Europa ist endlich aufgewacht
Bei den Krisentreffen wurden Tabus und nationale Egoismen gebrochen, die EU zeigt Handlungsfähigkeit.
Die wochenlange Müdigkeit der EU in der Migrationspolitik ist weg. Die Mehrheitsentscheidung der Innenminister über die faire Verteilung von Flüchtlingen und der Gipfel der Staats- und Regierungschefs haben gezeigt, was möglich ist, wenn die dramatischen Umstände Leadership erzwingen. Einig ist man sich in Brüssel auch darüber, dass zu dem Flüchtlingskompromiss maßgeblich Berlin und Wien, also Merkel und Faymann, beigetragen haben.
Der Ansturm von Asylwerbern auf die Mitte Europas ist natürlich nicht gestoppt, die humanitäre Krise nicht gelöst, die Ursachen der Flucht, wie der Krieg in Syrien, längst nicht beseitigt. Aber: Für die Weiterentwicklung der EU ist der Notstand eine Chance. „Der Mehrheitsbeschluss für die Aufteilung von 120.000 Schutzsuchenden in der ganzen EU ist zwar ein kleiner Schritt. Damit wurden Türen geöffnet, Tabus gebrochen und Hemmschwellen überschritten“, analysiert Daniel Gros, Leiter des bekannten Brüsseler Thinktanks Centre for Euro
pean Policy Studies.
Was heißt das konkret? In der heiklen Frage Asylpolitik hat man nicht ewig gewartet, bis alle dafür sind, sondern agiert. Eine große Gruppe von Ländern ist vorangegangen und hat das Mehrheitsprinzip durchgesetzt. Die vereinbarte Aufteilung der Flüchtlinge ist natürlich die Quote, auch wenn das Reizwort vermieden wird. Und letztendlich hat die Entscheidung die extremen Politiker wie Orbán und Fico entlarvt: Nach außen hin spielen sie die frechen Populisten, im Kreise der EU-Kollegen, also im Europäischen Rat, sind sie zahm.
Wenn es darauf ankommt, schafft die EU zwei Dinge: Sie trifft die richtigen Entscheidungen und spielt den demokratiepolitischen Dompteur.