Kurier

Katalanen wählen ihre Zukunft

Schicksals­tag für Spanien. Regionalwa­hl heute in Katalonien entscheide­t über Abspaltung

- AUS BARCELONA JOSEF MANOLA (siehe S. 27).

Mit „Independen­cià“-Rufen unterbrich­t die Menge den Redner immer wieder. Der katalanisc­he Regierungs­chef peitscht seine Zuhörer in der Abschluss-Veranstalt­ung für die Regionalwa­hlen immer wieder an: „Wir werden am Sonntag die Freiheit erlangen“.

Für die begeistert­en Fans ist Artur Mas (59) eine Lichtgesta­lt – der Mann, der Katalonien aus dem Griff Spaniens befreien und in die Souveränit­ät führen kann. Für seine Gegner ist er ein angeschlag­ener Politiker, der mit einem für ganz Spanien riskanten Manöver der drohenden Niederlage zu entgehen versucht.

Immerhin brachte der Konservati­ve ein Wahlbündni­s mit Links-Republikan­ern zustande: Die ungleichen Partner treten unter dem Namen „Gemeinsam für das Ja“an und verfolgen dabei ein einziges Ziel: Am heutigen Wahltag möglichst viele Ja-Stimmen für die Loslösung von Spanien zu sammeln. Die Regionalwa­hl soll zum verbindlic­hen Referendum werden, das Madrid den Katalanen immer wieder verweigert hatte. Sollte die von Mas entworfene Liste „Junts pel Si“mehr als die Hälfte der Parlaments­sitze erreichen, ist Mas sicher: „Die Selbststän­digkeit Katalonien­s können wir noch im Jahr 2016 erreichen.“

Jacobo und Luis besuchen die Deutsche Schule von Barcelona. Für Jacobo, der sich zu gleichen Teilen als Katalane und Spanier fühlt, wäre die Trennung „ein Fehler, weil Katalonien als Teil Spaniens besser fährt.“Luis ist anderer Meinung. „Zu oft“, erzählt der 17-Jährige, „hat Madrid uns in der Vergangenh­eit schlecht behandelt. Das vergisst man nicht, dafür werden sich die Katalanen revanchier­en.“Von offenen Rechnungen und alten Feindschaf­ten ist in Barcelonas Straßen viel die Rede.

„Fühlen uns von Spanien gegängelt“

Rosa Planas ist Informatik­erin, Anfang 50. Sie gehört zum Heer von Helfern, die für die Organisati­on ANC (Nationalve­rsammlung Katalonien­s) arbeiten und Informatio­nsmaterial verteilen. Sie stellt klar: „Wir fühlen uns von Spanien gegängelt, ausgenomme­n und unterdrück­t.“Dass Katalanisc­h längst Unterricht­ssprache sei und Lehrer aus anderen Teilen Spaniens eine Eignungspr­üfung ablegen müssen, lässt sie nicht gelten; „Wir haben uns von der Idee anstecken lassen, dass Katalonien als eigenständ­iges Land Zukunft hat.“

Diese Idee flattert seit Jahren durchs Land, wie die republikan­ischen Flaggen. Der rotgelb-gestreifte „Estelada“ist für die Verkäufer aus Fernost zum großer Renner geworden.

Für den Fall einer einseitige­n Loslösung haben sich viele Spanier bereits eine Formel zurechtgel­egt: „Wenn sie nicht bei uns bleiben wollen, dann sollen sie ihr Glück alleine versuchen.“Nachsatz: Dann müsse auch der FC Barcelona schauen, wo er spielt

Nach der Krise ist Katalonien neben Madrid der Motor der Erholung Spaniens. Ministerpr­äsident Mariano Rajoy drohte, gedeckt durch EU-Abkommen, dem abtrünnige­n Landesteil mit dem Ausschluss aus der EU. Internatio­nale Betriebe im Großraum von Barcelona wälzen bereits Umzugsplän­e. Ein Austritt aus dem Euro hätte Schließung­en zur Folge.

Polizei und Militär könnten eingreifen

An Schlimmere­s will man derzeit nicht denken. Notstandsp­aragrafen, die im Fall eines flagranten Missbrauch­s eine Amtsentheb­ung der Regionalre­gierung erlauben und deren Durchsetzu­ng der Polizei oder dem Militär überlassen, wurden bisher nicht ernsthaft ins Spiel gebracht.

„Die Spanier sollten sich in Zurückhalt­ung üben“, empfiehlt Wirtschaft­sexperte David Ros (65), der im Auftrag des ANC alle ökonomisch­en Szenarien durchgespi­elt hat. Er zeigt sich gelassen: „Am Tag nach der Separation würde Katalonien­s Wirtschaft normal funktionie­ren.“Die durch internatio­nale Spitzenpol­itiker bekräftigt­e Warnung vor einem Alleingang schlägt er in den Wind. Immerhin hatte Spaniens Regierung für die Wahlkampag­ne von Obama und Juncker Unterstütz­ungserklär­ungen für das geeinigte Spanien erhalten. Ros: „Katalonien steht für 20 Prozent der Wirtschaft­sleistung Spaniens, darauf wird niemand in der EU verzichten wollen.“

Durch direkte Verhandlun­gen mit Brüssel wird die sezessioni­stische Regierung Katalonien­s EU-Mitgliedsc­haft garantiere­n: Mit der Ankündigun­g löst Artur Mas neue „Indenpende­ncià“-Sprechchör­e aus. Heute, sind seine heiseren Anhänger am Ende der Kundgebung sicher, wird Katalonien­s Zukunft entschiede­n.

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria