Böses Erwachen nach 45 Jahren
„45 Years“. Charlotte Rampling und Tom Courtenay über lange Liebe, Geheimnisse und das Altwerden
Charlotte Rampling spielt im Kinofilm „45 Years“eine Frau, die entdeckt, dass ihr Mann ein Geheimnis hat.
Sie mag das grelle Licht im Zimmer des Hoxton-Hotels nicht. „Gott, wie furchtbar! So sollen Sie mich nicht sehen“, sagt Charlotte Rampling und fordert einen Betreuer auf, das Licht zu dimmen. Erst dann entspannt sie sich: eine schlanke Frau mit viel Ausstrahlung und Intelligenz in den Augen.
Keine Schönheits-OPs, darauf ist sie stolz. Hat es auch nicht nötig: Rampling, das It-Girl der 1960er-Jahre, sieht auch mit 69 großartig aus. Die Britin, die seit ihrer (längst geschiedenen) Ehe mit dem Musiker Jean Michel Jarre in Paris lebt, hat auf der heurigen Berlinale ein fulminantes Comeback gefeiert. In „45 Years“(Kinostart: 18. 9.) spielt sie eine Ehefrau, die rundum zufrieden ist, bis sie – knapp vor dem 45. Hochzeitstag – erkennen muss, dass sie den Mann an ihrer Seite nicht wirklich kennt. Ein Brief aus der Schweiz trifft im englischen Landsitz ein und offenbart ein Geheimnis aus Geoffs Vergangenheit: Die Leiche einer Frau, von Geoffs Jugendliebe Katya, wurde in den Alpen entdeckt. Schnell wird klar, dass sie ihm mehr bedeutete als eine f lüchtige Affäre.
Das zweite Leben
„Man weiß nie alles von einem Menschen“, so Rampling, „und das ist auch gut so. Man will ja nicht alles wissen. Was machst du, wenn du nach 30, 40 Jahren herausfindest, dass dein Partner ein zweites Leben neben dir hatte? Dich trennen, alles über Bord werfen?“Für Kate im Film sei Alleinsein jedenfalls keine Option: „Sie braucht Zeit, die Situation durchzudenken, ihre Gefühle zu ordnen. Irgendwie liebt sie Geoff immer noch: Die Komplizin, die mit ihm durch die Jahre gegangen ist.“
Gibt es die ewige Liebe? – Rampling muss lachen: „Jaja, die Gretchenfrage! Leider weiß ich auch nicht, wie man es 45 Jahre miteinander aushält und immer noch glücklich ist. Ich habe es nicht geschafft. Eine Beziehung ist eine permanente Entwicklungsgeschichte. Damit sie hält, braucht man schon eine große Verbundenheit“.
Nach einer Phase in den Neunzigern, wo es einigermaßen ruhig um sie geworden war, traf Charlotte Rampling auf den jungen französischen Regisseur François Ozon, der sie als Hauptdarstellerin in seinem Beziehungsdrama „Unter dem Sand“besetzte und dann gleich noch in seinem nächs- ten Film, „Swimmingpool“. Rampling weiß, was sie an Ozon hatte: „Er war sehr wichtig für mich. Nicht nur für meine Karriere im fortgeschrittenen Alter, sondern auch, weil François für diese geistreiche und gedankenvolle Art des Filmemachens steht, die ich so schätze. Er seziert mit Wonne die innere Zerrissenheit, die Tiefe der Menschen. Mit ,Sous le sable‘ und ,Swimmingpool‘ habe ich eine Reise gestartet, die bis heute andauert. Der investigative Ansatz, einen Menschen zu zeigen, ist auch in ,45 Years‘ sehr präsent.“
Auf Ruhm gepfiffen
Tom Courtenay, in Großbritannien eine Filmlegende, gesellt sich zum Gespräch dazu. Der Mann, der mit seiner Rolle als Pasha in „Doktor Schiwago“einst zu Weltruhm gelangte, ist bescheiden, gewitzt und pfeift im übrigen auf seinen „Schiwago“Ruhm: „Mir war dieses ganze Tamtam schon bei den Dreharbeiten lästig. Wir saßen die meiste Zeit nur dumm herum und warteten, dass das Wetter für David ( Lean, den
Regisseur, Anm.) passte. Tag für Tag, schrecklich!“
Als Konsequenz zog sich Courtenay jahrelang vom Film zurück, spielte nur am Theater: „Ich war desillusioniert“. Kehrte dann doch wieder zum Film zurück, spielte zuletzt in einer TV-Serie. Dass „45 Years“das Dabeisein lohnt, war ihm sofort klar, als er das Script von Regisseur Andrew Haigh zugeschickt bekam: „Selten so etwas Gutes gelesen.“Dass er und Rampling dann in Berlin mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet wurden, freute ihn sehr: „Ein außerordentlicher Moment. Mein letzter Preis, die Coppa Volpi in Venedig für „King and Country“, liegt ja schon 50 Jahre zurück“.