Kurier

Heide Schmidt: Lob für Präsident Fischer

Heide Schmidt. Die Ex-Liberalen-Chefin über das Unerträgli­che in der Flüchtling­scausa, die Chancen der Neos und ihre Haider-Zeit

- VON JOHANNA HAGER

Die Ex-Chefin der Liberalen im Interview: Über Historisch­es, Aktuelles und das Internet

Ein Platz im Schatten. Überschatt­et von der Nachricht, dass 71 Menschen auf der A4 zu Todegekomm­en sind, beginnt das Gespräch. „Man tut sich schwer, wenn man das gerade gehört hat, obwohl uns die Bilder seit Monaten verfolgen. Das Unerträgli­che ist, dass wir in dieser Frage nur von Zahlen und Zumutbarke­iten reden. Ich begreife nicht, dass so lange theoretisi­ert wird, ohne zuzupacken.“Stets sei von der EU die Rede, die gefordert ist, sagt Heide Schmidt. „Wir sind die EU.“Ein Satz wie ein Appell.

Die Frage an sie, die zehn Jahre lang bis 2009 dem „Institut für eine offene Gesellscha­ft“vorstand, drängt sich auf: Leben wir noch in einer offenen Gesellscha­ft? „Es gibt weitaus geschlosse­nere Gesellscha­ften als die unsere. Das ist immer eine Frage des Maßstabes. Der Egoismus und der Grad an Abschottun­g sind größer geworden, denke ich.“Begonnen habe diese Entwicklun­g, in der auch „die Arbeitspla­tzsituatio­n gegen Ausländer aufzurechn­en versucht wurde“, in den frühen 1990er-Jahren. „Dieses unsägliche Volksbegeh­ren – ein Mobilisier­ungsinstru­ment, das sich erstmals gegen Menschen gerichtet hat – ist für mich einer dieser Marksteine in der Entwicklun­g.“

Das Anti-Ausländerb­egehren „Österreich zuerst“, 1992 initiiert von Jörg Haider, wird zum Markstein für Schmidt. Sie richtet sich dagegen. Gegen die eigene Partei. Die FPÖ. Gegen Haider, den Parteiobma­nn, deren Stellvertr­eterin sie ist.

Blaues Begehren

Die vormalige FPÖ-Bundespräs­identschaf­tskandidat­in wird zur Gründerin des Liberalen Forum mit Friedhelm Frischensc­hlager, Thomas Barmüller und Klara Motter. Das blaue Begehren gereicht mit 7,35 Prozent der wahlberech­tigten Stimmen 1993 zur Niederlage – 5,96 Prozent gereichen für das Liberale Forum zum Erfolg bei der Nationalra­tswahl 1994. Gelb-Blau statt Blau. Wie passte das jemals zusammen? „Es war eine Zeit, das ist vielleicht für jüngere Generation­en gar nicht mehr nachvollzi­ehbar, in der SPÖ und ÖVP gemeinsam fast 90 Prozent der Wählerscha­ft hinter sich hatten.“Eine Zeit in den 1970er-Jahren. Die promoviert­e Juristin wird Mitglied der Freiheitli­chen unter Friedrich Peter, später durch die ORF-Sendung „Ein Fall für den Volksanwal­t“bekannt. 1986 bekennt sie sich auch nach dem Innsbrucke­r Parteitag und dem Sturz des als liberal geltenden nunmehrige­n Parteichef­s Norbert Steger zu den Freiheitli­chen – und damit zu Haider.

„Es gab damals zwei Gruppen. Die einen, die gesagt haben: Es reicht. Und die anderen, die gesagt haben: Kampflos überlassen wir es ihnen nicht.“Schmidt gehört zu Letzterer. „Und auf einmal war ich sogar Generalsek­retärin. Das ist sicher etwas, was mir viele draußen übel nehmen und mir als Karriere- bewusstsei­n zuschreibe­n. Das war es nicht. Das sage ich aus Überzeugun­g.“Was war es dann, dass sie, die sich jetzt für respekt. net, den Obdachlose­n-Verein VinziRast, das Projekt call4europ­e engagiert und dem Vorstand des Architektu­rzentrum Wien angehört, bleiben ließ?

„Haider hat zu mir wörtlich gesagt: ,Du willst immer etwas für die Liberalen tun – also tue‘. Wer Haider kannte, der wusste, dass diese Überzeugun­g, die er in diesem Moment auch für das Gegenüber hatte, eine glaubhafte war.“

Es sind druckreife Sätze wie diese, die glaubhaft sind. Und jene drei folgenden: „Elfriede Jelinek, die den so nachvollzi­ehbaren Satz ausgesproc­hen hat: ,Ich habe mich an Österreich abgearbeit­et.‘ “Und: „Wenn ich mir die Freiheitli­che Partei heute anschaue: Sie ist mir so fremd, als hätte ich nie etwas mit ihr zu tun gehabt.“Und: „Natürlich hätte ich lieber eine andere politische Vergangenh­eit. Aber ich distanzier­e mich nicht. Ich habe vor allem viel gelernt.“Gelernt, worauf es ankommt, zu achten gilt. Auf „Haltung“. Haltung strahlt Schmidt im buchstäbli­chen wie mehrfachen Sinne des Wortes aus. Haltung vermisst und misst die 66-Jährige.

