Premiere für politischen Papst
Rede im US-Kongress. Der „Papst der Armen“redet den Politikern in Washington ins Gewissen
Als „eines der größten Ereignisse in der Geschichte des Kapitols“feierte Parlamentspräsident John Boehner schon Tage vorher die Rede von Papst Franziskus im USKongress amDonnerstag. Für den seit Kindertagen tiefgläubigen römisch-katholischen Republikaner war dieser Tag wohl einer der wichtigsten in seinem Leben. Er war es auch, der den Pontifex eingeladen hat – nicht aber Präsident Obama, der daher im Kongress gestern fehlte.
Unter großem, lautem und lang anhaltendem Jubel wurde Papst Franziskus von den Politikern beider Häuser des Kongresses begrüßt. In den USA, wo Kirche und Staat streng getrennt sind, war es eine kleine Sensation, dass er als erster religiöser Führer überhaupt das Wort im Kongress ergriff.
Und gleich zu Beginn seiner 50 Minuten langen Rede brachte der 78-Jährige das ganze Haus zum Jubeln: „Ich bin sehr dankbar für Ihre Einladung, im Land der Freien und der Heimat der Tapferen zu sprechen.“
Aus für Todesstrafe
Mit lautstarkem Applaus und Standing Ovations wurden auch – je nach politischer Gesinnung – andere Sätze des Papstes honoriert. Freiheit, Gleichheit, soziale Gerechtigkeit, Solidarität, Menschenrechte, Dialog und Friedensvermittlung waren die immer wiederkehrenden Schlüsselworte.
Er appellierte an die Verantwortung jedes Einzelnen – und insbesondere der Gesetzgeber – aber auch zum Kampf gegen den Klimawandel, der weltweiten Abschaffung der Todesstrafe (in den USA ist sie in 31 der 50 Staaten noch immer legal), den Schutz des Lebens „in jedem Stadium“, die Ehrung von Ehe und Familie, dem Kampf gegen Hunger und Armut.
Verhältnismäßig wenig Beifall erhielt der Argentinier für seine klare Kritik an den milliardenschweren Waffenlieferungen der USA. Der Waffenexport füge „Einzelnen und Gesellschaften unsägliches Leid“zu. Und all das nur des Geldes wegen, an dem „viel Blut klebt“.
Flüchtlinge ansehen
Der Papst lenkte den Blick der Abgeordneten auch auf die Flüchtlingskrise, „die ein seit dem Zweiten Weltkrieg unerreichtes Ausmaß angenommen hat“. Das stelle die Welt vor große Herausforderungen, sagte der Papst und forderte eine „menschliche, gerechte und geschwisterliche“Reaktion. „Wir dürfen nicht über ihre Anzahl aus der Fassung geraten, sondern müssen sie vielmehr als Personen sehen, ihnen ins Gesicht schauen.“
Und angesichts der Migration vom Süden in Richtung USA gab er zu bedenken, dass auch er ein Kind von Einwanderern sei – „so wie so viele unter Ihnen“. Und er fügte an, dass diese Menschen in den USA nur jene Träume für ihre Kinder erfüllen wollten, wie sie jeder hier im Saal auch für seine Kinder habe. Damit wandte er sich unausgesprochen gegen alle, die gegen die lateinamerikanischen Zuwanderer hetzen – allen voran der republikanische Präsidentschaftskandi- dat Donald Trump. Der hat alle mexikanischen Einwanderer in Bausch und Bogen als Verbrecher diffamiert.
Hilferuf eines Kindes
Umso mehr ging vielen Menschen der Hilferuf eines kleinen Mädchens zu Herzen, das sich am Mittwoch in Washington den Weg zum Papst gebahnt hatte: Die fünfjährige Sofia lief zu ihm mit einem Brief, in dem sie um Hilfe für die Legalisierung ihre illegal aus Mexiko eingewanderten Eltern bat. „Jeden Tag habe ich Angst, dass sie mir weggenommen werden“, sagte Sofia, die selbst in den USA geboren wurde, dem Pontifex. Er hatte die Kleine, bevor sie von den Sicherheitskräften gestoppt werden konnte, zu sich gewunken und umarmt. Ihr stolzer Vater hatte Tränen in den Augen.