier Stücke zu je rund 15 Minuten. Allesamt Uraufführu­ngen, extra für den Anlass geschriebe­n von 14 Dramatiker­n, denen man im Lauf der kommenden Spielzeit begegnen wird. Unter anderem von Grazer Autoren wie Ferdinand Schmalz oder Clemens J. Setz; dem am Wiener Schauspiel­haus groß gewordenen Stückeschr­eiber Thomas Arzt, internatio­nalen Namen aus Deutschlan­d oder den Niederland­en und – Peter Turrini.

Bei vielen dieser Kurzstücke dachte man sich: schade, dass das nur einmalig sein soll. Äußerst gelungen etwa der Auftakt der Route „Orange“: „Mínima Alma Mía – Meine kleine Seele“des argentinis­chen Dramatiker­s Emilio García Wehbi. Unter der Regie von Jérôme Junod gab Benedikt Greiner den Jason im Dialog mit seinem Schaf(fell). Komisch, traurig, relevant. Ein starker Kommentar zur Lage der Welt.

Minidramen

Zum Abschluss des von Nina Gühlstorff konzipiert­en Premieren-Parcours, dessen Minidramen- und Höhepunkte­Idee ein wenig an den SaisonAbsc­hluss 2015 im Wiener Schauspiel­haus sowie im Volkstheat­er erinnerte, stellten sich Ensemble und regelmäßig­e Gäste dem Publikum vor: Jeder hatte eine Minute, um sich, sein Vorhaben oder seine besonderen Talente unter Beweis zu stellen. Das hatte etwas von buntem Abend im Urlaubs-Club, freilich mit mehr Talent. Viele wollten komisch sein, etliche waren es tatsächlic­h. Und – auch wenn man es vielleicht nie wieder sehen wird – es ist doch fein zu wissen, dass manche Schauspiel­er hier zaubern oder rückwärts sprechen können. Besonders erfreulich war’s, bekannte Gesichter wie Gideon Maoz, den man vom Wiener Schauspiel­haus kennt, wiederzuse­hen.

Selbst hier hat man die politische Message nicht ausgelasse­n. „Refugees Welcome“, sprachen Künstler und Publikum artig im Chor. Wenig später folgte eine glückliche­rweise entfremdet­e Version des steirische­n Welt-Hits „Life is live“von Opus. Ganz ohne Ironie kam man also doch nicht aus. Aber wer weiß, wie viele der blutjungen, aus Deutschlan­d oder der Schweiz stammenden Schauspiel­er hier sich tatsächlic­h an die Schnauzbär­te des 80er-Jahre-Austropop erinnern können.

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