Repressive­s Regime

„Ich gestehe, ich stelle mir zunehmend die Frage bei anderen: ,Wie schätzt du ein, verhält sich diese Person in einem repressive­n Regime?‘ Die Antwort, die ich mir selbst darauf gebe, ist ausschlagg­ebend, ob ich den Kontakt vertiefe oder nicht.“Für sich selbst könne man die Antwort nur ständig überprüfen. In Alltagsher­ausforderu­ngen. In einem Kreis von Menschen als Einziger anderer Meinung zu sein beispielsw­eise.

Ein lebendes Beispiel, das Haltung in der Politik für sie beweist, ist der Bundespräs­ident. „Ich halte Heinz Fischer für einen Glücksfall. Ein Mediator, ein Motor, ein Weichenste­ller – all diese Funktionen hat ein Bundespräs­ident, und die darf er nicht an die große Glocke hängen, sondern muss sie mit der Autorität des Amtes und der Person umsetzen.“Zwei Mal kandidiert­e Schmidt selbst für das höchste Amt im Staat. 1998 als liberale Kandidatin. Ein erneutes, aktives Engagement in der Politik ist für sie ausgeschlo­ssen. Ebenso ausgeschlo­ssen sind während des Gesprächs Ratschläge an die Amtierende­n. Nur so viel: „Ich glaube, dass wir in einer Zeit leben, in der die Wehrhaftig­keit der Demokratie auf die Probe gestellt wird. Weil viele die Demokratie so gewohnt sind, dass sie keinen Wert mehr darin sehen, wissen, was sie ausmacht.“Und: „Ich hoffe, dass man aus der Vergangenh­eit lernt. Einer neuen Kraft eine Chance gibt, wenn man sie für eine produktive und zukunftsor­ientierte Partei hält. Und ich halte die Neos für so eine Partei.“Mit Partei-Kollegen wie Friedhelm Frischensc­hlager, Christian Köck und Hans Peter Haselstein­er pflegt Schmidt immer noch Kontakt. Persönlich. Jedenfalls nicht via eMail.

Schöne Sprache

„Ich verweigere das Internet. Schreibe immer noch per Hand. Ich finde, dass die Art der Verkürzung der Sprache, die dieses Medium auch erfordert, zu einer Verkürzung und Undifferen­ziertheit des Denkens führt. Aber vielleicht ist das auch ein konservati­ver Ansatz.“

Sie kann sich an einer „schönen Sprache unglaublic­h erfreuen“. Ebenso verhält es sich mit Oper – und insbesonde­re mit Jonas Kaufmann. „Ich gehöre zu jener Gruppe von Frauen, die das Zusammentr­effen seiner Stimme und seines Aussehens als höchst wohltuend empfindet.“Schmidt schmunzelt, ehe das geschriebe­ne Wort erneut zur Sprache kommt. Bücher. Bücher, die haften blieben, wie sie sagt, weil sie mit Entwicklun­gsphasen zu tun haben. In „jugendlich­er Zeit“Hermann Hesses „Siddhartha“, in einer „politische­n Phase“Arthur Koestlers „Sonnenfins­ternis“. „Ich lese furchtbar langsam, weil ich bei Zeilen auch gerne verweile.“Zeit zum Auf bruch. Alsbald will die Juristin, die sich lieber „als Frau meiner eigenen Zeit, als Selbststän­dige, wenn Sie so wollen“denn als „ExPolitike­rin“bezeichnet, selbst ein Buch schreiben. „Per Hand.“

 ??  ?? „Ich kann mich an einer schönen Sprache unglaublic­h erfreuen“: Heide Schmidt (66) im Gespräch am Wiener Franziskan­erplatz
„Ich kann mich an einer schönen Sprache unglaublic­h erfreuen“: Heide Schmidt (66) im Gespräch am Wiener Franziskan­erplatz
 ??  ?? Gründung des Liberalen Forum 1993: Klara Motter, Thomas Barmüller, Schmidt, Friedhelm Frischensc­hlager, Helmut Moser (v. li.)
Gründung des Liberalen Forum 1993: Klara Motter, Thomas Barmüller, Schmidt, Friedhelm Frischensc­hlager, Helmut Moser (v. li.)
 ??  ?? 1993: Heinz Fischer, damals Nationalra­tspräsiden­t, mit Schmidt, die wegen des FPÖ-Volksbegeh­rens von Jörg Haider aus der FPÖ austritt
1993: Heinz Fischer, damals Nationalra­tspräsiden­t, mit Schmidt, die wegen des FPÖ-Volksbegeh­rens von Jörg Haider aus der FPÖ austritt
 ??  ?? Fusion mit den Neos 2014: Matthias Strolz (Neos), Angelika Mlinar (LIF), Hans Peter Haselstein­er (Neos-Unterstütz­er) u. Heide Schmidt
Fusion mit den Neos 2014: Matthias Strolz (Neos), Angelika Mlinar (LIF), Hans Peter Haselstein­er (Neos-Unterstütz­er) u. Heide Schmidt

Newspapers in German

Newspapers from Austria